Texte zum Alltäglichen -
der wöchentliche Schreibblog
Flecken
RAU
Die Besprechung geht schon seit neuneinhalb Minuten. Während Charlotte den ausufernden Vorschlägen ihres jungen Kollegen Albert folgt, sieht sie auf ihre Fingernägel, hält beide Hände rechts und links vom Bildschirm und beginnt zu zählen. Bei acht hört sie auf.
Acht kleine weiße Punkte oder sind es nicht schon kleinere Flecken? Sicherlich irgendein Mangel. Calcium oder ist es Kalium, das für kräftige Nägel sorgt? Oder Zink? Letzteres ist gut für Haare, das weiß sie von Katrin, ihrer besten Freundin, die gerade eine dreimonatige Zink-Biotin-Kur macht. Leider war Charlotte in der Schule nie gut in Chemie und Biologie, nach dem Meeting sollte sie gleich mal über weiße Flecken auf Fingernägeln googeln.
„Präsentation also Freitag zehn Uhr, das gebe ich dem Kunden so weiter“, sagt Martin. Ihr Chef bzw. CEO des Unternehmens kommt nicht nur über Zoom sehr präsent rüber.
Albert und Charlotte sagen fast gleichzeitig. „Alles klar.“
Nun wedelt sie leicht die Hände hin und her und versucht sich zu beruhigen. Was sind schon acht weiße, kleine Flecken, vielleicht habe ich mich ja auch verzählt?
Doch natürlich hat Albert noch einen Einwand, bei ihm muss es immer hundertfünfzigprozentig sein. „Ich würde gerne einen Tag vorher einen Probelauf machen“, schlägt er vor.
„Das macht ihr dann intern“, meint Martin, „sonst noch was?“
Es sind zwölf Flecken, vielleicht sollte sie doch lieber nachher einen Termin bei ihrer Hautärztin machen, überlegt sie.
„Charlotte, bauen wir noch die Auswertung unserer letzten Studie mit ein?“, fragt Albert und fixiert sie über den Bildschirm wie ein Fuchs.
„Morgen um acht“, sagt sie betont freundlich und ärgert sich über ihren neuen, strebsamen Kollegen. Erst ein halbes Jahr ist er im Team und spielt sich schon wie Martins Stellvertreter auf. Dabei ist er locker zwanzig Jahre jünger als sie.
„Und wegen der München-Sache“, meint Martin in diesem Moment, „gibt es nun doch akuten Redebedarf. Trotz unserer Bemühungen droht der Kunde immer wieder damit abzuspringen, habt ihr Vorschläge dazu?“
Nicht das auch noch. München ist ein potentieller Zweimillionen-Kunde, wenn der ihnen durch die Lappen geht, wird die Stimmung im Team noch schlechter werden. Sie legt ihre Hände auf die Tischplatte und beginnt die Fingernägel einzeln mit dem Daumen zu massieren. Jetzt sind es vierzehn Flecken. Vielleicht sollte ich sie regelmäßiger einölen, da gibt es sicherlich ein spezielles Kräftigungspräparat. Sie sollte auch mehr Obst essen. Später geht sie gleich noch beim Türken vorbei und kauft Orangen und Beeren.
„Ich werde die Zahlen gleich nochmal durchrechnen“, verspricht Albert.
Er wieder, denkt sie und studiert sein Gesicht auf dem Bildschirm, rote Backen und Pickel im Gesicht wie ein Pennäler.
„Und ich überlege, wo wir die Münchner besser an den Haken bekommen. Ich meine, unser Angebot ist hervorragend, wir müssen es Herrn Schmidt so verkaufen, als wäre es seine eigene Idee“, schlägt sie mit ruhiger Stimme vor. In all den Jahren hat sie gelernt, sich mit ihren Vorschlägen etwas Zeit zu lassen und sie dann mit ruhiger, kräftiger Stimme zu formulieren.
„Sehr gut.“ Martin hebt demonstrativ seinen Daumen.
Manchmal kommuniziert er mit uns wie mit Kindergartenkindern, denkt sie.
Albert starrt weiter ergeben in die Kamera. In irgendeiner bayerischen Kleinstadt aufgewachsen hat er sicherlich damit gerechnet, dass er innerhalb des München-Projektes eine Sonderrolle bekommt.
„Bis Freitag also, ihr macht das“, sagt Martin und klickt sich weg.
„Bis morgen“, sagt Charlotte und ist auch weg.
Dann sieht sie wieder auf ihre Fingernägel. Es sind sechzehn kleine, weiße Flecken oder doch nur Punkte? Sechzehn! Ein Vitaminmangel? Oder deuten sie doch auf einen Leberschaden hin? Womöglich genetisch bedingt? Hatte Oma Marie es nicht mit der Leber? Irgendetwas stimmt grade so überhaupt nicht.
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RAU
Die Besprechung geht schon seit neuneinhalb Minuten. Während Charlotte den ausufernden Vorschlägen ihres jungen Kollegen Albert folgt, sieht sie auf ihre Fingernägel, hält beide Hände rechts und links vom Bildschirm und beginnt zu zählen. Bei acht hört sie auf.
Acht kleine weiße Punkte oder sind es nicht schon kleinere Flecken? Sicherlich irgendein Mangel. Calcium oder ist es Kalium, das für kräftige Nägel sorgt? Oder Zink? Letzteres ist gut für Haare, das weiß sie von Katrin, ihrer besten Freundin, die gerade eine dreimonatige Zink-Biotin-Kur macht. Leider war Charlotte in der Schule nie gut in Chemie und Biologie, nach dem Meeting sollte sie gleich mal über weiße Flecken auf Fingernägeln googeln.
„Präsentation also Freitag zehn Uhr, das gebe ich dem Kunden so weiter“, sagt Martin. Ihr Chef bzw. CEO des Unternehmens kommt nicht nur über Zoom sehr präsent rüber.
Albert und Charlotte sagen fast gleichzeitig. „Alles klar.“
Nun wedelt sie leicht die Hände hin und her und versucht sich zu beruhigen. Was sind schon acht weiße, kleine Flecken, vielleicht habe ich mich ja auch verzählt?
Doch natürlich hat Albert noch einen Einwand, bei ihm muss es immer hundertfünfzigprozentig sein. „Ich würde gerne einen Tag vorher einen Probelauf machen“, schlägt er vor.
„Das macht ihr dann intern“, meint Martin, „sonst noch was?“
Es sind zwölf Flecken, vielleicht sollte sie doch lieber nachher einen Termin bei ihrer Hautärztin machen, überlegt sie.
„Charlotte, bauen wir noch die Auswertung unserer letzten Studie mit ein?“, fragt Albert und fixiert sie über den Bildschirm wie ein Fuchs.
„Morgen um acht“, sagt sie betont freundlich und ärgert sich über ihren neuen, strebsamen Kollegen. Erst ein halbes Jahr ist er im Team und spielt sich schon wie Martins Stellvertreter auf. Dabei ist er locker zwanzig Jahre jünger als sie.
„Und wegen der München-Sache“, meint Martin in diesem Moment, „gibt es nun doch akuten Redebedarf. Trotz unserer Bemühungen droht der Kunde immer wieder damit abzuspringen, habt ihr Vorschläge dazu?“
Nicht das auch noch. München ist ein potentieller Zweimillionen-Kunde, wenn der ihnen durch die Lappen geht, wird die Stimmung im Team noch schlechter werden. Sie legt ihre Hände auf die Tischplatte und beginnt die Fingernägel einzeln mit dem Daumen zu massieren. Jetzt sind es vierzehn Flecken. Vielleicht sollte ich sie regelmäßiger einölen, da gibt es sicherlich ein spezielles Kräftigungspräparat. Sie sollte auch mehr Obst essen. Später geht sie gleich noch beim Türken vorbei und kauft Orangen und Beeren.
„Ich werde die Zahlen gleich nochmal durchrechnen“, verspricht Albert.
Er wieder, denkt sie und studiert sein Gesicht auf dem Bildschirm, rote Backen und Pickel im Gesicht wie ein Pennäler.
„Und ich überlege, wo wir die Münchner besser an den Haken bekommen. Ich meine, unser Angebot ist hervorragend, wir müssen es Herrn Schmidt so verkaufen, als wäre es seine eigene Idee“, schlägt sie mit ruhiger Stimme vor. In all den Jahren hat sie gelernt, sich mit ihren Vorschlägen etwas Zeit zu lassen und sie dann mit ruhiger, kräftiger Stimme zu formulieren.
„Sehr gut.“ Martin hebt demonstrativ seinen Daumen.
Manchmal kommuniziert er mit uns wie mit Kindergartenkindern, denkt sie.
Albert starrt weiter ergeben in die Kamera. In irgendeiner bayerischen Kleinstadt aufgewachsen hat er sicherlich damit gerechnet, dass er innerhalb des München-Projektes eine Sonderrolle bekommt.
„Bis Freitag also, ihr macht das“, sagt Martin und klickt sich weg.
„Bis morgen“, sagt Charlotte und ist auch weg.
Dann sieht sie wieder auf ihre Fingernägel. Es sind sechzehn kleine, weiße Flecken oder doch nur Punkte? Sechzehn! Ein Vitaminmangel? Oder deuten sie doch auf einen Leberschaden hin? Womöglich genetisch bedingt? Hatte Oma Marie es nicht mit der Leber? Irgendetwas stimmt grade so überhaupt nicht.