Texte zum Alltäglichen -
der wöchentliche Schreibblog
Einfach zu Fuß
WIE
Die Luft im Konferenzsaal ist nicht gut. Leises Gemurmel, die Redaktionsmitglieder warten auf den Chef. Sich besser bedeckt halten und sich nicht mit lautem Reden hervortun. Dann fliegt die Tür auf, und der Chef eilt mit großen Schritten an seinen Platz, was allen klar macht, wie beschäftigt er ist, womit er dann auch sein Zuspätkommen erklärt. Was andererseits auch die Frage aufkommen lässt, sind alle die, die überpünktlich sind, womöglich an ihrem Schreibtisch nicht ausgelastet?
Dann beginnt das wöchentliche Ritual: wer ist für was zuständig, wer schreibt was? Am Ende geht es um die Verteilung des Sahnehäubchen, die bürgernahe Kolumne für die Wochenendbeilage. Das Thema kommt, wie immer, vom Chef. Den oder die SchreiberIn bestimmt er auch. Diesmal lautet es 'Einfach zu Fuß'.
„Müller, sie haben das Glück, sich darüber mal Gedanken zu machen. Und wie bekannt, nicht mehr als 600 Worte und bitte keine Gefühlsduselei über Wälder und Naherholungsgebiete. Ich dachte eher an die politische Relevanz des Themas, also mehr soziologisch, gesellschaftlich. Sie können das, sie sind doch viel in der Weltgeschichte rumgekommen.“
Drei Tage später. Mittlerweile wird es bei Müller knapp mit der Zeit. Dabei hat er genügend Gedanken im Kopf, weit mehr, als sie in 600 Worten unterzubringen. Allein die Frage, wie das Verhältnis von Frauen und Männer beim Zu-Fuß-Gehen ist? Zu Fuß unterwegs, nicht als Freizeitvergnügen, sondern weil es keine Alternative gibt, auch nicht bei Nässe, Hitze oder Sturm. Und oft mit schwerem Gepäck, Wasserbehälter oder Körbe auf dem Kopf, bunte Plastiktaschen mit schweren Sachen, womöglich noch kleine Kinder auf dem Rücken, die alle getragen werden. Die etwas älteren Kinder laufen schon selber und müssen meistens auch tragen. Männer sieht man eher auf Pferd oder Esel, mit Fahrrad oder Moped unterwegs, wenn sie nicht bereits mit Pickup oder LKW Wichtiges erledigen, während Frauen laufen.
Hier in den wohlhabenden Städten ist es anders, da kann man sich Gleichberechtigung leisten. Paare joggen nebeneinander im Park im Partnerlook und mit Schrittzähler, beide tragen die gleiche teure Funktionskleidung. Womöglich hören sie auch dieselbe Musik über Bluetooth auf ihren Kopfhörern.
Mittlerweile ist es modern, vom Zu-Fuß-Unterwegssein zu schwärmen, von der Entschleunigung, Achtsamkeit und Aufmerksamkeit für die Kleinigkeiten am Wegesrand. Oder beim Reisen einsame Gässlein und verborgene Winkel entdecken, sich von den Zufälligkeiten, gemütlichen Restaurants, liebevoll eingerichtete Konditoreien überraschen lassen.
Da fallen Müller die eigenen Reisen von früher ein, als sie nur mit dem Rucksack auf dem Rücken unterwegs waren und meistens trampten. Zu Fuß lief man kilometerlang neben Autos und LWKs auf Straßen, die aus oder in die Stadt führten, und sah ganz genau, was am Wegesrand zu finden war. Das war alles andere als romantisch, geschweige denn appetitlich und diente nicht der Entschleunigung.
Ob das der Chef lesen möchte? Über was von alldem soll er jetzt schreiben? Er schaut aus dem Fenster des Redaktionsbüros. Es regnet. Eigentlich ist er heute zu Fuß unterwegs, aber er wird seine Frau anrufen und sie bitten, ihn mit dem Auto abzuholen.
Texte zum Alltäglichen -
der wöchentliche Schreibblog
Einfach zu Fuß
WIE
Die Luft im Konferenzsaal ist nicht gut. Leises Gemurmel, die Redaktionsmitglieder warten auf den Chef. Sich besser bedeckt halten und sich nicht mit lautem Reden hervortun. Dann fliegt die Tür auf, und der Chef eilt mit großen Schritten an seinen Platz, was allen klar macht, wie beschäftigt er ist, womit er dann auch sein Zuspätkommen erklärt. Was andererseits auch die Frage aufkommen lässt, sind alle die, die überpünktlich sind, womöglich an ihrem Schreibtisch nicht ausgelastet?
Dann beginnt das wöchentliche Ritual: wer ist für was zuständig, wer schreibt was? Am Ende geht es um die Verteilung des Sahnehäubchen, die bürgernahe Kolumne für die Wochenendbeilage. Das Thema kommt, wie immer, vom Chef. Den oder die SchreiberIn bestimmt er auch. Diesmal lautet es 'Einfach zu Fuß'.
„Müller, sie haben das Glück, sich darüber mal Gedanken zu machen. Und wie bekannt, nicht mehr als 600 Worte und bitte keine Gefühlsduselei über Wälder und Naherholungsgebiete. Ich dachte eher an die politische Relevanz des Themas, also mehr soziologisch, gesellschaftlich. Sie können das, sie sind doch viel in der Weltgeschichte rumgekommen.“
Drei Tage später. Mittlerweile wird es bei Müller knapp mit der Zeit. Dabei hat er genügend Gedanken im Kopf, weit mehr, als sie in 600 Worten unterzubringen. Allein die Frage, wie das Verhältnis von Frauen und Männer beim Zu-Fuß-Gehen ist? Zu Fuß unterwegs, nicht als Freizeitvergnügen, sondern weil es keine Alternative gibt, auch nicht bei Nässe, Hitze oder Sturm. Und oft mit schwerem Gepäck, Wasserbehälter oder Körbe auf dem Kopf, bunte Plastiktaschen mit schweren Sachen, womöglich noch kleine Kinder auf dem Rücken, die alle getragen werden. Die etwas älteren Kinder laufen schon selber und müssen meistens auch tragen. Männer sieht man eher auf Pferd oder Esel, mit Fahrrad oder Moped unterwegs, wenn sie nicht bereits mit Pickup oder LKW Wichtiges erledigen, während Frauen laufen.
Hier in den wohlhabenden Städten ist es anders, da kann man sich Gleichberechtigung leisten. Paare joggen nebeneinander im Park im Partnerlook und mit Schrittzähler, beide tragen die gleiche teure Funktionskleidung. Womöglich hören sie auch dieselbe Musik über Bluetooth auf ihren Kopfhörern.
Mittlerweile ist es modern, vom Zu-Fuß-Unterwegssein zu schwärmen, von der Entschleunigung, Achtsamkeit und Aufmerksamkeit für die Kleinigkeiten am Wegesrand. Oder beim Reisen einsame Gässlein und verborgene Winkel entdecken, sich von den Zufälligkeiten, gemütlichen Restaurants, liebevoll eingerichtete Konditoreien überraschen lassen.
Da fallen Müller die eigenen Reisen von früher ein, als sie nur mit dem Rucksack auf dem Rücken unterwegs waren und meistens trampten. Zu Fuß lief man kilometerlang neben Autos und LWKs auf Straßen, die aus oder in die Stadt führten, und sah ganz genau, was am Wegesrand zu finden war. Das war alles andere als romantisch, geschweige denn appetitlich und diente nicht der Entschleunigung.
Ob das der Chef lesen möchte? Über was von alldem soll er jetzt schreiben? Er schaut aus dem Fenster des Redaktionsbüros. Es regnet. Eigentlich ist er heute zu Fuß unterwegs, aber er wird seine Frau anrufen und sie bitten, ihn mit dem Auto abzuholen.