Texte zum Alltäglichen -
der wöchentliche Schreibblog
Zu verschenken
RAU
Eine Matratze, ein Kinderstuhl aus Plastik, eine niedrige Kommode mit zwei defekten Schubladen, eine Stehlampe, ein Wäscheständer, jede Menge Kinderkleidung, vier Paar Winterschuhe (wir haben gerade Juli!), Videokassetten, etliche angegraute Krimis. Habe ich etwas vergessen? Sicherlich.
Jetzt zähle ich nur aus dem Gedächtnis auf, was ich in dieser Woche auf beiden Bürgersteigen in der Kavalierstraße und vorne an der Ecke zur Sturmstraße habe liegen sehen. Achtlos hingeworfenes Alltagszeug, das irgendjemand nicht mehr haben will und mit dem Zusatz ‚zu verschenken‘ guten Gewissens hier ablegt. Guten Gewissens? Dass ich nicht lache.
Womöglich meint diese Person auch noch, durch den handschriftlichen Zettel etwas Persönliches, beinahe Liebevolles beizutragen. So nach dem Motto, im anonymen Dschungel der 3,6 Millionen Stadt nimmt sich heute noch jemand die Zeit, einen Zettel in die Hand zu nehmen und beinahe gönnerhaft mit ‚zu verschenken’ zu versehen. Als fielen Weihnachten und Geburtstag für die Menschen in der Kavalierstrasse und vorne an der Ecke Sturmstraße zusammen, und eine jede und ein jeder, die und der vorbeigeht, würde sich nicht nur angesprochen fühlen, sondern sich auch noch riesig über diesen ausrangierten Alltagsmist freuen. Wie mich diese dreiste Frechheit und auch das jetzt noch notwendige sprachliche Gendern ärgern. Warum schreibt diese freche Person nicht einfach ‚hatte keine Lust, zum Recyclinghof oder zur Stadtmission zu fahren oder alles in die hauseigene Mülltonne zu werfen? Das wäre doch mal ziemlich ehrlich gewesen.
Aber Ehrlichkeit scheint gerade keinen großen Wert mehr zu besitzen, genauso wenig wie die Tatsache, der Wirklichkeit ins Auge zu sehen. Unsere Straßen sind zugeparkt mit Autos, die manchmal die Hälfte der Zeit einfach nur rumstehen, auf den Bürgersteigen stehen Räder und E-Scooter kreuz und quer, über die man/frau sich freuen soll, weil deshalb kein Auto bewegt wird. Hundebesitzer*innen lassen die Hinterlassenschaften ihrer Liebsten immer noch haufenweise liegen, obwohl es längst strafbar ist und an jeder Ecke dafür spezielle, kleine Plastiktütchen gibt. Und nun auch noch der achtlos hingeworfene Kram, der früher auf dem Sperrmüll landete.
Raus damit auf den Gehweg. Manche ziehen weg oder trennen sich von Partner oder Partnerin und schmeißen die nun nicht mehr gebrauchte Matratze plus Stehlampe mir nichts dir nichts auf den Bürgersteig. Aus dem Auge, aus dem Sinn. Nach einigen Regentagen weichen Matratzen, Krimis und Romane, Winterschuhe und Kinderkleidung auf, Stehlampe, Kommode und Kinderhochstuhl bleiben unverwüstlich stehen und der überaus unansehnliche Mix aus Aufgeweichtem und Beharrlichem erzählt noch lange von den unbekannten, mildtätigen Schenker*innen, die längst woanders wohnen.
‚Zu verschenken‘, darauf musst du erstmal kommen. Aus der schlechten Tugend, bequem und faul zu sein, eine gute Tat zu machen, und darauf zu hoffen, dass sich die netten Männer von der Müllabfuhr deiner Sachen dann irgendwann doch erbarmen, sie aufheben und in ihr riesiges oranges Müllauto werfen. Vielleicht fährt ja Uwe Ochsenknecht auch gelegentlich meine Straße an? Dann würde ich ihn und seine beiden netten Kollegen aus der Fernsehserie glatt auf einen Kaffee einladen. Ein Tipp für die ARD: ich warte sehnsüchtig auf neue Folgen.
Im Übrigen habe ich seit einiger Zeit einen dicken, roten Filzstift in meiner Tasche und steige immer häufiger vom Rad. ‚Und wo ist der Champus?‘ schreibe ich dann in großen, fetten Buchstaben auf all diese unverschämten Zettel.
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Zu verschenken
RAU
Eine Matratze, ein Kinderstuhl aus Plastik, eine niedrige Kommode mit zwei defekten Schubladen, eine Stehlampe, ein Wäscheständer, jede Menge Kinderkleidung, vier Paar Winterschuhe (wir haben gerade Juli!), Videokassetten, etliche angegraute Krimis. Habe ich etwas vergessen? Sicherlich.
Jetzt zähle ich nur aus dem Gedächtnis auf, was ich in dieser Woche auf beiden Bürgersteigen in der Kavalierstraße und vorne an der Ecke zur Sturmstraße habe liegen sehen. Achtlos hingeworfenes Alltagszeug, das irgendjemand nicht mehr haben will und mit dem Zusatz ‚zu verschenken‘ guten Gewissens hier ablegt. Guten Gewissens? Dass ich nicht lache.
Womöglich meint diese Person auch noch, durch den handschriftlichen Zettel etwas Persönliches, beinahe Liebevolles beizutragen. So nach dem Motto, im anonymen Dschungel der 3,6 Millionen Stadt nimmt sich heute noch jemand die Zeit, einen Zettel in die Hand zu nehmen und beinahe gönnerhaft mit ‚zu verschenken’ zu versehen. Als fielen Weihnachten und Geburtstag für die Menschen in der Kavalierstrasse und vorne an der Ecke Sturmstraße zusammen, und eine jede und ein jeder, die und der vorbeigeht, würde sich nicht nur angesprochen fühlen, sondern sich auch noch riesig über diesen ausrangierten Alltagsmist freuen. Wie mich diese dreiste Frechheit und auch das jetzt noch notwendige sprachliche Gendern ärgern. Warum schreibt diese freche Person nicht einfach ‚hatte keine Lust, zum Recyclinghof oder zur Stadtmission zu fahren oder alles in die hauseigene Mülltonne zu werfen? Das wäre doch mal ziemlich ehrlich gewesen.
Aber Ehrlichkeit scheint gerade keinen großen Wert mehr zu besitzen, genauso wenig wie die Tatsache, der Wirklichkeit ins Auge zu sehen. Unsere Straßen sind zugeparkt mit Autos, die manchmal die Hälfte der Zeit einfach nur rumstehen, auf den Bürgersteigen stehen Räder und E-Scooter kreuz und quer, über die man/frau sich freuen soll, weil deshalb kein Auto bewegt wird. Hundebesitzer*innen lassen die Hinterlassenschaften ihrer Liebsten immer noch haufenweise liegen, obwohl es längst strafbar ist und an jeder Ecke dafür spezielle, kleine Plastiktütchen gibt. Und nun auch noch der achtlos hingeworfene Kram, der früher auf dem Sperrmüll landete.
Raus damit auf den Gehweg. Manche ziehen weg oder trennen sich von Partner oder Partnerin und schmeißen die nun nicht mehr gebrauchte Matratze plus Stehlampe mir nichts dir nichts auf den Bürgersteig. Aus dem Auge, aus dem Sinn. Nach einigen Regentagen weichen Matratzen, Krimis und Romane, Winterschuhe und Kinderkleidung auf, Stehlampe, Kommode und Kinderhochstuhl bleiben unverwüstlich stehen und der überaus unansehnliche Mix aus Aufgeweichtem und Beharrlichem erzählt noch lange von den unbekannten, mildtätigen Schenker*innen, die längst woanders wohnen.
‚Zu verschenken‘, darauf musst du erstmal kommen. Aus der schlechten Tugend, bequem und faul zu sein, eine gute Tat zu machen, und darauf zu hoffen, dass sich die netten Männer von der Müllabfuhr deiner Sachen dann irgendwann doch erbarmen, sie aufheben und in ihr riesiges oranges Müllauto werfen. Vielleicht fährt ja Uwe Ochsenknecht auch gelegentlich meine Straße an? Dann würde ich ihn und seine beiden netten Kollegen aus der Fernsehserie glatt auf einen Kaffee einladen. Ein Tipp für die ARD: ich warte sehnsüchtig auf neue Folgen.
Im Übrigen habe ich seit einiger Zeit einen dicken, roten Filzstift in meiner Tasche und steige immer häufiger vom Rad. ‚Und wo ist der Champus?‘ schreibe ich dann in großen, fetten Buchstaben auf all diese unverschämten Zettel.