Texte zum Alltäglichen -
der wöchentliche Schreibblog
Zu verschenken
WIE
„Und was geschieht damit?“, fragt mich ein Nachbar, als ich gerade einige Bücher in den blauen Container am Straßenrand schmeiße.
„Die müssen leider weg“, erkläre ich mit einem überzeugtem Ton.
„Ich könnte keine Bücher wegschmeißen. Warum bringen Sie die nicht zum öffentlichen Bücherschrank zum Verschenken?“
„Sie sind noch Anfänger in Sachen Bücherentrümpelung?“, erwidere ich und bemühe mich freundlich zu klingen.
„Was heißt Anfänger?“ Das hört er als Endsechziger nicht gerne.
„Sehen sie, wenn sie es zum Beispiel nur mit einem Bücherregal zu tun haben und ein Dutzend Bücher ausrangieren wollen, können sie sie zum Verschenken in den Bücherschrank stellen.“
„Ja genau, und warum tun sie es nicht?“
„Wenn sie den Büchernachlass eines gut ausgestatteten Bildungsbürger auflösen, dann sieht das anders aus.“
„Ja aber Bücher kann man doch nicht einfach wegschmeißen“, sagt er.
„Doch kann man,“ antworte ich und weiß, dass ich etwas ruppiger klinge. Zu viele Argumente fürs Wegschmeißen sprudeln durch meinen Kopf. Zu viele haben sich in der Zeit des Sichtens, Sortierens, Einpackens und Tragens von Bücherkartons angesammelt. „Diese Bücherberge der letzten Jahrzehnte des letzten Jahrhunderts, was glauben sie, das Meiste davon ist auch nur von Zeitgeist und Moden bestimmt", sage ich, "nicht viel anders als Badezimmergarnituren, Tischservice und Kleinmöbel. Und es ist äußerst unwahrscheinlich, dass sich für jedes einzelne Exemplar neue Liebhaber finden lassen werden, die sie als Belegexemplar genau für diese Zeitepoche haben wollen.“
Mein Nachbar ist still geworden. Er blättert in einem Fachbuch für Spiegelreflexkameras. „Das ist interessant, das nehme ich vielleicht mit. So eine Nikon hatte ich auch mal,“ erklärt er mir.
„Haben sie die Nikon noch?“ frage ich und zeige schon auf den Schlitz im blauen Container.
Danach greift er zwei Anleitungsbücher für Schnellkochtöpfe und Racletterezepte, legt sie aber selber wieder zurück, genauso wie den Reiseführer und die Tipps und Tricks für Windows 98.
„Denken sie gar nicht an die vielen Menschen, die sich keine Bücher leisten können?“, fragt er.
Ich schüttele den Kopf. „Wenn sie glauben, man könnte mit Racletterezepten und Bedienungsanleitungen arbeits- oder obdachlosen Buchliebhabern eine Freude machen, dann ist das eine Fehleinschätzung.“
„Und das hier, von 1982, so gut wie neu?“ Mein Nachbar hält ein vierbändiges Lexikon in den Händen. Er riecht daran und lässt seine Finger durch die Seiten gleiten. „Das nehme ich noch mal mit zu mir.“
Ich raffe mein gesamtes Verantwortungsbewusstsein zusammen: „Geben sie her, ich muss sie leider enttäuschen. Ich fühle mich verpflichtet, sie davon abzuhalten, jetzt weitere zwölf Kilogramm Bücher in ihre wahrscheinlich nur kleine Behausung zu schleppen.“
Er schweigt und starrt mich an.
„Wissen sie, in all den Haushalten um uns herum stecken tonnenweise Bücher. Nachdem aber ihre Besitzer verstorben sind, ist die Bindung und Bedeutung auch irgendwie aufgehoben. Es ist nichts Ehrenwertes, dennoch daran festhalten zu wollen. Das einzig Ehrenwerte ist, dieses Papier dem Recycling zu übergeben. Dieses sekundenlange Gefühl des Glücks beim Aussprechen der Sätze: 'Ist doch noch fast wie neu … wäre interessant, noch mal rein zu gucken … könnte ich vielleicht noch mal lesen ...' ist eine Illusion, eine Anfängerillusion! Real ist nur das Gewicht, das nachfolgende Generationen ein weiteres Mal herumtragen müssen.“
Mein Nachbar schaut verstört und wendet sich ab. Das Lexikon lasse ich mit dumpfem Knall in den Container fallen.
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WIE
„Und was geschieht damit?“, fragt mich ein Nachbar, als ich gerade einige Bücher in den blauen Container am Straßenrand schmeiße.
„Die müssen leider weg“, erkläre ich mit einem überzeugtem Ton.
„Ich könnte keine Bücher wegschmeißen. Warum bringen Sie die nicht zum öffentlichen Bücherschrank zum Verschenken?“
„Sie sind noch Anfänger in Sachen Bücherentrümpelung?“, erwidere ich und bemühe mich freundlich zu klingen.
„Was heißt Anfänger?“ Das hört er als Endsechziger nicht gerne.
„Sehen sie, wenn sie es zum Beispiel nur mit einem Bücherregal zu tun haben und ein Dutzend Bücher ausrangieren wollen, können sie sie zum Verschenken in den Bücherschrank stellen.“
„Ja genau, und warum tun sie es nicht?“
„Wenn sie den Büchernachlass eines gut ausgestatteten Bildungsbürger auflösen, dann sieht das anders aus.“
„Ja aber Bücher kann man doch nicht einfach wegschmeißen“, sagt er.
„Doch kann man,“ antworte ich und weiß, dass ich etwas ruppiger klinge. Zu viele Argumente fürs Wegschmeißen sprudeln durch meinen Kopf. Zu viele haben sich in der Zeit des Sichtens, Sortierens, Einpackens und Tragens von Bücherkartons angesammelt. „Diese Bücherberge der letzten Jahrzehnte des letzten Jahrhunderts, was glauben sie, das Meiste davon ist auch nur von Zeitgeist und Moden bestimmt", sage ich, "nicht viel anders als Badezimmergarnituren, Tischservice und Kleinmöbel. Und es ist äußerst unwahrscheinlich, dass sich für jedes einzelne Exemplar neue Liebhaber finden lassen werden, die sie als Belegexemplar genau für diese Zeitepoche haben wollen.“
Mein Nachbar ist still geworden. Er blättert in einem Fachbuch für Spiegelreflexkameras. „Das ist interessant, das nehme ich vielleicht mit. So eine Nikon hatte ich auch mal,“ erklärt er mir.
„Haben sie die Nikon noch?“ frage ich und zeige schon auf den Schlitz im blauen Container.
Danach greift er zwei Anleitungsbücher für Schnellkochtöpfe und Racletterezepte, legt sie aber selber wieder zurück, genauso wie den Reiseführer und die Tipps und Tricks für Windows 98.
„Denken sie gar nicht an die vielen Menschen, die sich keine Bücher leisten können?“, fragt er.
Ich schüttele den Kopf. „Wenn sie glauben, man könnte mit Racletterezepten und Bedienungsanleitungen arbeits- oder obdachlosen Buchliebhabern eine Freude machen, dann ist das eine Fehleinschätzung.“
„Und das hier, von 1982, so gut wie neu?“ Mein Nachbar hält ein vierbändiges Lexikon in den Händen. Er riecht daran und lässt seine Finger durch die Seiten gleiten. „Das nehme ich noch mal mit zu mir.“
Ich raffe mein gesamtes Verantwortungsbewusstsein zusammen: „Geben sie her, ich muss sie leider enttäuschen. Ich fühle mich verpflichtet, sie davon abzuhalten, jetzt weitere zwölf Kilogramm Bücher in ihre wahrscheinlich nur kleine Behausung zu schleppen.“
Er schweigt und starrt mich an.
„Wissen sie, in all den Haushalten um uns herum stecken tonnenweise Bücher. Nachdem aber ihre Besitzer verstorben sind, ist die Bindung und Bedeutung auch irgendwie aufgehoben. Es ist nichts Ehrenwertes, dennoch daran festhalten zu wollen. Das einzig Ehrenwerte ist, dieses Papier dem Recycling zu übergeben. Dieses sekundenlange Gefühl des Glücks beim Aussprechen der Sätze: 'Ist doch noch fast wie neu … wäre interessant, noch mal rein zu gucken … könnte ich vielleicht noch mal lesen ...' ist eine Illusion, eine Anfängerillusion! Real ist nur das Gewicht, das nachfolgende Generationen ein weiteres Mal herumtragen müssen.“
Mein Nachbar schaut verstört und wendet sich ab. Das Lexikon lasse ich mit dumpfem Knall in den Container fallen.