Texte zum Alltäglichen -
der wöchentliche Schreibblog
Zeit im Badezimmer
WIE
„Die Zeit im Badezimmer ist wichtigste vom ganzen Tag.“ Diesen Satz höre ich zufällig und doch ist er mir hängen geblieben. Die wichtigste Zeit vom Tag? Wer sagt so etwas? Vielleicht ist es jemand, der wenig Zeit für das Alleinseins hat, für den das „Bei-sich-sein“, das „Unbeobachtet-sein“ etwas Besonderes ist. Allein vor dem Spiegel stehen, weniger bekleidet als üblich. Sich so zu sehen, wie man draußen von anderen nicht gesehen wird, ohne Schminke, unfrisiert, ohne Brille, unverdeckt. Mit der Frage verbunden: ´Bin ich das mehr als das andere alles?´
Oder die Gewissheit, für einen Moment nicht gestört zu werden, in Ruhe zu trödeln, etwas länger die Dinge zu verrichten als sonst. Draußen sind Blicke im Spiegel kurz, da geht es nur darum, das Nötigste zu kontrollieren, Haare, Schal, Kragen, Krümel im Gesicht? Wenn alles stimmt, geht es weiter.
Die Zeit im Bad ist Luxus, etwas mehr als unbedingt nötig. Wann und wo hat man das schon? Und darum gilt heutzutage für das Bad, nicht nur das Nötigste um sich zu haben. Nicht nur Waschlappen, Handtuch, Zahnbürste und Haarshampoo, nicht nur Spiegel, Ablage und Waschbecken. Nein, das Bad selber wird zum Prunkstück. Lampen, Waschgarnituren, Duschkabine, Badewanne sind erlesene Stücke des gehobenen Designs. Dinge, die die Zeit im Badezimmer würdigen helfen, die die Live-Work-Balance unterstreichen.
Ich muss daran denken, wie ich vor wenigen Tagen in einem gewöhnlichen Baumarkt nach einer Seifenablage geschaut habe. Eine einfach Seifenablage, nicht vom Designer entworfen, nicht als Set, sie muss auch nicht passend zu allen Utensilien sein.
Ich muss an unser Badezimmer aus früherer Kindheit denken. Alles andere als ein Designprunkstück. Aber auch dort haben wir viel Zeit verbracht, in der Badewanne am Wochenende, beim gewöhnlichen Waschen während der Woche. Manchmal bekamen wir in der Zeit ein Märchen erzählt.
Ich erinnere mich an die Wochenenden, an denen mich unser Kindermädchen mit zu sich zu Hause nach Oberhausen nahm. Ihr Vater kam morgens von der Schicht, in der er nachts am Hochofen gearbeitet hatte. Er wusch und rasierte sich in der Küche, wo wir frühstückten, an einem Waschbecken aus Emaille. Er war ein sehr humorvoller Mann und amüsierte sich über mich, weil ich ihn so anstarrte, wenn er sich wusch, rasierte, die Haare mit einer Paste zum Glänzen brachte, bevor er sich schlafen legte. Alles das machte er selbstverständlich, ohne Abgeschlossenheit, denn dafür war kein Platz. Weil es Luxus gewesen wäre, Bad und Wohnzimmer zu beheizen. Außerdem würde dann die Zeit fehlen, mit der Familie in der Küche beim Frühstücken zu reden und Spaß zu haben. Der Blick auf die ungeschönte Erscheinung des alternden Körpers, alles kein Thema. Anders als in den gutbürgerlichen Verhältnissen bei uns zu Hause.
Da fällt mir auch die WG-Zeit in den 8o-er Jahren ein. Hier wurde die kleinbürgerliche Prüderie angeklagt und von Offenheit ohne Tabus geschwärmt. Offene Türen im Bad und Schlafzimmer, das alles war mit politischer Fortschrittlichkeit verbunden. Alle waren jung und schön. Später haben sich die Badezimmertüren wieder geschlossen, das Bedürfnis nach einem Moment des Alleinseins überwog. Aber letztlich bin ich froh nicht sagen zu müssen, die Zeit im Badezimmer ist die wichtigste am Tag.
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Zeit im Badezimmer
WIE
„Die Zeit im Badezimmer ist wichtigste vom ganzen Tag.“ Diesen Satz höre ich zufällig und doch ist er mir hängen geblieben. Die wichtigste Zeit vom Tag? Wer sagt so etwas? Vielleicht ist es jemand, der wenig Zeit für das Alleinseins hat, für den das „Bei-sich-sein“, das „Unbeobachtet-sein“ etwas Besonderes ist. Allein vor dem Spiegel stehen, weniger bekleidet als üblich. Sich so zu sehen, wie man draußen von anderen nicht gesehen wird, ohne Schminke, unfrisiert, ohne Brille, unverdeckt. Mit der Frage verbunden: ´Bin ich das mehr als das andere alles?´
Oder die Gewissheit, für einen Moment nicht gestört zu werden, in Ruhe zu trödeln, etwas länger die Dinge zu verrichten als sonst. Draußen sind Blicke im Spiegel kurz, da geht es nur darum, das Nötigste zu kontrollieren, Haare, Schal, Kragen, Krümel im Gesicht? Wenn alles stimmt, geht es weiter.
Die Zeit im Bad ist Luxus, etwas mehr als unbedingt nötig. Wann und wo hat man das schon? Und darum gilt heutzutage für das Bad, nicht nur das Nötigste um sich zu haben. Nicht nur Waschlappen, Handtuch, Zahnbürste und Haarshampoo, nicht nur Spiegel, Ablage und Waschbecken. Nein, das Bad selber wird zum Prunkstück. Lampen, Waschgarnituren, Duschkabine, Badewanne sind erlesene Stücke des gehobenen Designs. Dinge, die die Zeit im Badezimmer würdigen helfen, die die Live-Work-Balance unterstreichen.
Ich muss daran denken, wie ich vor wenigen Tagen in einem gewöhnlichen Baumarkt nach einer Seifenablage geschaut habe. Eine einfach Seifenablage, nicht vom Designer entworfen, nicht als Set, sie muss auch nicht passend zu allen Utensilien sein.
Ich muss an unser Badezimmer aus früherer Kindheit denken. Alles andere als ein Designprunkstück. Aber auch dort haben wir viel Zeit verbracht, in der Badewanne am Wochenende, beim gewöhnlichen Waschen während der Woche. Manchmal bekamen wir in der Zeit ein Märchen erzählt.
Ich erinnere mich an die Wochenenden, an denen mich unser Kindermädchen mit zu sich zu Hause nach Oberhausen nahm. Ihr Vater kam morgens von der Schicht, in der er nachts am Hochofen gearbeitet hatte. Er wusch und rasierte sich in der Küche, wo wir frühstückten, an einem Waschbecken aus Emaille. Er war ein sehr humorvoller Mann und amüsierte sich über mich, weil ich ihn so anstarrte, wenn er sich wusch, rasierte, die Haare mit einer Paste zum Glänzen brachte, bevor er sich schlafen legte. Alles das machte er selbstverständlich, ohne Abgeschlossenheit, denn dafür war kein Platz. Weil es Luxus gewesen wäre, Bad und Wohnzimmer zu beheizen. Außerdem würde dann die Zeit fehlen, mit der Familie in der Küche beim Frühstücken zu reden und Spaß zu haben. Der Blick auf die ungeschönte Erscheinung des alternden Körpers, alles kein Thema. Anders als in den gutbürgerlichen Verhältnissen bei uns zu Hause.
Da fällt mir auch die WG-Zeit in den 8o-er Jahren ein. Hier wurde die kleinbürgerliche Prüderie angeklagt und von Offenheit ohne Tabus geschwärmt. Offene Türen im Bad und Schlafzimmer, das alles war mit politischer Fortschrittlichkeit verbunden. Alle waren jung und schön. Später haben sich die Badezimmertüren wieder geschlossen, das Bedürfnis nach einem Moment des Alleinseins überwog. Aber letztlich bin ich froh nicht sagen zu müssen, die Zeit im Badezimmer ist die wichtigste am Tag.