Texte zum Alltäglichen -
der wöchentliche Schreibblog
Was hinter dir liegt
RAU
… siehst du manchmal auch vor dir auf dem Tisch, überlegt sie beim Frühstück. Ist doch seltsam, dass sie gerade wieder an den ehemals besten Freund Konrads denkt, nur weil sie sich eine Scheibe jungen Gouda auf ihr Brötchen legt. Er aß damals morgens nur, wirklich ganz ausschließlich nur jungen Gouda aufs Brot, nichts anderes. Ob er es immer noch so macht?
Heute morgen hat sie ausnahmsweise noch ein bisschen Zeit, bevor sie ins Büro muss. Sieht über den gedeckten Frühstückstisch und bleibt am Honigglas hängen. Ihr Sohn Max aß jahrelang morgens nur Honigbrote, genauso wie sie früher als kleines Mädchen. W. aß ihn am liebsten auf Frischkäse, eine ihr bis dahin vollkommen unbekannte Mischung. Manchmal macht sie sich auch so ein cremig weiches und süßes Brot und denkt an ihn.
Bei Mutter gab es zu ihren Rinderrouladen nur kleingeschnittene Makkaroni, O. gab gerne etwas Senf und fein geschnittene Zwiebelringe auf seinen Emmentaler, L. mochte sonntags zwei Eier im Glas samt einem Stück Butter, Salz und Pfeffer und einer Messerspitze Senf, J. liebte seine Quark-Marmeladen-Brote, B. kochte zu Gulasch immer Kartoffeln statt Klößen, C. aß als Erstes abends in Frankreich immer eine Fischsuppe, S. schnitt gerne kleine Sardellenfilets klein und legte sie feinsäuberlich aufs Butterbrot. Mit H. aß sie Hering Sild in Kopenhagen, mit J. Oliven auf Santorin und mit G. kaufte sie in Venedig auf dem Markt ihre ersten Avocados.
Ist doch nur Essen, würde Konrad wohl jetzt sagen. Nicht nur, sondern auch starke Erinnerungen, die wie auf Schnipp die Menschen wachrufen und für einen Moment wieder mit ihr am Tisch sitzen lassen. Konrad würde sie einigermaßen ungläubig ansehen und sagen, was du alles so denkst.
Mit Max kann sie über so etwas reden, er weiß heute noch genau, wo er wann welchen Fisch zum ersten Mal gegessen hat, und wenn sie mal zusammen beim Fischstand auf dem Markt einkaufen, beginnt er zu erzählen. Erst neulich hat er angerufen, er hatte sich am Vortag etwas kränklich gefühlt und sich zum ersten Mal in seinem Leben einen Griesbrei gemacht. Beim Geruch der warmen Milch und des aufkeimenden Gries samt Zucker und Zitronenschale hat er sie plötzlich wieder den Brei rühren und sich als kleinen Jungen vor dem Herd in der alten Küche stehen sehen. Alles war wieder da, Mama, ich war klein und hab mich beschützt gefühlt, das war richtig schön.
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Was hinter dir liegt
RAU
… siehst du manchmal auch vor dir auf dem Tisch, überlegt sie beim Frühstück. Ist doch seltsam, dass sie gerade wieder an den ehemals besten Freund Konrads denkt, nur weil sie sich eine Scheibe jungen Gouda auf ihr Brötchen legt. Er aß damals morgens nur, wirklich ganz ausschließlich nur jungen Gouda aufs Brot, nichts anderes. Ob er es immer noch so macht?
Heute morgen hat sie ausnahmsweise noch ein bisschen Zeit, bevor sie ins Büro muss. Sieht über den gedeckten Frühstückstisch und bleibt am Honigglas hängen. Ihr Sohn Max aß jahrelang morgens nur Honigbrote, genauso wie sie früher als kleines Mädchen. W. aß ihn am liebsten auf Frischkäse, eine ihr bis dahin vollkommen unbekannte Mischung. Manchmal macht sie sich auch so ein cremig weiches und süßes Brot und denkt an ihn.
Bei Mutter gab es zu ihren Rinderrouladen nur kleingeschnittene Makkaroni, O. gab gerne etwas Senf und fein geschnittene Zwiebelringe auf seinen Emmentaler, L. mochte sonntags zwei Eier im Glas samt einem Stück Butter, Salz und Pfeffer und einer Messerspitze Senf, J. liebte seine Quark-Marmeladen-Brote, B. kochte zu Gulasch immer Kartoffeln statt Klößen, C. aß als Erstes abends in Frankreich immer eine Fischsuppe, S. schnitt gerne kleine Sardellenfilets klein und legte sie feinsäuberlich aufs Butterbrot. Mit H. aß sie Hering Sild in Kopenhagen, mit J. Oliven auf Santorin und mit G. kaufte sie in Venedig auf dem Markt ihre ersten Avocados.
Ist doch nur Essen, würde Konrad wohl jetzt sagen. Nicht nur, sondern auch starke Erinnerungen, die wie auf Schnipp die Menschen wachrufen und für einen Moment wieder mit ihr am Tisch sitzen lassen. Konrad würde sie einigermaßen ungläubig ansehen und sagen, was du alles so denkst.
Mit Max kann sie über so etwas reden, er weiß heute noch genau, wo er wann welchen Fisch zum ersten Mal gegessen hat, und wenn sie mal zusammen beim Fischstand auf dem Markt einkaufen, beginnt er zu erzählen. Erst neulich hat er angerufen, er hatte sich am Vortag etwas kränklich gefühlt und sich zum ersten Mal in seinem Leben einen Griesbrei gemacht. Beim Geruch der warmen Milch und des aufkeimenden Gries samt Zucker und Zitronenschale hat er sie plötzlich wieder den Brei rühren und sich als kleinen Jungen vor dem Herd in der alten Küche stehen sehen. Alles war wieder da, Mama, ich war klein und hab mich beschützt gefühlt, das war richtig schön.