Texte zum Alltäglichen -
der wöchentliche Schreibblog
Viel Stoff
RAU
Als frisch gebackene Abiturientin zum ersten Mal mit dem Freund am Meer. Eine Woche Campen in Hoek van Holland. Warmer, heißer Sommer, Sonnencreme, Berührungen, Fischbrötchen, billiger Chianti und ein unbändiges Gefühl von 'Jetzt-geht-das Leben-richtig-los'. Aber auch das: viele dicke Menschen, Frauen, Männer und auch Kinder schon.
„Warum?“, fragte sie.
„Weil es hier billig ist“, sagte er, „sieh die großen Frachtschiffe, die ganz dicht am Strand nach Rotterdam in den Hafen fahren. Bergen aan Zee können sich die Leute nicht leisten.“
„Wirklich?“
„Ja, leider. Zu wenig Bildung und zu wenig Geld, falsches Essen und schon siehst du so aus.“
Als junge Mutter mit den kleinen Söhnen bei den Schwiegereltern im hessischen Vogelsberg zu Besuch. Arme Gegend, Essen ist wichtig, vollgepackte Teller noch mehr. Öde Sommertage, deshalb raus ins Freibad. Ihre beiden kleinen Spargel-Tarzane fallen auf zwischen den vielen wohlgenährten und fülligen Kindern. Schnell noch ein Eis, einmal Chips, Pommes rot-weiß und natürlich eine Limo dazu. Sie staunt und erinnert sich an Holland.
Als Seniorin im Strandkorb an der Ostsee, ein kleiner bescheidener Ort ohne große Hotels und gute Lokale. Letzte warme Sommertage, Sonnencreme, Berührungen, Fischbrötchen, alkoholfreies Bier. Viele Frauen, Männer und auch Kinder sind beleibt, fast dick oder schon adipös. Speckringe, vorgewölbte Bäuche, Hüftgold unter Badehosen und -anzügen. Die da hinten im roten Bikini ist noch die Schlankste, früher wäre sie als leicht moppelig durchgegangen.
Hier sitzt und läuft viel verspeistes Essen, das gekauft, zubereitet und verspeist wurde. Belastung für die Gesundheit jedes Einzelnen und der Gemeinschaft wohl auch. T-Shirts, Blusen, Hosen, Kleider alle groß, Größe 44 aufwärts wohl eher die Norm, auch für die Jüngeren. Viel Stoff, um all die Fülle zu bedecken. Der entworfen, gewebt oder bedruckt, genäht, verkauft und gekauft, gewaschen, getrocknet und gebügelt werden muss. Auch eine Verschwendung von Ressourcen.
Die Gesellschaft spaltet sich immer mehr. In Alt und Jung, Stadt und Land, Ost und West, Dick und Dünn. Auf einmal viel Stoff zum Nachdenken an einem der letzten Sommertage am Strand.
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Viel Stoff
RAU
Als frisch gebackene Abiturientin zum ersten Mal mit dem Freund am Meer. Eine Woche Campen in Hoek van Holland. Warmer, heißer Sommer, Sonnencreme, Berührungen, Fischbrötchen, billiger Chianti und ein unbändiges Gefühl von 'Jetzt-geht-das Leben-richtig-los'. Aber auch das: viele dicke Menschen, Frauen, Männer und auch Kinder schon.
„Warum?“, fragte sie.
„Weil es hier billig ist“, sagte er, „sieh die großen Frachtschiffe, die ganz dicht am Strand nach Rotterdam in den Hafen fahren. Bergen aan Zee können sich die Leute nicht leisten.“
„Wirklich?“
„Ja, leider. Zu wenig Bildung und zu wenig Geld, falsches Essen und schon siehst du so aus.“
Als junge Mutter mit den kleinen Söhnen bei den Schwiegereltern im hessischen Vogelsberg zu Besuch. Arme Gegend, Essen ist wichtig, vollgepackte Teller noch mehr. Öde Sommertage, deshalb raus ins Freibad. Ihre beiden kleinen Spargel-Tarzane fallen auf zwischen den vielen wohlgenährten und fülligen Kindern. Schnell noch ein Eis, einmal Chips, Pommes rot-weiß und natürlich eine Limo dazu. Sie staunt und erinnert sich an Holland.
Als Seniorin im Strandkorb an der Ostsee, ein kleiner bescheidener Ort ohne große Hotels und gute Lokale. Letzte warme Sommertage, Sonnencreme, Berührungen, Fischbrötchen, alkoholfreies Bier. Viele Frauen, Männer und auch Kinder sind beleibt, fast dick oder schon adipös. Speckringe, vorgewölbte Bäuche, Hüftgold unter Badehosen und -anzügen. Die da hinten im roten Bikini ist noch die Schlankste, früher wäre sie als leicht moppelig durchgegangen.
Hier sitzt und läuft viel verspeistes Essen, das gekauft, zubereitet und verspeist wurde. Belastung für die Gesundheit jedes Einzelnen und der Gemeinschaft wohl auch. T-Shirts, Blusen, Hosen, Kleider alle groß, Größe 44 aufwärts wohl eher die Norm, auch für die Jüngeren. Viel Stoff, um all die Fülle zu bedecken. Der entworfen, gewebt oder bedruckt, genäht, verkauft und gekauft, gewaschen, getrocknet und gebügelt werden muss. Auch eine Verschwendung von Ressourcen.
Die Gesellschaft spaltet sich immer mehr. In Alt und Jung, Stadt und Land, Ost und West, Dick und Dünn. Auf einmal viel Stoff zum Nachdenken an einem der letzten Sommertage am Strand.