Texte zum Alltäglichen -
der wöchentliche Schreibblog
Verlaufen
RAU
Wie hübsch sie aussieht mit ihren langen Beinen in den kurzen Shorts und den hochgebundenen Haaren, denkt Charlotte, als sie ihre Tochter auf das Ferienhaus zugehen sieht. Doch als die die Haustür öffnet, ruft sie ihr recht streng zu. „Jetzt hat es aber doch länger gedauert.“
„Ja, sorry, dabei war ich mir so sicher …“, hört sie Cara im Flur murmeln.
Den Rest versteht Charlotte nicht mehr. „Macht nicht, hast du alles bekommen?“
Cara betritt die Küche und legt den Einkaufsbeutel auf den Tisch, die Haare zerzaust und die Wangen gerötet vom kühlen Wind. „In der ersten Bäckerei hatten sie nur das Ciabatta ...“.
„… also bist du zur nächsten“, unterbricht Charlotte sie, der Caras langsames Erzählen vor dem Frühstück wieder mal Einiges abverlangt.
„Die war aber gar nicht geöffnet, vier Wochen Betriebsurlaub.“
„In der Saison, nicht zu fassen“, meint Charlotte und setzt das Teewasser auf. Wenn es nach ihr gegangen wäre, hätten sie schon vor zwei Stunden gefrühstückt, aber wo sie schon mal alle zusammen sind, will sie nicht so sein.
„Nun lass mich doch mal ausreden, die nächste ganz hinten im Ort …“, setzt Cara wieder an.
„Oh weh, die ist gar nicht gut.“
„Immerhin hatten sie deinen Pumpernickel“, meint Cara jetzt etwas schnippisch.
„Was heißt meinen? Den essen wir doch alle gerne.“
„Meinst auch nur du“, knallt Cara ihr hin.
„Also Cara!“
„Ja Mama?“, säuselt die Tochter und grinst sie an.
„Und dann? Das Ganze dauert doch nicht so lange!“, Charlotte schüttelt den Kopf und holt aus dem Kühlschrank, Käse, Joghurt, Butter und Marmelade, den Obstsalat hat sie schon längst fertig geschnitten, „weit über eine Stunde bist du weg gewesen, um zwei Brote zu kaufen?"
"Und fünf Brötchen!“ Caras Stimme klingt nun wie die eines trotzigen Kleinkindes.
„Hast deinen Kopf mal wieder sonst wo gehabt, was? Gib mal den Beutel her, ich packe die Sachen gleich in den Korb.“
„Kann schon sein“, murmelt Cara und lässt kaltes Leitungswasser in ein großes Glas einlaufen.
„Wie oft habe ich dir schon gesagt, dass du zurücksehen sollst, bevor du einen Laden betrittst", meint Charlotte, "dann weißt du, wie es aussieht, woher du gekommen bist. Das war immer die erste Regel, um sich nicht zu verlaufen.“
„Hab‘ ich ja, aber dann sind auf einmal zwei süße kleine Hunde gekommen und haben so lustig miteinander gespielt und gerauft, dass ich gar nicht weitergehen wollte. Dann bin ich es doch, da kam schon der nette Schornsteinfeger auf seinem Rad vorbei, der sah genauso aus wie damals der in meinem alten Bilderbuch, total verrußte Backen hatte er.“
„Und meine Cara hat ihm verzaubert nachgesehen und dann den Weg zur nächsten Bäckerei nicht mehr gefunden, ist hierhin und dorthin gegangen, hat die schönen bunten Häuser bestaunt, sich alle Blumen in den Gärten angesehen und plötzlich nicht mehr gewusst, wo sie ist.“
Doch ihre Tochter hört gar nicht mehr zu, steht mit ihrem Glas schon auf der Terrasse und hat sich das Fernglas von der Fensterbank genommen.
„Zwei Kormorane auf dem Weg nach Süden“, ruft sie begeistert, „mit denen würde ich gerne mal mitfliegen.“
Wie schön, denkt Charlotte, mit denen zusammen würde ihr liebes Mädchen zumindest immer den richtigen Weg finden.
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RAU
Wie hübsch sie aussieht mit ihren langen Beinen in den kurzen Shorts und den hochgebundenen Haaren, denkt Charlotte, als sie ihre Tochter auf das Ferienhaus zugehen sieht. Doch als die die Haustür öffnet, ruft sie ihr recht streng zu. „Jetzt hat es aber doch länger gedauert.“
„Ja, sorry, dabei war ich mir so sicher …“, hört sie Cara im Flur murmeln.
Den Rest versteht Charlotte nicht mehr. „Macht nicht, hast du alles bekommen?“
Cara betritt die Küche und legt den Einkaufsbeutel auf den Tisch, die Haare zerzaust und die Wangen gerötet vom kühlen Wind. „In der ersten Bäckerei hatten sie nur das Ciabatta ...“.
„… also bist du zur nächsten“, unterbricht Charlotte sie, der Caras langsames Erzählen vor dem Frühstück wieder mal Einiges abverlangt.
„Die war aber gar nicht geöffnet, vier Wochen Betriebsurlaub.“
„In der Saison, nicht zu fassen“, meint Charlotte und setzt das Teewasser auf. Wenn es nach ihr gegangen wäre, hätten sie schon vor zwei Stunden gefrühstückt, aber wo sie schon mal alle zusammen sind, will sie nicht so sein.
„Nun lass mich doch mal ausreden, die nächste ganz hinten im Ort …“, setzt Cara wieder an.
„Oh weh, die ist gar nicht gut.“
„Immerhin hatten sie deinen Pumpernickel“, meint Cara jetzt etwas schnippisch.
„Was heißt meinen? Den essen wir doch alle gerne.“
„Meinst auch nur du“, knallt Cara ihr hin.
„Also Cara!“
„Ja Mama?“, säuselt die Tochter und grinst sie an.
„Und dann? Das Ganze dauert doch nicht so lange!“, Charlotte schüttelt den Kopf und holt aus dem Kühlschrank, Käse, Joghurt, Butter und Marmelade, den Obstsalat hat sie schon längst fertig geschnitten, „weit über eine Stunde bist du weg gewesen, um zwei Brote zu kaufen?"
"Und fünf Brötchen!“ Caras Stimme klingt nun wie die eines trotzigen Kleinkindes.
„Hast deinen Kopf mal wieder sonst wo gehabt, was? Gib mal den Beutel her, ich packe die Sachen gleich in den Korb.“
„Kann schon sein“, murmelt Cara und lässt kaltes Leitungswasser in ein großes Glas einlaufen.
„Wie oft habe ich dir schon gesagt, dass du zurücksehen sollst, bevor du einen Laden betrittst", meint Charlotte, "dann weißt du, wie es aussieht, woher du gekommen bist. Das war immer die erste Regel, um sich nicht zu verlaufen.“
„Hab‘ ich ja, aber dann sind auf einmal zwei süße kleine Hunde gekommen und haben so lustig miteinander gespielt und gerauft, dass ich gar nicht weitergehen wollte. Dann bin ich es doch, da kam schon der nette Schornsteinfeger auf seinem Rad vorbei, der sah genauso aus wie damals der in meinem alten Bilderbuch, total verrußte Backen hatte er.“
„Und meine Cara hat ihm verzaubert nachgesehen und dann den Weg zur nächsten Bäckerei nicht mehr gefunden, ist hierhin und dorthin gegangen, hat die schönen bunten Häuser bestaunt, sich alle Blumen in den Gärten angesehen und plötzlich nicht mehr gewusst, wo sie ist.“
Doch ihre Tochter hört gar nicht mehr zu, steht mit ihrem Glas schon auf der Terrasse und hat sich das Fernglas von der Fensterbank genommen.
„Zwei Kormorane auf dem Weg nach Süden“, ruft sie begeistert, „mit denen würde ich gerne mal mitfliegen.“
Wie schön, denkt Charlotte, mit denen zusammen würde ihr liebes Mädchen zumindest immer den richtigen Weg finden.