Texte zum Alltäglichen -
der wöchentliche Schreibblog
RAU
Wir kennen es nur zu genau, im Grunde genommen seit es uns gibt. Und dennoch haben wir uns nie wirklich daran gewöhnt, behaupte ich jetzt einfach mal.
Dieses Wochenende ist es wieder soweit: Das Thermometer auf meiner Terrasse zeigt morgens um sieben erstmals eine einstellige Zahl an, eine niedrige noch dazu, und die App verspricht für heute und leider auch gleich für die gesamte Woche hundsmiserables Wetter: größtenteils bedeckt, viel Regen, und die Höchsttemperatur wird nicht mehr als zehn Grad erreichen. Dazu ein ausdauernder, starker Ostwind, der die Blätter nur so davon wehen lassen wird. Mit aller Wucht schlägt nun also der Herbst zu, von wegen Indian Summer oder goldener Oktober, nichts da.
Auf den Schrecken muss ich mir erst einmal einen doppelten Espresso machen, wir haben Mitte Oktober und letzten Sonntag bin ich noch mit Bermudas und Chucks rumgelaufen, mit kurzärmeligem T-Shirt und abends einem leichten Blouson. Und jetzt ist es mir bereits nach dem Aufstehen zu kalt, von meinen nackten Füssen auf dem Fliesenboden in der Küche steigt das Frösteln blitzschnell hinauf bis in den Kopf. Oh nein, wieder Socken anziehen! Mit Handschuhen Rad fahren! Morgens um sieben und nachmittags ab fünf Licht anmachen! Die Bettdecke wechseln! Der lange, leidige, kühle, kalte, diesige, düstere und dunkle Mist geht wieder los! In zwei Wochen werden dann auch noch die Uhren umgestellt, an diesem einen speziellen Sonntag im Jahr genehmige ich mir nach dem Tanzen zuhause immer ein paar Whiskeys, das muss sein. In zwei Wochen also heißt es wieder: aus und vorbei mit all der köstlichen Leichtigkeit eines angenehmen Sommers.
Und schon geht der Blick zurück, vielleicht auch leicht verklärt, egal, und verharrt beim Tango auf dem Badeschiff in Treptow bei Mondschein zusammen mit Rosa. Nächtliches Baden im See mit ihr. Wenn sie wüsste, dass ich doch ein kleiner Romantiker bin, ich sollte es ihr beim nächsten Zoomgespräch einfach mal dezent unter die Nase reiben. Dann ziehen vor meinen Augen ein paar sehr angenehme Hochzeiten auf Landgütern in Brandenburg mit freundlichen Kunden vorbei, dabei auch einzelne hübsche oder fast schon schöne Frauen unter den Gästen. Viele gute Gespräche und Schachpartien mit Wolf auf seiner halb verwunschenen Dachterrasse, viele schöne Tänze, laue Nächte unter nichts als einem dünnen Laken, aufreizende Sonnenbrillen, Sandalen samt rot lackierten Fußnägeln, Grillenzirpen, viele herrlich milde Abende auf der Terrasse, das viele Licht an langen Abenden ebenso wie am frühen Morgen und meine meist gute Laune. Ich sehe bunte Blumen in Parks und Gärten, auf den Balkonen und den Märkten, auf den leichten Kleidern der Frauen und meine geliebten weißen Leinenhemden auf der leicht gebräunten Haut.
Die kann ich nachher schon mal gleich als Erstes wegpacken und dafür die dicken Pullover, Mütze, Schal, Handschuhe und Herbst- und eigentlich auch schon die Winterjacken aus dem Schrank holen, die geliebten Chucks gegen die dunkelbraunen Winterschuhe tauschen, das wird nicht lustig werden. Mutter nennt diese Zeit immer ihre gefürchtete Umsteigezeit. Ein sehr passender Ausdruck, wie ich finde, für eine rundum missliche und ausweglose Situation. Die Bahnauskunft gibt bei jeder Verbindung auch immer die Umsteigezeit bekannt, bei der Fahrt nach Braunschweig zum Beispiel beträgt sie neun Minuten in Spandau und acht Minuten in Hannover, wenn ich kurz nach zehn in Braunschweig sein müsste. Nur so als Beispiel. Wieviel Umsteigezeit gebe ich mir jetzt beim Wechsel von Sommer zu Herbst und drauffolgendem Winter mit noch mehr Dunkelheit und Kälte? Es hat schon mal Jahre gegeben, da bin ich ehrlicherweise gleich in der Umsteigezeit bis zum nächsten Frühjahr verharrt und habe sozusagen einen mentalen Winterschlaf hingelegt, heute kann ich mir das natürlich nicht mehr erlauben. Aber eine Woche ist sicherlich nicht zu viel veranschlagt, schließlich liegen ab heute locker zwanzig, wenn nicht vierundzwanzig Wochen vor mir, die höchstwahrscheinlich kein Leckerbissen sein werden, denn neben dem Jahreszeitenwechsel habe ich ja auch noch einige andere Baustellen zu stemmen.
Also gut, und abgemacht. Ich werde mir erst einmal sieben Tage Umsteigezeit genehmigen und wenn sie nicht ausreichen werden locker verlängern, in der ich schön langsam und mit Bedacht alles Nötige machen bzw. veranlassen werde. Reifen wechseln und Frostschutzwasser einfüllen, die nicht winterharten Pflanzen versorgen. Mir Kontrolltermine beim Augen-, Zahn- und Hausarzt besorgen, sämtliche Verträge bezüglich Auto-, Haftpflicht- und Hausratversicherung, Strom, DSL und Mobilphone überprüfen. Vielleicht sollte ich mich nach diesen Mühen auch mit einem neuen Stück belohnen? Einem neuen Kurzmantel in Schwarz womöglich, neulich habe ich beim Vorbeifahren einen interessanten im Schaufenster gesehen. Dann würde ich es so machen wie alle Frauen, die ich kenne. Zwei, drei neue schicke und gut passende Teile erhöhen einfach die Lust auf die eigentlich verhasste Jahreszeit. Nach dem Espresso werde ich gleich mal ein wenig im Netz recherchieren. Und wenn mir jetzt jemand mit Konsumkritik, mehr Nachhaltigkeit und diesem Schwachsinn kommen sollte, dem würde ich nur das Thermometer vor die Nase halten und entgegnen: Whiskey oder Mantel? Oder hast du für diesen absolut aussichtslosen Fall sonst noch eine zündende Idee?
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Wir kennen es nur zu genau, im Grunde genommen seit es uns gibt. Und dennoch haben wir uns nie wirklich daran gewöhnt, behaupte ich jetzt einfach mal.
Dieses Wochenende ist es wieder soweit: Das Thermometer auf meiner Terrasse zeigt morgens um sieben erstmals eine einstellige Zahl an, eine niedrige noch dazu, und die App verspricht für heute und leider auch gleich für die gesamte Woche hundsmiserables Wetter: größtenteils bedeckt, viel Regen, und die Höchsttemperatur wird nicht mehr als zehn Grad erreichen. Dazu ein ausdauernder, starker Ostwind, der die Blätter nur so davon wehen lassen wird. Mit aller Wucht schlägt nun also der Herbst zu, von wegen Indian Summer oder goldener Oktober, nichts da.
Auf den Schrecken muss ich mir erst einmal einen doppelten Espresso machen, wir haben Mitte Oktober und letzten Sonntag bin ich noch mit Bermudas und Chucks rumgelaufen, mit kurzärmeligem T-Shirt und abends einem leichten Blouson. Und jetzt ist es mir bereits nach dem Aufstehen zu kalt, von meinen nackten Füssen auf dem Fliesenboden in der Küche steigt das Frösteln blitzschnell hinauf bis in den Kopf. Oh nein, wieder Socken anziehen! Mit Handschuhen Rad fahren! Morgens um sieben und nachmittags ab fünf Licht anmachen! Die Bettdecke wechseln! Der lange, leidige, kühle, kalte, diesige, düstere und dunkle Mist geht wieder los! In zwei Wochen werden dann auch noch die Uhren umgestellt, an diesem einen speziellen Sonntag im Jahr genehmige ich mir nach dem Tanzen zuhause immer ein paar Whiskeys, das muss sein. In zwei Wochen also heißt es wieder: aus und vorbei mit all der köstlichen Leichtigkeit eines angenehmen Sommers.
Und schon geht der Blick zurück, vielleicht auch leicht verklärt, egal, und verharrt beim Tango auf dem Badeschiff in Treptow bei Mondschein zusammen mit Rosa. Nächtliches Baden im See mit ihr. Wenn sie wüsste, dass ich doch ein kleiner Romantiker bin, ich sollte es ihr beim nächsten Zoomgespräch einfach mal dezent unter die Nase reiben. Dann ziehen vor meinen Augen ein paar sehr angenehme Hochzeiten auf Landgütern in Brandenburg mit freundlichen Kunden vorbei, dabei auch einzelne hübsche oder fast schon schöne Frauen unter den Gästen. Viele gute Gespräche und Schachpartien mit Wolf auf seiner halb verwunschenen Dachterrasse, viele schöne Tänze, laue Nächte unter nichts als einem dünnen Laken, aufreizende Sonnenbrillen, Sandalen samt rot lackierten Fußnägeln, Grillenzirpen, viele herrlich milde Abende auf der Terrasse, das viele Licht an langen Abenden ebenso wie am frühen Morgen und meine meist gute Laune. Ich sehe bunte Blumen in Parks und Gärten, auf den Balkonen und den Märkten, auf den leichten Kleidern der Frauen und meine geliebten weißen Leinenhemden auf der leicht gebräunten Haut.
Die kann ich nachher schon mal gleich als Erstes wegpacken und dafür die dicken Pullover, Mütze, Schal, Handschuhe und Herbst- und eigentlich auch schon die Winterjacken aus dem Schrank holen, die geliebten Chucks gegen die dunkelbraunen Winterschuhe tauschen, das wird nicht lustig werden. Mutter nennt diese Zeit immer ihre gefürchtete Umsteigezeit. Ein sehr passender Ausdruck, wie ich finde, für eine rundum missliche und ausweglose Situation. Die Bahnauskunft gibt bei jeder Verbindung auch immer die Umsteigezeit bekannt, bei der Fahrt nach Braunschweig zum Beispiel beträgt sie neun Minuten in Spandau und acht Minuten in Hannover, wenn ich kurz nach zehn in Braunschweig sein müsste. Nur so als Beispiel. Wieviel Umsteigezeit gebe ich mir jetzt beim Wechsel von Sommer zu Herbst und drauffolgendem Winter mit noch mehr Dunkelheit und Kälte? Es hat schon mal Jahre gegeben, da bin ich ehrlicherweise gleich in der Umsteigezeit bis zum nächsten Frühjahr verharrt und habe sozusagen einen mentalen Winterschlaf hingelegt, heute kann ich mir das natürlich nicht mehr erlauben. Aber eine Woche ist sicherlich nicht zu viel veranschlagt, schließlich liegen ab heute locker zwanzig, wenn nicht vierundzwanzig Wochen vor mir, die höchstwahrscheinlich kein Leckerbissen sein werden, denn neben dem Jahreszeitenwechsel habe ich ja auch noch einige andere Baustellen zu stemmen.
Also gut, und abgemacht. Ich werde mir erst einmal sieben Tage Umsteigezeit genehmigen und wenn sie nicht ausreichen werden locker verlängern, in der ich schön langsam und mit Bedacht alles Nötige machen bzw. veranlassen werde. Reifen wechseln und Frostschutzwasser einfüllen, die nicht winterharten Pflanzen versorgen. Mir Kontrolltermine beim Augen-, Zahn- und Hausarzt besorgen, sämtliche Verträge bezüglich Auto-, Haftpflicht- und Hausratversicherung, Strom, DSL und Mobilphone überprüfen. Vielleicht sollte ich mich nach diesen Mühen auch mit einem neuen Stück belohnen? Einem neuen Kurzmantel in Schwarz womöglich, neulich habe ich beim Vorbeifahren einen interessanten im Schaufenster gesehen. Dann würde ich es so machen wie alle Frauen, die ich kenne. Zwei, drei neue schicke und gut passende Teile erhöhen einfach die Lust auf die eigentlich verhasste Jahreszeit. Nach dem Espresso werde ich gleich mal ein wenig im Netz recherchieren. Und wenn mir jetzt jemand mit Konsumkritik, mehr Nachhaltigkeit und diesem Schwachsinn kommen sollte, dem würde ich nur das Thermometer vor die Nase halten und entgegnen: Whiskey oder Mantel? Oder hast du für diesen absolut aussichtslosen Fall sonst noch eine zündende Idee?