Texte zum Alltäglichen -
der wöchentliche Schreibblog
Trödelmarkt
RAU
Das mit der gewissen Ordnung neulich geht mir noch nach. Warum ich Ordnung so liebe und brauche, aber Fülle und Unordnung ganz und gar nicht mag. Weil sie etwas mit mir machen, was mir nicht gefällt.
Volle Dachböden und Keller, Antiquitätenläden und Trödelmärkte lösen ein derartiges Unbehagen bei mir aus, dass ich nicht gerne hingehen und schon gar nicht genau hinsehen möchte. Denn hinter allem, hinter jeder Tasse, Lampe, Sitzgarnitur, Schallplatte, Kuchenzange sehe ich diejenigen, denen sie einmal gehört haben. Sehe ihre Gesichter und stelle mir ihr Leben vor. Jetzt brauchen sie das alles nicht mehr. All die Tassen, Lampen, Kuchenzangen und Teppiche haben ihnen einmal viel bedeutet, sie haben sie geschenkt bekommen, geerbt oder wohl überlegt angeschafft. Alles das ist ihnen einmal wichtig gewesen. Nun liegen die Dinge auf dem Trödelmarkt und erzählen von einem Früher, von vergangener Zeit und auch vom Tod. Hinter jeder Tasse, Lampe, Schallplatte, Sitzgarnitur und Kuchenzange höre ich es rufen: „Vorbei. Es war einmal.“
So gleicht der Besuch eines Trödelmarktes ein wenig dem Gang über einen Friedhof. Hier das Ungeordnete, Ausrangierte, nicht mehr Gewollte und Gebrauchte, zufällig nebeneinander oder aufeinander liegend und stehend. Dort geordnete Reihen mit Namen und Jahreszahlen zwischen Bäumen, Sträuchern, Pflanzen, Gestecken und Blumen, Vogelstimmen, manchmal auch einem übermütigen Eichhörnchen und immer viel Himmel und frischer Luft. Auch hier flüstert es hinter jedem Stein und jedem Kreuz: „Vorbei. Es war einmal.“
Wie rasch es geht. Gerade erst laufen gelernt, verliebt, die Einschulung des Jüngsten gefeiert, Silberhochzeit oder auch nicht begangen und schon das Ende. Wie kurz vierzig, siebzig oder zweiundneunzig Jahre in der Rückschau sind. Wo sind die Jahre geblieben, die Ereignisse, Vorhaben, Erlebnisse, Weggabelungen, Hoffnungen und Wünsche? Vorbei, es war einmal.
Die Dinge aber, sie bleiben. Gerne ein schönes Stück mitnehmen als Erinnerung an Mutter, Opa oder Großtante, aber das viele andere? Ab in den Keller, auf den Dachboden, zum Antiquitätenladen oder auf den Trödelmarkt. Tassen, Lampen, Teppiche, Sitzgarnitur, Schallplatten und Kuchenzange, wer möchte was haben, wer hat sich immer schon einmal so etwas gewünscht, wer macht einen guten Schnitt damit?
Auf dem Trödelmarkt können meine suchenden Augen nirgendwo Halt machen und sich an Nichts erfreuen. Unruhig hasten sie hin und her, vom Porzellangeschirr für zwölf Personen mit Goldrand zu einer Frau aus den Zwanzigerjahren. Hat sie tatsächlich eine vielköpfige Familie gehabt und die vielen Geschirrteile gebraucht, ist sie glücklich und alt geworden oder früh gestorben? Weiter zum abgewetzten Ohrensessel aus den Fünfzigerjahren. Ist der alte Herr, der hier oft saß, zufrieden gegangen, hatte er ein erfülltes Leben mit Kindern und Enkeln oder starb er einsam? Weiter zur Kuchenzange im Art Deco, wie viele Dinge aus dem ehemals wohlhabenden Haushalt mag es wohl noch geben, wurde darüber unter den Erben böse gestritten?
So viele Fragen ans Leben hängen auf dem Trödelmarkt an jedem noch so kleinen Ding. Das ist mir einfach zu viel.
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Trödelmarkt
RAU
Das mit der gewissen Ordnung neulich geht mir noch nach. Warum ich Ordnung so liebe und brauche, aber Fülle und Unordnung ganz und gar nicht mag. Weil sie etwas mit mir machen, was mir nicht gefällt.
Volle Dachböden und Keller, Antiquitätenläden und Trödelmärkte lösen ein derartiges Unbehagen bei mir aus, dass ich nicht gerne hingehen und schon gar nicht genau hinsehen möchte. Denn hinter allem, hinter jeder Tasse, Lampe, Sitzgarnitur, Schallplatte, Kuchenzange sehe ich diejenigen, denen sie einmal gehört haben. Sehe ihre Gesichter und stelle mir ihr Leben vor. Jetzt brauchen sie das alles nicht mehr. All die Tassen, Lampen, Kuchenzangen und Teppiche haben ihnen einmal viel bedeutet, sie haben sie geschenkt bekommen, geerbt oder wohl überlegt angeschafft. Alles das ist ihnen einmal wichtig gewesen. Nun liegen die Dinge auf dem Trödelmarkt und erzählen von einem Früher, von vergangener Zeit und auch vom Tod. Hinter jeder Tasse, Lampe, Schallplatte, Sitzgarnitur und Kuchenzange höre ich es rufen: „Vorbei. Es war einmal.“
So gleicht der Besuch eines Trödelmarktes ein wenig dem Gang über einen Friedhof. Hier das Ungeordnete, Ausrangierte, nicht mehr Gewollte und Gebrauchte, zufällig nebeneinander oder aufeinander liegend und stehend. Dort geordnete Reihen mit Namen und Jahreszahlen zwischen Bäumen, Sträuchern, Pflanzen, Gestecken und Blumen, Vogelstimmen, manchmal auch einem übermütigen Eichhörnchen und immer viel Himmel und frischer Luft. Auch hier flüstert es hinter jedem Stein und jedem Kreuz: „Vorbei. Es war einmal.“
Wie rasch es geht. Gerade erst laufen gelernt, verliebt, die Einschulung des Jüngsten gefeiert, Silberhochzeit oder auch nicht begangen und schon das Ende. Wie kurz vierzig, siebzig oder zweiundneunzig Jahre in der Rückschau sind. Wo sind die Jahre geblieben, die Ereignisse, Vorhaben, Erlebnisse, Weggabelungen, Hoffnungen und Wünsche? Vorbei, es war einmal.
Die Dinge aber, sie bleiben. Gerne ein schönes Stück mitnehmen als Erinnerung an Mutter, Opa oder Großtante, aber das viele andere? Ab in den Keller, auf den Dachboden, zum Antiquitätenladen oder auf den Trödelmarkt. Tassen, Lampen, Teppiche, Sitzgarnitur, Schallplatten und Kuchenzange, wer möchte was haben, wer hat sich immer schon einmal so etwas gewünscht, wer macht einen guten Schnitt damit?
Auf dem Trödelmarkt können meine suchenden Augen nirgendwo Halt machen und sich an Nichts erfreuen. Unruhig hasten sie hin und her, vom Porzellangeschirr für zwölf Personen mit Goldrand zu einer Frau aus den Zwanzigerjahren. Hat sie tatsächlich eine vielköpfige Familie gehabt und die vielen Geschirrteile gebraucht, ist sie glücklich und alt geworden oder früh gestorben? Weiter zum abgewetzten Ohrensessel aus den Fünfzigerjahren. Ist der alte Herr, der hier oft saß, zufrieden gegangen, hatte er ein erfülltes Leben mit Kindern und Enkeln oder starb er einsam? Weiter zur Kuchenzange im Art Deco, wie viele Dinge aus dem ehemals wohlhabenden Haushalt mag es wohl noch geben, wurde darüber unter den Erben böse gestritten?
So viele Fragen ans Leben hängen auf dem Trödelmarkt an jedem noch so kleinen Ding. Das ist mir einfach zu viel.