Texte zum Alltäglichen -
der wöchentliche Schreibblog
Tomaten weinen
WIE
„Wenn ihr ein Gemüse wäret, welches wäret ihr dann?“
Die Frage kommt etwas überraschend, und nicht jeder am Tisch weiß etwas damit anzufangen, wenngleich vor ihnen auf dem Tisch als Vorspeise eine große Platte mit diversen eingelegten Gemüsen steht.
„Häh, was soll das denn?", Günter äußert sich als erster, er ist für seine umbekümmerte Offenheit bekannt, „wie soll ich die Frage verstehen?“
„Sag jetzt nicht Salatgurke oder Zucchini in Anspielung auf das eher Maskuline“, warnt ihn Gabi.
„Habe ich auch nicht vor“, verteidigt sich Günther.
Doch die Frage scheint nicht bei allen auf die gleiche Ratlosigkeit zu stoßen, denn schon kommen erste Vorschläge.
„Ich überlege mir gerade, welche Eigenschaften ich zum Beispiel roter Paprika zuordne, sie ist doch eher gut gelaunt, temperamentvoll, etwas eitel, ein wenig aufgetakelt.“
"Genau, so ähnlich wie die Aubergine, durchaus selbstbewusst und von sich überzeugt, wenn auch weniger extrovertiert als eine Paprika.“
Es kommen keine Einwände, eine gewisse Ähnlichkeiten bei der Einschätzung scheint es also zu geben.
„Und wie seht ihr so den Sellerie, der ist doch auch eher introvertiert?“
„Ja, aber bei weitem nicht so sehr von sich selber überzeugt, eher so ein Naturtyp, etwas unfrisiert, ungeschminkt, mit eher gedämpften Farben bei den Klamotten.“
Doch da regt sich schon Widerstand.
„Was? Wenn ihr da mal nicht den Sellerie falsch einschätzt, der kann ganz schön energisch werden und wesentlich zur Geschmacksverstärkung betragen, um nicht zu sagen, die ganze Stimmung eines Essens bestimmen", meint Hartmut, der damit auch sich selber ganz gut beschrieben hat.
„Und was denkt ihr über Möhren?“, fragte Gesine.
Auch sie scheint mit dem Gedanken zu spielen, sich eher in der Möhre wiederzufinden. Vielleicht geht es gerade ja um so etwas wie ein Gemüsehoroskop?
„Möhren, grundsolide, vor allem auch gesund, aber insgesamt etwas langweilig, hübsch im Aussehen, aber auch nicht der heiße Besen.“
So genau wollte Gesine es vielleicht dann doch nicht wissen.
„Aber mit einem guten Olivenöl, Sesam und scharf angeröstet kann sie schon etwas Feuer entwickeln“, kommt Gabi ihrer Freundin Gesine zur Hilfe.
„So kriegst du jeden Langweiler aufgepäppelt, das ist aber nicht wirklich der Verdienst der Möhre.“ Günther nimmt mal wieder kein Blatt von den Mund.
„Oh weh, jetzt geht es ans Eingemachte“, bemerkt Claudia, die das Fragespiel vorgeschlagen hatte.
„Ich wusste es doch, zwischen Champignons und Blattspinat liegen Welten, genauso wie zwischen Fenchel und Artischocken“, meint Gabi und lässt lange den großen Löffel über die Platte kreisen, „ich hätte nicht gedacht, dass so eine Frage zu solchen Kontroversen führen kann. Ich weiß gar nicht, was ich jetzt noch nehmen soll? Vielleicht Tomaten.“
„Ja genau, was haltet ihr von Tomaten?“, möchte Claudia wissen.
„Tomaten weinen viel“, lautet Gabis Antwort spontan.
„Was, Tomaten weinen? Wie kommst du denn da drauf? Die prallen runden Dinger mit ihren roten Bäckchen?“
„Ja, Tomaten werden vollkommen falsch eingeschätzt. In ihnen verbirgt sich ein zartes, sensibles Wesen.“
„Tomate? Das ist doch ein Kind von Fröhlichkeit, eher so wie ein Kinderspielzeug.“ Günther ist mal wieder überzeugt, die richtige Einschätzung zu liefern.
Doch bei der Tomate driften die Meinungen auseinander.
„Nein, ganz bestimmt nicht, Tomaten weinen viel, auch wenn man es ihnen nicht ansieht.“
„Ausgerechnet Tomaten weinen? Dieses Allerweltsgemüse, das auf jeder Party, auf jedem Buffet, jedem Salatteller zu finden ist. Abgesehen von den vielen Variationen in Dosen, Tuben und Papppackungen, geschält, hochkonzentriert, getrocknet und passiert, als Ketchup, Mark und Saft.“
„Genau, vielleicht ist die Tomate der Inbegriff eines überfordertes Gemüses schlechthin, immer und überall im Einsatz, und doch nur wenig gewürdigt.“ Die Offenheit, mit der Gabi gerade ihre eigene Lebenssituation beschreibt, löst ein gewisses Schweigen aus.
Da wird auch schon der Hauptgang serviert, eine reich garnierte Fischplatte.
Texte zum Alltäglichen -
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Tomaten weinen
WIE
„Wenn ihr ein Gemüse wäret, welches wäret ihr dann?“
Die Frage kommt etwas überraschend, und nicht jeder am Tisch weiß etwas damit anzufangen, wenngleich vor ihnen auf dem Tisch als Vorspeise eine große Platte mit diversen eingelegten Gemüsen steht.
„Häh, was soll das denn?", Günter äußert sich als erster, er ist für seine umbekümmerte Offenheit bekannt, „wie soll ich die Frage verstehen?“
„Sag jetzt nicht Salatgurke oder Zucchini in Anspielung auf das eher Maskuline“, warnt ihn Gabi.
„Habe ich auch nicht vor“, verteidigt sich Günther.
Doch die Frage scheint nicht bei allen auf die gleiche Ratlosigkeit zu stoßen, denn schon kommen erste Vorschläge.
„Ich überlege mir gerade, welche Eigenschaften ich zum Beispiel roter Paprika zuordne, sie ist doch eher gut gelaunt, temperamentvoll, etwas eitel, ein wenig aufgetakelt.“
"Genau, so ähnlich wie die Aubergine, durchaus selbstbewusst und von sich überzeugt, wenn auch weniger extrovertiert als eine Paprika.“
Es kommen keine Einwände, eine gewisse Ähnlichkeiten bei der Einschätzung scheint es also zu geben.
„Und wie seht ihr so den Sellerie, der ist doch auch eher introvertiert?“
„Ja, aber bei weitem nicht so sehr von sich selber überzeugt, eher so ein Naturtyp, etwas unfrisiert, ungeschminkt, mit eher gedämpften Farben bei den Klamotten.“
Doch da regt sich schon Widerstand.
„Was? Wenn ihr da mal nicht den Sellerie falsch einschätzt, der kann ganz schön energisch werden und wesentlich zur Geschmacksverstärkung betragen, um nicht zu sagen, die ganze Stimmung eines Essens bestimmen", meint Hartmut, der damit auch sich selber ganz gut beschrieben hat.
„Und was denkt ihr über Möhren?“, fragte Gesine.
Auch sie scheint mit dem Gedanken zu spielen, sich eher in der Möhre wiederzufinden. Vielleicht geht es gerade ja um so etwas wie ein Gemüsehoroskop?
„Möhren, grundsolide, vor allem auch gesund, aber insgesamt etwas langweilig, hübsch im Aussehen, aber auch nicht der heiße Besen.“
So genau wollte Gesine es vielleicht dann doch nicht wissen.
„Aber mit einem guten Olivenöl, Sesam und scharf angeröstet kann sie schon etwas Feuer entwickeln“, kommt Gabi ihrer Freundin Gesine zur Hilfe.
„So kriegst du jeden Langweiler aufgepäppelt, das ist aber nicht wirklich der Verdienst der Möhre.“ Günther nimmt mal wieder kein Blatt von den Mund.
„Oh weh, jetzt geht es ans Eingemachte“, bemerkt Claudia, die das Fragespiel vorgeschlagen hatte.
„Ich wusste es doch, zwischen Champignons und Blattspinat liegen Welten, genauso wie zwischen Fenchel und Artischocken“, meint Gabi und lässt lange den großen Löffel über die Platte kreisen, „ich hätte nicht gedacht, dass so eine Frage zu solchen Kontroversen führen kann. Ich weiß gar nicht, was ich jetzt noch nehmen soll? Vielleicht Tomaten.“
„Ja genau, was haltet ihr von Tomaten?“, möchte Claudia wissen.
„Tomaten weinen viel“, lautet Gabis Antwort spontan.
„Was, Tomaten weinen? Wie kommst du denn da drauf? Die prallen runden Dinger mit ihren roten Bäckchen?“
„Ja, Tomaten werden vollkommen falsch eingeschätzt. In ihnen verbirgt sich ein zartes, sensibles Wesen.“
„Tomate? Das ist doch ein Kind von Fröhlichkeit, eher so wie ein Kinderspielzeug.“ Günther ist mal wieder überzeugt, die richtige Einschätzung zu liefern.
Doch bei der Tomate driften die Meinungen auseinander.
„Nein, ganz bestimmt nicht, Tomaten weinen viel, auch wenn man es ihnen nicht ansieht.“
„Ausgerechnet Tomaten weinen? Dieses Allerweltsgemüse, das auf jeder Party, auf jedem Buffet, jedem Salatteller zu finden ist. Abgesehen von den vielen Variationen in Dosen, Tuben und Papppackungen, geschält, hochkonzentriert, getrocknet und passiert, als Ketchup, Mark und Saft.“
„Genau, vielleicht ist die Tomate der Inbegriff eines überfordertes Gemüses schlechthin, immer und überall im Einsatz, und doch nur wenig gewürdigt.“ Die Offenheit, mit der Gabi gerade ihre eigene Lebenssituation beschreibt, löst ein gewisses Schweigen aus.
Da wird auch schon der Hauptgang serviert, eine reich garnierte Fischplatte.