Texte zum Alltäglichen -
der wöchentliche Schreibblog
Toleranz
RAU
Der Espresso schmeckt hervorragend, und der Korbstuhl ist bequem. Das Cafe liegt etwas zurückgesetzt von der Straße und bietet Schutz vor dem noch kühlen Wind. Konrad hat zu den beiden doppelten Espressi noch zwei Stücke Aprikosen-Streuselkuchen mitgebracht.
„Ist vegan, der Kuchen, sechzehn Euro alles zusammen, und für den Preis muss man es sich auch noch selber holen“, meint er.
„Hauptstadt eben“, sagt Charlotte.
Sie sitzen am Kudamm, wann hat es das zuletzt gegeben? An einem Sonntag. Bei Sonnenschein. Neben ihnen zwei junge Mütter mit ihren schlafenden Kleinen im Kinderwagen, vor ihnen ein älterer Herr mit der Frankfurter Sonntagszeitung, schräg davor ein Mann mit seiner schon betagten Mutter, der er rührend beim Hinsetzen hilft. Leise Stimmen, schlendernde Passanten, die Geräusche der vorbeifahrenden Autos wie durch einen Filter gedämpft.
Charlotte lehnt sich zurück und beginnt sich zu entspannen. Auch mal schön, hier zu sitzen, bei Sonne und im Windschatten zusammen einen guten Espresso zu trinken und einen noch besseren Kuchen zu essen. Wie Fremde in der eigenen Stadt, denkt sie, wie ein Touristenpaar bei einem Kurztrip in Paris, Bologna oder Madrid. Großstädtisch. Sie greift Konrads Hand. „Schön hier.“
Kaum hat sie es ausgesprochen, nimmt ein junges Paar neben ihnen Platz. Sie in Jogginghose und Sneakern, mit Sonnenbrille und Handtasche, alles in Weiß mit viel Glitzerkram, dazu schwarze, lange Mähne und aufgespritzte Lippen. Stellt vier Softdrinks in Plastikflaschen auf den Bistrotisch, öffnet die erste und reicht sie ihrem Begleiter. Der telefoniert noch, sein Gegenüber ist auf Lautsprecher gestellt, dann hockt er sich breitbeinig auf den Korbstuhl und trinkt die erste Flasche in einem Zug leer. Rülpst. Seine Jeans sind auf Kniehöhe aufgeschnitten und geben den Blick frei auf dicht behaarte Beine. Kahler Schädel und schwarze Lederjacke. Die Aufgespritzte greift nun ihr goldenes Smartphone, stellt auf Lautsprecher und beginnt auch zu telefonieren. Auf einmal sprechen vier Personen am Nebentisch auf Russisch, ziemlich laut.
Oh nein, denkt Charlotte und schiebt sich ein weiteres Kuchenstück in den Mund. Die sehen aus wie Prolls und benehmen sich wie Prolls, sind durch und durch Prolls. Leisten sich einfach mal so am Sonntag diese satten Preise für ihre blöden Softdrinks. Weil sie Russen sind, weil sie Geld haben, wer weiß, womit sie das verdienen. Könnten auch Araber sein, die sind genauso laut, oder Italiener oder Spanier. Sie sieht hinüber und versucht einen Blick von den beiden zu erhaschen, um ihnen unmißverständlich klarzumachen ... Wozu eigentlich, ärgert sie sich, die verstehen sowieso nicht, was ich meine. Verstehen nicht, dass sie mich stören, weil sie zu laut sind, weil sie diesen scheußlichen Kram tragen, weil sie nebenan sitzen.
Da verlässt man einmal das gewohnte Leben und sitzt schon im Schlamassel. An diesem schönen Sommertag des Jahres, auf der kleinen zurückgesetzten Terrasse am Kudamm. Alle genießen still die Sonne und den Windschatten, nur die Aufgespritzte und der Kahlschädel plärren ihre russischen Wörter in ihre Smartphones, aus denen es russisch zurück schreit. Es geht nicht ums Russische, denkt Charlotte, auf keinen Fall, es ginge auch nicht ums Arabische, Spanische oder Italienische. Sie will nur ihre Ruhe haben hier auf der kleinen, zurückgesetzten Terrasse und nicht gestört werden von lauten Stimmen, von aufgeschlitzten Jeans, glitzernden Sneakern, von einem Kahlschädel und aufgespritzten Lippen. Sie möchte den guten Espresso genießen und den noch besseren Kuchen, das Nebeneinandersitzen mit Konrad, möchte die gedämpften Geräusche der vorbeifahrenden Autos, die leisen Gespräche der beiden jungen Mütter genießen, dem Sohn da vorne zusehen, wie er jetzt seiner Mutter dabei hilft, ihre Jacke auszuziehen, sie möchte das alles und die Sonne genießen und sich wohlfühlen. Doch das kann sie nicht mehr, weil die da jetzt nebenan sitzen.
„Lass gut sein“, meint Konrad in diesem Moment und nimmt ihre Hand.
„Aber …“.
„Nix aber, entspann‘ Dich einfach.“
Doch sie starrt hinüber zum Nachbartisch und möchte spucken vor Wut oder die Aufgespritzte und den Kahlschädel einfach nur ganz laut anbrüllen und am liebsten gleich wegschubsen.
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RAU
Der Espresso schmeckt hervorragend, und der Korbstuhl ist bequem. Das Cafe liegt etwas zurückgesetzt von der Straße und bietet Schutz vor dem noch kühlen Wind. Konrad hat zu den beiden doppelten Espressi noch zwei Stücke Aprikosen-Streuselkuchen mitgebracht.
„Ist vegan, der Kuchen, sechzehn Euro alles zusammen, und für den Preis muss man es sich auch noch selber holen“, meint er.
„Hauptstadt eben“, sagt Charlotte.
Sie sitzen am Kudamm, wann hat es das zuletzt gegeben? An einem Sonntag. Bei Sonnenschein. Neben ihnen zwei junge Mütter mit ihren schlafenden Kleinen im Kinderwagen, vor ihnen ein älterer Herr mit der Frankfurter Sonntagszeitung, schräg davor ein Mann mit seiner schon betagten Mutter, der er rührend beim Hinsetzen hilft. Leise Stimmen, schlendernde Passanten, die Geräusche der vorbeifahrenden Autos wie durch einen Filter gedämpft.
Charlotte lehnt sich zurück und beginnt sich zu entspannen. Auch mal schön, hier zu sitzen, bei Sonne und im Windschatten zusammen einen guten Espresso zu trinken und einen noch besseren Kuchen zu essen. Wie Fremde in der eigenen Stadt, denkt sie, wie ein Touristenpaar bei einem Kurztrip in Paris, Bologna oder Madrid. Großstädtisch. Sie greift Konrads Hand. „Schön hier.“
Kaum hat sie es ausgesprochen, nimmt ein junges Paar neben ihnen Platz. Sie in Jogginghose und Sneakern, mit Sonnenbrille und Handtasche, alles in Weiß mit viel Glitzerkram, dazu schwarze, lange Mähne und aufgespritzte Lippen. Stellt vier Softdrinks in Plastikflaschen auf den Bistrotisch, öffnet die erste und reicht sie ihrem Begleiter. Der telefoniert noch, sein Gegenüber ist auf Lautsprecher gestellt, dann hockt er sich breitbeinig auf den Korbstuhl und trinkt die erste Flasche in einem Zug leer. Rülpst. Seine Jeans sind auf Kniehöhe aufgeschnitten und geben den Blick frei auf dicht behaarte Beine. Kahler Schädel und schwarze Lederjacke. Die Aufgespritzte greift nun ihr goldenes Smartphone, stellt auf Lautsprecher und beginnt auch zu telefonieren. Auf einmal sprechen vier Personen am Nebentisch auf Russisch, ziemlich laut.
Oh nein, denkt Charlotte und schiebt sich ein weiteres Kuchenstück in den Mund. Die sehen aus wie Prolls und benehmen sich wie Prolls, sind durch und durch Prolls. Leisten sich einfach mal so am Sonntag diese satten Preise für ihre blöden Softdrinks. Weil sie Russen sind, weil sie Geld haben, wer weiß, womit sie das verdienen. Könnten auch Araber sein, die sind genauso laut, oder Italiener oder Spanier. Sie sieht hinüber und versucht einen Blick von den beiden zu erhaschen, um ihnen unmißverständlich klarzumachen ... Wozu eigentlich, ärgert sie sich, die verstehen sowieso nicht, was ich meine. Verstehen nicht, dass sie mich stören, weil sie zu laut sind, weil sie diesen scheußlichen Kram tragen, weil sie nebenan sitzen.
Da verlässt man einmal das gewohnte Leben und sitzt schon im Schlamassel. An diesem schönen Sommertag des Jahres, auf der kleinen zurückgesetzten Terrasse am Kudamm. Alle genießen still die Sonne und den Windschatten, nur die Aufgespritzte und der Kahlschädel plärren ihre russischen Wörter in ihre Smartphones, aus denen es russisch zurück schreit. Es geht nicht ums Russische, denkt Charlotte, auf keinen Fall, es ginge auch nicht ums Arabische, Spanische oder Italienische. Sie will nur ihre Ruhe haben hier auf der kleinen, zurückgesetzten Terrasse und nicht gestört werden von lauten Stimmen, von aufgeschlitzten Jeans, glitzernden Sneakern, von einem Kahlschädel und aufgespritzten Lippen. Sie möchte den guten Espresso genießen und den noch besseren Kuchen, das Nebeneinandersitzen mit Konrad, möchte die gedämpften Geräusche der vorbeifahrenden Autos, die leisen Gespräche der beiden jungen Mütter genießen, dem Sohn da vorne zusehen, wie er jetzt seiner Mutter dabei hilft, ihre Jacke auszuziehen, sie möchte das alles und die Sonne genießen und sich wohlfühlen. Doch das kann sie nicht mehr, weil die da jetzt nebenan sitzen.
„Lass gut sein“, meint Konrad in diesem Moment und nimmt ihre Hand.
„Aber …“.
„Nix aber, entspann‘ Dich einfach.“
Doch sie starrt hinüber zum Nachbartisch und möchte spucken vor Wut oder die Aufgespritzte und den Kahlschädel einfach nur ganz laut anbrüllen und am liebsten gleich wegschubsen.