Texte zum Alltäglichen -
der wöchentliche Schreibblog
Technik
WIE
Nach langer Zeit fahre ich mal wieder mit dem Fahrrad durch eine Straße, die ich von früher gut kenne. Auch das Gebäude in der Mitte, das Rechenzentrum der Universität Bonn, kenne ich gut. Es steht leer, die Jalousien hängen schief vor den dunklen Fenstern, viele Container vor dem Eingang sind bereits gefüllt, es wird ausgeschlachtet, entsorgt, entrümpelt. Undefinierbare Blechkuben, Klimaschächte, Kabel sind zu sehen.
Vor über vierzig Jahren ging ich hier ein und aus. Als studentische Hilfskraft hatte ich die Aufgabe, Datenträger aus unserem Institut hierher zu bringen oder Rechenergebnisse abzuholen. Diese Form der Datenübertragung mit dem Fahrrad hieß damals physisch.
Im Gegensatz zu der vertrauten Atmosphäre am Uni-Schloss blieb mir das Rechenzentrums immer fremd. Die dunklen Gänge, in denen keine Plakate oder sonstige Papieranschläge an den Wänden hingen, die Büros mit den vielen Türen, an denen nichts stand, hinter denen man dennoch jemanden finden musste, dem man den Rechenauftrag anvertrauen konnte.
In diesem Gebäude arbeiteten studentische Hilfskräfte. Sie waren in meinem Alter, trugen die gleichen Flanellhemden, die gleichen langen Haare, Bärte und Nickelbrillen. Aus den Hemdentaschen lugten Tabakbeutel zum selber drehen, aber das war es auch schon an Gemeinsamkeiten.
Ansonsten war das hier eine andere Welt. Es gab keine bestimmten Abteilungen oder Arbeitsplätze, alle waren überall, vor allem aber auch nirgends. Auch wies nichts darauf hin, dass man es sich hier gemütlich machen oder von anderen abgrenzen wollte. Warum auch, jeder war nur mit sich selber und seinem Computer beschäftigt. Ansonsten waren die großen Lüfter zu hören neben dem schrillen Zirpen der Nadeldrucker. Doch ich wusste, hier lebt die Technik von morgen, hier wird gerade an der digitalen Revolution gebastelt, hier wird die Zukunft programmiert. Von Männern, die vor Bildschirmen sitzen, aber kein Fernsehen gucken, sondern auf Buchstaben und Zahlen schauen, die sie so spannend finden, dass andere Menschen aus der alten Welt übersehen werden. Besucher wie ich, die nicht verstehen, um was es hier geht, weil sie nicht wissen, wie die wirkliche Technik der digitalen Welt funktioniert.
Wenn ich damals geäußert hätte, dass diese technischer Zukunft vierzig Jahre später bereits überholt sein und abgerissen wird, hätte man mich für verrückt erklärt. Die Vorstellung, dass die Technik, die hier arbeitet, von keinem mehr gebraucht werden und veraltet sein wird, keiner mehr bedienen kann, ist unvorstellbar gewesen.
Ich habe es damals auch nicht geahnt, wie auch. Wer Karriere machen wollte, musste die Computerwelt gut finden. Der musste an die einzig geltenden Sprache der Zukunft glauben. Sie hieß MS DOS, neben weiteren Programmiersprachen, die nahezu täglich wechselten. Die Männer, die hier lebten, haben sie beherrscht. Die zwar kaum sprachen, im Halbdunkeln vor grünen Bildschirmen saßen und das jedem anderen Zuhause vorzogen. Und doch hatte ich damals schon das Gefühl, irgendwelche Spinnweben in ihren Haaren zu sehen, genauso wie etwas Moos am Hals und an den Händen. Kein Wunder bei Menschen, die ohne Licht und Frischluft auskommen.
Diese Männer sind jetzt im Ruhestand, denke ich, als ich mit dem Fahrrad an den Containern vorbeifahre, in die das Innere des Rechenzentrums gerade verfrachtet wird. Die Vorreiter der digitalen Technik von damals sind jetzt wahrscheinlich mit ihren Hobbys beschäftigt, Oldtimer reparieren, gute alte Rotweine dechambrieren, Schallplattensammlungen sortieren oder Knieschäden therapieren, auch wegen der vielen Sitzerei zuvor.
Also das Gegenteil von dem, wie es die technikaffine Generation von Heute handhabt. Diese sitzt auf den kanarischen Inseln in der Sonne, unter einem Strohdach am kleinen Laptop, über WLAN mit dem Rest der Welt verbunden. Ihre Datenspeicher sind in den Wolken, es rauschen keine Lüfter, rotieren keine Festplatten. Auch sie sind davon überzeugt, sich jetzt bereits in der Zukunft zu befinden. Doch auch die darauffolgende Zukunft wird wahrscheinlich anders aussehen, als sie vermuten.
Irgendwann wird auch das letzte digitale Gerümpel entsorgt sein, wird die materielle Technik, werden Handys, Bildschirme verschwinden. Nichts mehr davon wird dann noch notwendig sein, alles wird dann bereits tief in den Köpfen stecken.
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WIE
Nach langer Zeit fahre ich mal wieder mit dem Fahrrad durch eine Straße, die ich von früher gut kenne. Auch das Gebäude in der Mitte, das Rechenzentrum der Universität Bonn, kenne ich gut. Es steht leer, die Jalousien hängen schief vor den dunklen Fenstern, viele Container vor dem Eingang sind bereits gefüllt, es wird ausgeschlachtet, entsorgt, entrümpelt. Undefinierbare Blechkuben, Klimaschächte, Kabel sind zu sehen.
Vor über vierzig Jahren ging ich hier ein und aus. Als studentische Hilfskraft hatte ich die Aufgabe, Datenträger aus unserem Institut hierher zu bringen oder Rechenergebnisse abzuholen. Diese Form der Datenübertragung mit dem Fahrrad hieß damals physisch.
Im Gegensatz zu der vertrauten Atmosphäre am Uni-Schloss blieb mir das Rechenzentrums immer fremd. Die dunklen Gänge, in denen keine Plakate oder sonstige Papieranschläge an den Wänden hingen, die Büros mit den vielen Türen, an denen nichts stand, hinter denen man dennoch jemanden finden musste, dem man den Rechenauftrag anvertrauen konnte.
In diesem Gebäude arbeiteten studentische Hilfskräfte. Sie waren in meinem Alter, trugen die gleichen Flanellhemden, die gleichen langen Haare, Bärte und Nickelbrillen. Aus den Hemdentaschen lugten Tabakbeutel zum selber drehen, aber das war es auch schon an Gemeinsamkeiten.
Ansonsten war das hier eine andere Welt. Es gab keine bestimmten Abteilungen oder Arbeitsplätze, alle waren überall, vor allem aber auch nirgends. Auch wies nichts darauf hin, dass man es sich hier gemütlich machen oder von anderen abgrenzen wollte. Warum auch, jeder war nur mit sich selber und seinem Computer beschäftigt. Ansonsten waren die großen Lüfter zu hören neben dem schrillen Zirpen der Nadeldrucker. Doch ich wusste, hier lebt die Technik von morgen, hier wird gerade an der digitalen Revolution gebastelt, hier wird die Zukunft programmiert. Von Männern, die vor Bildschirmen sitzen, aber kein Fernsehen gucken, sondern auf Buchstaben und Zahlen schauen, die sie so spannend finden, dass andere Menschen aus der alten Welt übersehen werden. Besucher wie ich, die nicht verstehen, um was es hier geht, weil sie nicht wissen, wie die wirkliche Technik der digitalen Welt funktioniert.
Wenn ich damals geäußert hätte, dass diese technischer Zukunft vierzig Jahre später bereits überholt sein und abgerissen wird, hätte man mich für verrückt erklärt. Die Vorstellung, dass die Technik, die hier arbeitet, von keinem mehr gebraucht werden und veraltet sein wird, keiner mehr bedienen kann, ist unvorstellbar gewesen.
Ich habe es damals auch nicht geahnt, wie auch. Wer Karriere machen wollte, musste die Computerwelt gut finden. Der musste an die einzig geltenden Sprache der Zukunft glauben. Sie hieß MS DOS, neben weiteren Programmiersprachen, die nahezu täglich wechselten. Die Männer, die hier lebten, haben sie beherrscht. Die zwar kaum sprachen, im Halbdunkeln vor grünen Bildschirmen saßen und das jedem anderen Zuhause vorzogen. Und doch hatte ich damals schon das Gefühl, irgendwelche Spinnweben in ihren Haaren zu sehen, genauso wie etwas Moos am Hals und an den Händen. Kein Wunder bei Menschen, die ohne Licht und Frischluft auskommen.
Diese Männer sind jetzt im Ruhestand, denke ich, als ich mit dem Fahrrad an den Containern vorbeifahre, in die das Innere des Rechenzentrums gerade verfrachtet wird. Die Vorreiter der digitalen Technik von damals sind jetzt wahrscheinlich mit ihren Hobbys beschäftigt, Oldtimer reparieren, gute alte Rotweine dechambrieren, Schallplattensammlungen sortieren oder Knieschäden therapieren, auch wegen der vielen Sitzerei zuvor.
Also das Gegenteil von dem, wie es die technikaffine Generation von Heute handhabt. Diese sitzt auf den kanarischen Inseln in der Sonne, unter einem Strohdach am kleinen Laptop, über WLAN mit dem Rest der Welt verbunden. Ihre Datenspeicher sind in den Wolken, es rauschen keine Lüfter, rotieren keine Festplatten. Auch sie sind davon überzeugt, sich jetzt bereits in der Zukunft zu befinden. Doch auch die darauffolgende Zukunft wird wahrscheinlich anders aussehen, als sie vermuten.
Irgendwann wird auch das letzte digitale Gerümpel entsorgt sein, wird die materielle Technik, werden Handys, Bildschirme verschwinden. Nichts mehr davon wird dann noch notwendig sein, alles wird dann bereits tief in den Köpfen stecken.