Texte zum Alltäglichen -
der wöchentliche Schreibblog
Streifen
WIE
„Was machst du da?“
„Ich zähle.“
„Was zählst du?“
„Die Streifen.“
„Was machst du????“
Es ist nicht immer leicht mit manchen Menschen, denke ich, während Niki mit seinen Fingernägeln den Streifen des Sitzpolstermusters entlangfährt und tief versunken ist. Und habe schon ein schlechtes Gewissen, ob ich ihn mit meiner Frage womöglich störe, aber er fährt weiterhin geduldig mit Zeige- und Mittelfinger das Muster entlang.
„Wir müssen gleich aussteigen“, unterbreche ich ihn, denn der Bus steuert bereits die Haltestelle an. Doch meine Befürchtung, jetzt einen grellen Protestschrei zu hören, bestätigt sich nicht, und wir verlassen den Bus. Während ich auf dem Busbahnhof umherschaue, um den Weg zur S Bahn zu finden, ist er schon damit beschäftigt, mit seinen Schuhspitzen die Streifen der Schatten zu berühren, die das Glasdach der Haltestelle auf den Boden wirft. Als wir dann auf dem Weg zum Bahnhof einen Zebrastreifen überqueren, fällt unser langsames Tempo nicht weiter auf, da sich eine ältere Dame mit Rollator im ähnlichen Tempo neben uns bewegt. Etwas schwieriger ist da schon das Streifenmuster auf dem Bürgersteig, über das sich Niki nur mit kleinsten Trippelschritten bewegt. Hier verlieren wir wertvolle Minuten, was mich nicht gerade ruhiger werden lässt.
Auf dem Bahnsteig lese ich auf der Anzeigetafel, dass die S-Bahn dreissig Minuten Verspätung hat, und schaue umher, um irgendeine sinnvolle Ablenkung zu finden. Mit einem gewissen Glücksgefühl entdecke ich das Schienengewirr vor dem Bahnhof, das man gut sehen kann, und erfreue mich an der Präzision dieser Ansammlung von Linien und Schwellen. Reiße mich dann aber doch los, um gleich am Streifenpullover eines jungen Mannes hängen zu bleiben, das elegant von einem schwarzen Bündel langen Haares durchbrochen wird. Von da aus wandert mein Blick auf eine heruntergelassene Klappjalousie des Bahnsteighäuschen. Auch hier präzise Streifen, die sich nach unten hin seitlich verschieben, weil dort etwas liegt. Ein herrliches Arrangement.
Wo ist eigentlich Niki gerade? Ich entdecke ihn etwas weiter vorne auf einer Bank sitzen. Er ist damit beschäftigt, die Streifen einer Cordhose einer junge Frau mit blonden Haaren und dunklen Strähnchen mit seinem Zeigefinger abzufahren. Dass sie auch noch einen Stoffrucksack mit hellgrünen und beigen Streifen trägt, scheint Niki aber nicht so interessieren, er ist ganz mit dem Abtasten der Cordstreifen beschäftigt. Glücklicherweise macht er das etwa in Kniehöhe und nicht woanders. Als ich eingreifen und mich für Nikis Verhalten entschuldigen will, lässt mich die junge Frau netterweise wissen: „Lassen sie ihn ruhig, ich habe auch ein Faible für Streifen. Von mir aus könnte alles gestreift sein. Waren sie schon mal in Orvieto? Das sind sogar die Kirchen gestreift. Da müssen sie mal mit ihrem Sohn hinfahren, das würde ihm gefallen.“
Dass Niki gar nicht mein Sohn ist, und ich trotzdem die Vorliebe für alles Gestreifte mit ihm teile, erwähne ich nicht.
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Streifen
WIE
„Was machst du da?“
„Ich zähle.“
„Was zählst du?“
„Die Streifen.“
„Was machst du????“
Es ist nicht immer leicht mit manchen Menschen, denke ich, während Niki mit seinen Fingernägeln den Streifen des Sitzpolstermusters entlangfährt und tief versunken ist. Und habe schon ein schlechtes Gewissen, ob ich ihn mit meiner Frage womöglich störe, aber er fährt weiterhin geduldig mit Zeige- und Mittelfinger das Muster entlang.
„Wir müssen gleich aussteigen“, unterbreche ich ihn, denn der Bus steuert bereits die Haltestelle an. Doch meine Befürchtung, jetzt einen grellen Protestschrei zu hören, bestätigt sich nicht, und wir verlassen den Bus. Während ich auf dem Busbahnhof umherschaue, um den Weg zur S Bahn zu finden, ist er schon damit beschäftigt, mit seinen Schuhspitzen die Streifen der Schatten zu berühren, die das Glasdach der Haltestelle auf den Boden wirft. Als wir dann auf dem Weg zum Bahnhof einen Zebrastreifen überqueren, fällt unser langsames Tempo nicht weiter auf, da sich eine ältere Dame mit Rollator im ähnlichen Tempo neben uns bewegt. Etwas schwieriger ist da schon das Streifenmuster auf dem Bürgersteig, über das sich Niki nur mit kleinsten Trippelschritten bewegt. Hier verlieren wir wertvolle Minuten, was mich nicht gerade ruhiger werden lässt.
Auf dem Bahnsteig lese ich auf der Anzeigetafel, dass die S-Bahn dreissig Minuten Verspätung hat, und schaue umher, um irgendeine sinnvolle Ablenkung zu finden. Mit einem gewissen Glücksgefühl entdecke ich das Schienengewirr vor dem Bahnhof, das man gut sehen kann, und erfreue mich an der Präzision dieser Ansammlung von Linien und Schwellen. Reiße mich dann aber doch los, um gleich am Streifenpullover eines jungen Mannes hängen zu bleiben, das elegant von einem schwarzen Bündel langen Haares durchbrochen wird. Von da aus wandert mein Blick auf eine heruntergelassene Klappjalousie des Bahnsteighäuschen. Auch hier präzise Streifen, die sich nach unten hin seitlich verschieben, weil dort etwas liegt. Ein herrliches Arrangement.
Wo ist eigentlich Niki gerade? Ich entdecke ihn etwas weiter vorne auf einer Bank sitzen. Er ist damit beschäftigt, die Streifen einer Cordhose einer junge Frau mit blonden Haaren und dunklen Strähnchen mit seinem Zeigefinger abzufahren. Dass sie auch noch einen Stoffrucksack mit hellgrünen und beigen Streifen trägt, scheint Niki aber nicht so interessieren, er ist ganz mit dem Abtasten der Cordstreifen beschäftigt. Glücklicherweise macht er das etwa in Kniehöhe und nicht woanders. Als ich eingreifen und mich für Nikis Verhalten entschuldigen will, lässt mich die junge Frau netterweise wissen: „Lassen sie ihn ruhig, ich habe auch ein Faible für Streifen. Von mir aus könnte alles gestreift sein. Waren sie schon mal in Orvieto? Das sind sogar die Kirchen gestreift. Da müssen sie mal mit ihrem Sohn hinfahren, das würde ihm gefallen.“
Dass Niki gar nicht mein Sohn ist, und ich trotzdem die Vorliebe für alles Gestreifte mit ihm teile, erwähne ich nicht.