Texte zum Alltäglichen -
der wöchentliche Schreibblog
Sonne
RAU
Auf einmal ist sie da. Nicht draußen, wo seit Tagen schon dicke Regentropfen auf die Stadt prasseln, sondern hier in dem abgedunkelten Museumsraum scheint sie ihr direkt ins Auge.
In einem Gemälde von William Turner, ein Weg unter Bäumen entlang eines Flusses, dahinter am Horizont in leichter Unschärfe die Gebäude einer Ortschaft. Schiffe im Wasser, schemenhafte Gestalten im Schatten der Bäume, ein Tisch und ein Stuhl samt rotem Tuch seltsam fremd auf dem Rasen, frisches Grün überall und viele Schattenwürfe. Ein schwarzer Hund hat es schon auf die Mauer geschafft, während es der kleinere, weiße noch versucht. Auch er will aus dem Schatten heraus oben ins Licht. Das kommt aus dem Hintergrund des Bildes, dort thront in der Mitte die Sonne so strahlend gelb, dass sie zur Sonnenbrille greifen möchte.
Wurde sie schon einmal so geblendet von einem Sonnenlicht im Bild? Wie nur hat Turner es geschafft, das Gegenlicht so meisterlich auf die Leinwand zu bannen? Wie überhaupt ist er auf diese geniale Idee gekommen, dass sie auch zweihundert Jahre später noch die Leuchtkraft und Wärme am eigenen Körper spürt?
Wirklich oft hat sie noch nicht über die Sonne nachgedacht, natürlich bringt sie das Licht und die Wärme, strukturiert die vierundzwanzig Stunden eines jeden Tages, geht im festen Rhythmus auf und wieder unter, lässt Pflanzen wachsen und gedeihen, bringt Sonnenbrand und im schlimmsten Fall auch Hautkrebs. Meist freut sie sich über sie, denn alles dort draußen und tief in ihr drinnen beginnt dann zu leuchten. In den vergangenen Sommern allerdings schien sie wochenlang schier unaufhörlich, dass sie schon morgens die Vorhänge zuzog, um nicht vor Hitze zu zerfließen, und sich auf einmal einen trüben Himmel und sogar Regen wünschte. Und es gab auch viele Tage im Leben, an denen sie sie gar nicht sehen wollte, auch die gab es leider.
Doch jetzt vor dem Turnerbild spürt sie wieder die ungeheure Kraft, diese belebende Energie, die von dem gemalten runden gelben Kreis ausgeht. Überbordende Freude, die die Tage leicht werden lassen. Auch die beiden Hunde spüren sie und sind mit dabei. Fast beginnt sie zu lachen, so sehr gefallen ihr die beiden.
Die anderen Bilder der Ausstellung haben es jetzt schwer, ihre Aufmerksamkeit zu gewinnen, sie weiß, dass es nicht gerecht ist, aber geht dennoch ziemlich eilig, fast getrieben an ihnen vorbei. Nirgends mehr bleibt sie länger stehen, kein anderes Werk vermag sie zu fesseln. Nach dem Rundgang geht sie sofort wieder zum Turner, um sich zu vergewissern. Hat sie womöglich nur geträumt oder etwas gesehen, was gar nicht im Bild ist? Doch alles ist wieder da: das Gegenlicht, die Freude, die unglaublich spürbare Energie. Und auch das leichte Blinzeln ihrer Augen. Alles saugt sie noch einmal ganz tief ein und geht dann leichten Schrittes hinaus in den Regen.
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Sonne
RAU
Auf einmal ist sie da. Nicht draußen, wo seit Tagen schon dicke Regentropfen auf die Stadt prasseln, sondern hier in dem abgedunkelten Museumsraum scheint sie ihr direkt ins Auge.
In einem Gemälde von William Turner, ein Weg unter Bäumen entlang eines Flusses, dahinter am Horizont in leichter Unschärfe die Gebäude einer Ortschaft. Schiffe im Wasser, schemenhafte Gestalten im Schatten der Bäume, ein Tisch und ein Stuhl samt rotem Tuch seltsam fremd auf dem Rasen, frisches Grün überall und viele Schattenwürfe. Ein schwarzer Hund hat es schon auf die Mauer geschafft, während es der kleinere, weiße noch versucht. Auch er will aus dem Schatten heraus oben ins Licht. Das kommt aus dem Hintergrund des Bildes, dort thront in der Mitte die Sonne so strahlend gelb, dass sie zur Sonnenbrille greifen möchte.
Wurde sie schon einmal so geblendet von einem Sonnenlicht im Bild? Wie nur hat Turner es geschafft, das Gegenlicht so meisterlich auf die Leinwand zu bannen? Wie überhaupt ist er auf diese geniale Idee gekommen, dass sie auch zweihundert Jahre später noch die Leuchtkraft und Wärme am eigenen Körper spürt?
Wirklich oft hat sie noch nicht über die Sonne nachgedacht, natürlich bringt sie das Licht und die Wärme, strukturiert die vierundzwanzig Stunden eines jeden Tages, geht im festen Rhythmus auf und wieder unter, lässt Pflanzen wachsen und gedeihen, bringt Sonnenbrand und im schlimmsten Fall auch Hautkrebs. Meist freut sie sich über sie, denn alles dort draußen und tief in ihr drinnen beginnt dann zu leuchten. In den vergangenen Sommern allerdings schien sie wochenlang schier unaufhörlich, dass sie schon morgens die Vorhänge zuzog, um nicht vor Hitze zu zerfließen, und sich auf einmal einen trüben Himmel und sogar Regen wünschte. Und es gab auch viele Tage im Leben, an denen sie sie gar nicht sehen wollte, auch die gab es leider.
Doch jetzt vor dem Turnerbild spürt sie wieder die ungeheure Kraft, diese belebende Energie, die von dem gemalten runden gelben Kreis ausgeht. Überbordende Freude, die die Tage leicht werden lassen. Auch die beiden Hunde spüren sie und sind mit dabei. Fast beginnt sie zu lachen, so sehr gefallen ihr die beiden.
Die anderen Bilder der Ausstellung haben es jetzt schwer, ihre Aufmerksamkeit zu gewinnen, sie weiß, dass es nicht gerecht ist, aber geht dennoch ziemlich eilig, fast getrieben an ihnen vorbei. Nirgends mehr bleibt sie länger stehen, kein anderes Werk vermag sie zu fesseln. Nach dem Rundgang geht sie sofort wieder zum Turner, um sich zu vergewissern. Hat sie womöglich nur geträumt oder etwas gesehen, was gar nicht im Bild ist? Doch alles ist wieder da: das Gegenlicht, die Freude, die unglaublich spürbare Energie. Und auch das leichte Blinzeln ihrer Augen. Alles saugt sie noch einmal ganz tief ein und geht dann leichten Schrittes hinaus in den Regen.