Texte zum Alltäglichen -
der wöchentliche Schreibblog
Sommer
RAU
Im Winter kann ich es nicht erwarten, zähle manchmal die Monate und Wochen, bis er wieder da sein wird. Sommer! Endlich! Lange, helle Tage, milde Abende, in denen man draußen sitzt, kurze Nächte, in denen ich nur unter einem Laken schlafe. Morgens wird es früh hell, doch schon um vier Uhr flöten die Spatzen in der Linde lautstark ihre Vorhaben für den Tag. Dann werde ich wach, und wenn es gegen fünf taghell ist, werden die Vögel wieder still, und ich kann nicht mehr einschlafen und wälze mich von einer auf die andere Seite.
Sommer. Immer ein bisschen zu wenig Schlaf, immer ein bisschen schlapp, tagsüber viel Licht und schnell ist es zu heiss. Endlich nicht mehr die dicken, schweren Sachen, keine Stiefel, Mütze, Handschuhe tragen, keine Schals um den Hals wickeln, endlich wieder eine helle Hose anziehen und leichte Schuhe. Doch nach den ersten Wochen schon wünsche ich mir die Menschen wieder mehr angezogen, möchte nicht so viel nackte Haut und blanke Zehennägel, Achselhöhlen und Ausschnitte sehen und erst recht nicht diese schrecklich vielen, scheußlichen Tattoos an Armen, Beinen, Händen, Hälsen, Gesichtern und wer weiß nicht wo noch. Nicht zum Aushalten ist das.
Sommer. Jedes Jahr ist er fast über Nacht da, obwohl es doch noch Frühling sein sollte. Eigentlich ist der ja schöner, viel schöner sogar, denn da sehe ich jeden Tag draußen genau hin, begrüße dieses neue Grün und jenes andere neue Grün, jede Knospe und jede Blüte. Doch dann geht es zack zack zack, und schon bald lassen sich die Grüns kaum noch unterscheiden. Im Frühling möchte ich alles am liebsten in Slow Motion erleben, im Sommer mache ich nach der ersten, spätestens nach der zweiten heißen Woche oft schon morgens die Vorhänge zu, meide auch draußen die Sonne, trage eine Kappe, immer lange Hosen und langärmlige Hemden. Meine Angst vor Hautkrebs ist grenzenlos. Mehr anziehen kann ich im Herbst und Winter immer, aber irgendwann im Sommer nichts mehr ausziehen, obwohl ich letztens erst wirklich einen älteren Mann durch meinen Bezirk auf dem Rad gesehen habe mit kurzer Badehose, schwarzen Socken und Turnschuhen. Den hätten sie mal sehen sollen, wie vollkommen selbstverständlich der einfach so durch die Straßen gefahren ist.
Sommer. Ständig habe ich Durst und wenig Appetit, die Haut ist feucht und klebrig. Einen Ventilator habe ich seit letztem Jahr, kann mich mit der frisch kühlenden Zugluft aber noch nicht recht anfreunden. Dreimal am Tag könnte ich mich umziehen und zweimal duschen, aber ich möchte ja Wasser sparen. Der Schweiß rinnt über die Stirn und mein Gesicht, wenn ich mit der Zunge über die Lippen fahre, schmecke ich Salz und denke ans Meer.
Regnet es aber und ist es zu kühl, bin ich enttäuscht. Jetzt habe ich mich den ganzen langen Winter gefreut, und nun das. Doch ist es zu warm und zu trocken, vermisse ich bald meine üblichen Energien. Nach ein paar Wochen schon sind es mir auch zu viele Menschen da draußen samt den leidigen Touristenscharen. Dann möchte ich niemand von denen mehr sehen, allenfalls eine hübsche Frau in einem schönen, leichten Kleid. Aber doch bitte nicht all diese nur halb und dann noch schlecht angezogenen Massen.
Was ist denn das für eine Jammerei? Kann schon sein, aber ich sitze gerade in meinem Büro, und draussen sind es vierunddreissig Grad. Meine Arme kleben auf dem Schreibtisch, ich habe seit Tagen schlecht und zu wenig geschlafen, habe Durst, wenig Appetit und fühle mich schlapp. Am Abend bin ich noch mit Lars auf ein Bier verabredet, doch so wie ich mich jetzt fühle, weiß ich gar nicht, wie ich den Weg dorthin schaffen soll. Vielleicht kommt der für zwanzig Uhr angekündigte Regen ja doch, und ich kann wie früher als kleiner Junge durch den Regenschauer radeln und mich über Nässe im Gesicht freuen und den Menschen draußen vor den Lokalen zusehen, wie sie unter Vordächern und Schirmen Schutz suchen und lamentieren.
Sommer in der Stadt, laue Nächte auf der Terrasse und zu viele Geräusche aus den Nachbarwohnungen, wo alle ihre Fenster geöffnet haben, um ein wenig Kühle hineinzulassen oder auch nur warme Luft. Flackernde Kerzen in Glaszylindern und leuchtende Lampions, einen Gin Tonic oder einen kühlen Rosè. Nackte Füße auf den noch aufgeheizten Steinen, schon wieder ist es nach Mitternacht, die Müdigkeit steckt in allen Gliedern und die Haut klebt. Noch kurz kühl abbrausen und dann unter das Laken, denn in vier Stunden beginnen ja schon die Spatzen wieder mit ihrem Morgenkonzert.
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Sommer
RAU
Im Winter kann ich es nicht erwarten, zähle manchmal die Monate und Wochen, bis er wieder da sein wird. Sommer! Endlich! Lange, helle Tage, milde Abende, in denen man draußen sitzt, kurze Nächte, in denen ich nur unter einem Laken schlafe. Morgens wird es früh hell, doch schon um vier Uhr flöten die Spatzen in der Linde lautstark ihre Vorhaben für den Tag. Dann werde ich wach, und wenn es gegen fünf taghell ist, werden die Vögel wieder still, und ich kann nicht mehr einschlafen und wälze mich von einer auf die andere Seite.
Sommer. Immer ein bisschen zu wenig Schlaf, immer ein bisschen schlapp, tagsüber viel Licht und schnell ist es zu heiss. Endlich nicht mehr die dicken, schweren Sachen, keine Stiefel, Mütze, Handschuhe tragen, keine Schals um den Hals wickeln, endlich wieder eine helle Hose anziehen und leichte Schuhe. Doch nach den ersten Wochen schon wünsche ich mir die Menschen wieder mehr angezogen, möchte nicht so viel nackte Haut und blanke Zehennägel, Achselhöhlen und Ausschnitte sehen und erst recht nicht diese schrecklich vielen, scheußlichen Tattoos an Armen, Beinen, Händen, Hälsen, Gesichtern und wer weiß nicht wo noch. Nicht zum Aushalten ist das.
Sommer. Jedes Jahr ist er fast über Nacht da, obwohl es doch noch Frühling sein sollte. Eigentlich ist der ja schöner, viel schöner sogar, denn da sehe ich jeden Tag draußen genau hin, begrüße dieses neue Grün und jenes andere neue Grün, jede Knospe und jede Blüte. Doch dann geht es zack zack zack, und schon bald lassen sich die Grüns kaum noch unterscheiden. Im Frühling möchte ich alles am liebsten in Slow Motion erleben, im Sommer mache ich nach der ersten, spätestens nach der zweiten heißen Woche oft schon morgens die Vorhänge zu, meide auch draußen die Sonne, trage eine Kappe, immer lange Hosen und langärmlige Hemden. Meine Angst vor Hautkrebs ist grenzenlos. Mehr anziehen kann ich im Herbst und Winter immer, aber irgendwann im Sommer nichts mehr ausziehen, obwohl ich letztens erst wirklich einen älteren Mann durch meinen Bezirk auf dem Rad gesehen habe mit kurzer Badehose, schwarzen Socken und Turnschuhen. Den hätten sie mal sehen sollen, wie vollkommen selbstverständlich der einfach so durch die Straßen gefahren ist.
Sommer. Ständig habe ich Durst und wenig Appetit, die Haut ist feucht und klebrig. Einen Ventilator habe ich seit letztem Jahr, kann mich mit der frisch kühlenden Zugluft aber noch nicht recht anfreunden. Dreimal am Tag könnte ich mich umziehen und zweimal duschen, aber ich möchte ja Wasser sparen. Der Schweiß rinnt über die Stirn und mein Gesicht, wenn ich mit der Zunge über die Lippen fahre, schmecke ich Salz und denke ans Meer.
Regnet es aber und ist es zu kühl, bin ich enttäuscht. Jetzt habe ich mich den ganzen langen Winter gefreut, und nun das. Doch ist es zu warm und zu trocken, vermisse ich bald meine üblichen Energien. Nach ein paar Wochen schon sind es mir auch zu viele Menschen da draußen samt den leidigen Touristenscharen. Dann möchte ich niemand von denen mehr sehen, allenfalls eine hübsche Frau in einem schönen, leichten Kleid. Aber doch bitte nicht all diese nur halb und dann noch schlecht angezogenen Massen.
Was ist denn das für eine Jammerei? Kann schon sein, aber ich sitze gerade in meinem Büro, und draussen sind es vierunddreissig Grad. Meine Arme kleben auf dem Schreibtisch, ich habe seit Tagen schlecht und zu wenig geschlafen, habe Durst, wenig Appetit und fühle mich schlapp. Am Abend bin ich noch mit Lars auf ein Bier verabredet, doch so wie ich mich jetzt fühle, weiß ich gar nicht, wie ich den Weg dorthin schaffen soll. Vielleicht kommt der für zwanzig Uhr angekündigte Regen ja doch, und ich kann wie früher als kleiner Junge durch den Regenschauer radeln und mich über Nässe im Gesicht freuen und den Menschen draußen vor den Lokalen zusehen, wie sie unter Vordächern und Schirmen Schutz suchen und lamentieren.
Sommer in der Stadt, laue Nächte auf der Terrasse und zu viele Geräusche aus den Nachbarwohnungen, wo alle ihre Fenster geöffnet haben, um ein wenig Kühle hineinzulassen oder auch nur warme Luft. Flackernde Kerzen in Glaszylindern und leuchtende Lampions, einen Gin Tonic oder einen kühlen Rosè. Nackte Füße auf den noch aufgeheizten Steinen, schon wieder ist es nach Mitternacht, die Müdigkeit steckt in allen Gliedern und die Haut klebt. Noch kurz kühl abbrausen und dann unter das Laken, denn in vier Stunden beginnen ja schon die Spatzen wieder mit ihrem Morgenkonzert.