Texte zum Alltäglichen -
der wöchentliche Schreibblog
Sollte nicht sein
RAU
Malu hat ihn nicht vergessen, ihren Vorschlag am Ende des wirklich unsäglichen Udo Jürgens Abend neulich.
„Ich hab‘ was für Dich“, begrüßt sie mich schon im Flur.
„Ok, aber lass mich bitte erst noch den Wein öffnen, magst du auch einen?“
Wenig später fülle ich zwei Gläser mit Weißburgunder, und schon tönen die ersten Takte durch die Küche. Leise Syntheziserklänge, dann ein E-Piano, ziemlich melodisch und in Moll. Könnte von Adele sein oder von dieser anderen, neuen Sängerin, Celeste heißt sie, glaube ich. Dann setzt die Stimme ein, was sage ich, keine richtige Stimme, sondern eher ein dumpfes Nuscheln, als hätte der Mann einen Kaugummi oder drei Klöße zwischen den Backen oder wäre ein mürrischer Jugendlicher, der so überhaupt keine Lust hat, beim Singen auch nur einen Hauch seine Lippen zu öffnen.
„Sollte nicht sein.“
Nuschelt er über eine kaputte Beziehung zwischen ihm und ihr, erzählt von enttäuschten Hoffnungen und erlebten Verletzungen. Hip Hop, nicht meine Musik, wirklich nicht. Aber der Text hat etwas, kaum zu verstehen und doch.
„Mit uns macht es keinen Sinn mehr,
du siehst es nicht, als wenn du blind wärst.
Sollte nicht sein.“
Auf dem Display von Malus Smartphone sehe ich mir den Interpreten an, ein ziemlich junger Mann mit Migrationshintergrund, sagt man noch so? Viele Tattoos auf der Haut, dicke silberne Kette um den Hals und viele Ringe an den Fingern. Ufo 361 nennt er sich.
„Wieso heißt er so?“, flüstere ich leise.
„36 und 61 waren früher die Postzustellzahlen für Kreuzberg, da kommt er her, da wohnt er immer noch“, flüstert Malu zurück.
Ach so, nicht schlecht, denke ich.
„Sollte nicht sein.
Bist erfroren in meinem Schatten,
haben belogen, was wir hatten.“
Dann ist schon Schluss, das Ganze knapp unter drei Minuten.
„Das hat was“, sage ich, „spiele noch einmal bitte.“
„Sollte nicht sein.
Haben geschworen, es wird klappen.
Dann verloren, was wir hatten,
mit uns macht es keinen Sinn mehr.
Du siehst es nicht, als wenn du blind wärst.
Nein, es sollte nicht sein. Ja, es sollte nicht sein.“
Sicher bin ich fast zwanzig Jahre älter als er, würde nie Tattoos, dicke Silberkette und Ringe tragen und doch schickt mich Ufo 361 plötzlich auf eine Reise. Auf der überall große Schilder auf das zeigen, was nicht geklappt hat, was geplatzt ist im Leben. Beziehungen, Aufträge, Kontostände, Wohnträume, Hoffnungen aufs groß rauskommen und berühmt werden, vielleicht doch ein Kind haben? Was ist mit mir los? Die Musik ist zu eintönig, die Stimme zu dumpf und der Text ziemlich banal. Vielleicht ist es nur diese eine Zeile, sehr wahrscheinlich sind es nur die drei Wörter.
„Sollte nicht sein.
Haben geschworen, es wird klappen,
dann verloren, was wir hatten.“
Unter drei Minuten das Ganze, und doch ein rasanter Einstieg ins Erinnern, an dunkle Flecken, die wehtun und am besten nie ans Licht kommen, nicht schlecht.
„Noch einmal, bitte“, sage ich.
Malu drückt auf Wiederholung.
„War’s bei dir so beim letzten Mal?“, frage ich sie nach den letzten Takten.
Sie nickt nur, und schon fließen die Tränen.
Texte zum Alltäglichen -
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Sollte nicht sein
RAU
Malu hat ihn nicht vergessen, ihren Vorschlag am Ende des wirklich unsäglichen Udo Jürgens Abend neulich.
„Ich hab‘ was für Dich“, begrüßt sie mich schon im Flur.
„Ok, aber lass mich bitte erst noch den Wein öffnen, magst du auch einen?“
Wenig später fülle ich zwei Gläser mit Weißburgunder, und schon tönen die ersten Takte durch die Küche. Leise Syntheziserklänge, dann ein E-Piano, ziemlich melodisch und in Moll. Könnte von Adele sein oder von dieser anderen, neuen Sängerin, Celeste heißt sie, glaube ich. Dann setzt die Stimme ein, was sage ich, keine richtige Stimme, sondern eher ein dumpfes Nuscheln, als hätte der Mann einen Kaugummi oder drei Klöße zwischen den Backen oder wäre ein mürrischer Jugendlicher, der so überhaupt keine Lust hat, beim Singen auch nur einen Hauch seine Lippen zu öffnen.
„Sollte nicht sein.“
Nuschelt er über eine kaputte Beziehung zwischen ihm und ihr, erzählt von enttäuschten Hoffnungen und erlebten Verletzungen. Hip Hop, nicht meine Musik, wirklich nicht. Aber der Text hat etwas, kaum zu verstehen und doch.
„Mit uns macht es keinen Sinn mehr,
du siehst es nicht, als wenn du blind wärst.
Sollte nicht sein.“
Auf dem Display von Malus Smartphone sehe ich mir den Interpreten an, ein ziemlich junger Mann mit Migrationshintergrund, sagt man noch so? Viele Tattoos auf der Haut, dicke silberne Kette um den Hals und viele Ringe an den Fingern. Ufo 361 nennt er sich.
„Wieso heißt er so?“, flüstere ich leise.
„36 und 61 waren früher die Postzustellzahlen für Kreuzberg, da kommt er her, da wohnt er immer noch“, flüstert Malu zurück.
Ach so, nicht schlecht, denke ich.
„Sollte nicht sein.
Bist erfroren in meinem Schatten,
haben belogen, was wir hatten.“
Dann ist schon Schluss, das Ganze knapp unter drei Minuten.
„Das hat was“, sage ich, „spiele noch einmal bitte.“
„Sollte nicht sein.
Haben geschworen, es wird klappen.
Dann verloren, was wir hatten,
mit uns macht es keinen Sinn mehr.
Du siehst es nicht, als wenn du blind wärst.
Nein, es sollte nicht sein. Ja, es sollte nicht sein.“
Sicher bin ich fast zwanzig Jahre älter als er, würde nie Tattoos, dicke Silberkette und Ringe tragen und doch schickt mich Ufo 361 plötzlich auf eine Reise. Auf der überall große Schilder auf das zeigen, was nicht geklappt hat, was geplatzt ist im Leben. Beziehungen, Aufträge, Kontostände, Wohnträume, Hoffnungen aufs groß rauskommen und berühmt werden, vielleicht doch ein Kind haben? Was ist mit mir los? Die Musik ist zu eintönig, die Stimme zu dumpf und der Text ziemlich banal. Vielleicht ist es nur diese eine Zeile, sehr wahrscheinlich sind es nur die drei Wörter.
„Sollte nicht sein.
Haben geschworen, es wird klappen,
dann verloren, was wir hatten.“
Unter drei Minuten das Ganze, und doch ein rasanter Einstieg ins Erinnern, an dunkle Flecken, die wehtun und am besten nie ans Licht kommen, nicht schlecht.
„Noch einmal, bitte“, sage ich.
Malu drückt auf Wiederholung.
„War’s bei dir so beim letzten Mal?“, frage ich sie nach den letzten Takten.
Sie nickt nur, und schon fließen die Tränen.