Texte zum Alltäglichen -
der wöchentliche Schreibblog
So tun als ob
WIE
Früher war dieser Laden ganz in Grün gehalten, später in Blau, heute ist er rot. Ich weiß nicht, welche Gesellschaft welche aufgekauft und in sich aufgesogen hat. Dabei haben sich aber Blau und Rot nicht zu Lila gemischt, sondern die alten Farben wurden wohlweislich getilgt. Ich weiß auch nicht, welche Farbe meine Verträge haben, die hier laufen. Aber vielleicht sollte ich das mal klären.
Nach einer längeren Wartezeit werde ich von einem rot gekleideten Mitarbeiter angesprochen. Kurz überlege ich, ob ich ihn noch aus der Zeit kenne, als er noch blau war. Die Fragen, die ich mir zurechtgelegt habe, um nicht gleich zu Beginn komplett rum zu stottern, lässt er mich seelenruhig abspulen, ohne eine Miene zu verziehen oder mir zu verstehen zu geben, ob er sich überhaupt dafür interessiert und es für ihn irgendeine Bedeutung hat. Dann ist meine Redezeit auch schon abgelaufen.
Nachdem ich ihm meine Telefonnummer genannt habe, verschafft er sich einen Überblick darüber, wer ich bin, was ich womöglich möchte und wo Handlungsbedarf besteht. Und dabei vertraut er seinem Computer weit mehr als mir. Schon bald hat er meine viel zu alten Verträge gefunden, über deren Existenz ich womöglich gar nichts weiß. Doch ich tue so, als ob ich darüber im Bilde sei und deswegen ja auch hier bin.
Es ist kein schönes Gefühl zu wissen, dass jemand Fremdes in Rot, der vorher auch schon blau und grün war, besser über mich Bescheid weiß als ich selber. Dabei stört mich das nicht immer. Mein Schornsteinfeger zum Beispiel weiß besser Bescheid, wie es auf meinem Dach aussieht als ich. Weil er aber ein sehr redegewandter Mensch ist, erzählt er mir gerne ausführlich, welche Problemsituation zurzeit am hinteren Kamin vorliegt, und was da in näherer Zukunft zu machen ist. Und das lasse ich mir gerne sagen.
Mit der Redegewandtheit sieht es aber bei dem roten Mitarbeiter nicht so gut aus. Doch das bin ich ja gewohnt, ob beim Facharzt, beim Autohändler, im Elektronikshop oder bei meiner Versicherung. Ständig muss ich zunächst einmal schweigend zuschauen, wie sie dort auf einen Bildschirm starren, den ich nicht sehen kann, dem ich aber vertrauen und glauben muss. Manchmal frage ich mich sogar, ob sie nicht nur so tun, als hätten sie etwas Aufschlussreiches über mich, und lesen in Wirklichkeit ganz andere Sachen, zum Beispiel ihre eigenen Mails.
Dennoch versuche ich so zu tun, als ob ich es zu schätzen weiß, was mein Kundenberater mit so viel Geduld und Nachsicht gerade für mich tut. Ohne ihm meinen Unmut darüber zu zeigen, dass er mich überhaupt nicht ernst nimmt und sich dreimal lieber auf seinen Computer verlässt. Gleich wird er so tun, als befreie er mich von den uralten Verträgen, für die ich viel zu viel bezahle und dafür viel zu wenig bekommen. Und ich werde so tun, als ob ich mich über die vielen neuen Möglichkeiten freue, die mir ein neuer Vertrag bieten wird, der zwar teurer ist, dafür aber so viel mehr leistet.
Und er tut so, als ob er schon jetzt den Spaß sieht, den ich in nächster Zeit haben werde, wenn ich zusätzlich aus über elf Millionen Filmen, Serien, Büchern und Songs auswählen kann, sogar während des Telefonierens. Dieses unglaubliche Paket hat er extra für mich zusammengeschnürt, weil es das nur diese Woche gibt und danach nie wieder in meinem Leben. Und ich tue so, als ob ich ihm das glaube und ihm für diesen Service immer wieder fünf Sternchen geben würde. Was ich aber nicht machen werde. Weil ich nirgendwo Sternchen vergebe, selbst wenn man heute schnell mal sagt, dafür gibt‘s aber fünf Sterne. Aber das meint man meistens nicht so. Sternchen kosten schließlich nichts.
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So tun als ob
WIE
Früher war dieser Laden ganz in Grün gehalten, später in Blau, heute ist er rot. Ich weiß nicht, welche Gesellschaft welche aufgekauft und in sich aufgesogen hat. Dabei haben sich aber Blau und Rot nicht zu Lila gemischt, sondern die alten Farben wurden wohlweislich getilgt. Ich weiß auch nicht, welche Farbe meine Verträge haben, die hier laufen. Aber vielleicht sollte ich das mal klären.
Nach einer längeren Wartezeit werde ich von einem rot gekleideten Mitarbeiter angesprochen. Kurz überlege ich, ob ich ihn noch aus der Zeit kenne, als er noch blau war. Die Fragen, die ich mir zurechtgelegt habe, um nicht gleich zu Beginn komplett rum zu stottern, lässt er mich seelenruhig abspulen, ohne eine Miene zu verziehen oder mir zu verstehen zu geben, ob er sich überhaupt dafür interessiert und es für ihn irgendeine Bedeutung hat. Dann ist meine Redezeit auch schon abgelaufen.
Nachdem ich ihm meine Telefonnummer genannt habe, verschafft er sich einen Überblick darüber, wer ich bin, was ich womöglich möchte und wo Handlungsbedarf besteht. Und dabei vertraut er seinem Computer weit mehr als mir. Schon bald hat er meine viel zu alten Verträge gefunden, über deren Existenz ich womöglich gar nichts weiß. Doch ich tue so, als ob ich darüber im Bilde sei und deswegen ja auch hier bin.
Es ist kein schönes Gefühl zu wissen, dass jemand Fremdes in Rot, der vorher auch schon blau und grün war, besser über mich Bescheid weiß als ich selber. Dabei stört mich das nicht immer. Mein Schornsteinfeger zum Beispiel weiß besser Bescheid, wie es auf meinem Dach aussieht als ich. Weil er aber ein sehr redegewandter Mensch ist, erzählt er mir gerne ausführlich, welche Problemsituation zurzeit am hinteren Kamin vorliegt, und was da in näherer Zukunft zu machen ist. Und das lasse ich mir gerne sagen.
Mit der Redegewandtheit sieht es aber bei dem roten Mitarbeiter nicht so gut aus. Doch das bin ich ja gewohnt, ob beim Facharzt, beim Autohändler, im Elektronikshop oder bei meiner Versicherung. Ständig muss ich zunächst einmal schweigend zuschauen, wie sie dort auf einen Bildschirm starren, den ich nicht sehen kann, dem ich aber vertrauen und glauben muss. Manchmal frage ich mich sogar, ob sie nicht nur so tun, als hätten sie etwas Aufschlussreiches über mich, und lesen in Wirklichkeit ganz andere Sachen, zum Beispiel ihre eigenen Mails.
Dennoch versuche ich so zu tun, als ob ich es zu schätzen weiß, was mein Kundenberater mit so viel Geduld und Nachsicht gerade für mich tut. Ohne ihm meinen Unmut darüber zu zeigen, dass er mich überhaupt nicht ernst nimmt und sich dreimal lieber auf seinen Computer verlässt. Gleich wird er so tun, als befreie er mich von den uralten Verträgen, für die ich viel zu viel bezahle und dafür viel zu wenig bekommen. Und ich werde so tun, als ob ich mich über die vielen neuen Möglichkeiten freue, die mir ein neuer Vertrag bieten wird, der zwar teurer ist, dafür aber so viel mehr leistet.
Und er tut so, als ob er schon jetzt den Spaß sieht, den ich in nächster Zeit haben werde, wenn ich zusätzlich aus über elf Millionen Filmen, Serien, Büchern und Songs auswählen kann, sogar während des Telefonierens. Dieses unglaubliche Paket hat er extra für mich zusammengeschnürt, weil es das nur diese Woche gibt und danach nie wieder in meinem Leben. Und ich tue so, als ob ich ihm das glaube und ihm für diesen Service immer wieder fünf Sternchen geben würde. Was ich aber nicht machen werde. Weil ich nirgendwo Sternchen vergebe, selbst wenn man heute schnell mal sagt, dafür gibt‘s aber fünf Sterne. Aber das meint man meistens nicht so. Sternchen kosten schließlich nichts.