Texte zum Alltäglichen -
der wöchentliche Schreibblog
Sitzen
WIE
„Guck mal, was hältst du denn von dem?“ Annette lässt sich auf einen weiteren Stuhl fallen und vollzieht gleich eine ganze Drehung mit ausgestreckten Beinen. „Der ist nicht nur schick, sondern auch noch bequem und gesund dazu.“
Du benimmst dich so, als würdest du das erste Mal auf einem Bürostuhl sitzen“, bemerkt Felix etwas missmutig. Seit gefühlt über einer Stunde halten sie sich in der Abteilung mit der Überschrift „Arbeitswelt“ auf. Wieso eigentlich, überlegt er, seit über einem halben Jahr sind sie beide im Ruhestand und jetzt zieht es sie in die Abteilung Arbeitswelt. "Sollten wir nicht viel lieber in der Abteilung „Wohnen und Entspannen“ gehen und nach Sitzlandschaften oder Lese-Schlafsesseln Ausschau halten?“
„Du musst schon wissen, was du willst“, Anette kennt Felix Entscheidungsschwäche und die hat seit dem Ruhestand eher zu- statt abgenommen.
„Mein Gott, was haben wir in unserem Leben für Sitzmöbelmoden mitgemacht“, sinniert Felix, „warum gibt es eigentlich gar nicht mehr diese Sitzkniearbeitshocker, mit denen man so schön schaukeln konnte, abgesehen von den knallbunten Sitzbällen am Schreibtisch. Bis sich später herausstellte, dass man auf einem Sitzball sitzend doch nicht die nötige Autorität ausstrahlt.“
Auch Annette sieht in diesem Moment diverse Sitzmöbelvarianten vor ihrem inneren Auge, angefangen von der Steh-Sitz-Hilfe ihrer Mutter, auch Bügelhilfe genannt, oder auch der Sitzsack in ihrer Jugend, von dem sie felsenfest überzeugt war, dort am besten ihre Schularbeiten verrichten zu können. Später dann in der WG-Zeit kam die Idee, die Küche mit Barhockern auszustatten und einem entsprechend hohen Küchentisch. Ein eindeutiges Statement für ein kinderloses und seniorenfreies Leben.
„Guck mal, der hat vier Verstellhebel. Dein alter Bürostuhl zu Hause hat doch nur einen. Hier kannst du dir jede Woche eine neue Sitzposition zaubern.“
„Du redest schon wie eine Möbelverkäuferin“, blafft Felix. „Welchen Sitzstil bevorzugen sie denn? Eher den lümmelfreundlichen Halbliegestil oder doch den eher sportlichen wirbelsäulenbetonten Aufrechtstil?“
Doch Annette lässt sich davon nicht irritieren: „ Du hast vorgeschlagen, dich nach einem neuen Bürostuhl umzuschauen. Ich bin mit meinem Drehstuhl aus der Studienzeit vollauf zufrieden.“
„Wenn ich hier all die hochgezüchteten ergonomischen Sitzsysteme sehe, wird mir ganz komisch. Die sehen aus, als seien sie aus einem Kampfjet herausgeschraubt und zum Bürostuhl umfunktioniert worden“, meint Felix.
„Das haben wir den Designern unserer Generation zu verdanken. Die haben alles, was an Stuhl erinnert, wegdesigned. Erinnerst du dich an diese halboffene Plastikkugeln, die an einer Kette von der Decke hingen, innen mit Flokati ausgestattet? Hatte nicht dein Freund Hartwig so einen?“
„Ja, aber wenige Jahre später waren wir alle schwerer geworden und keiner traute sich mehr rein in die Kugeln.“
„Wir sollten auch viel mehr laufen und uns bewegen, statt immer nur zu sitzen.“
„Tun wir doch die ganze Zeit. Weißt du, dass wir allein in diesem Möbelcenter bereits 3,4 Kilometer zurückgelegt haben?“ Felix steckt sein Smartphone zurück in die Jacke.
„Gibt es eigentlich neben der Schrittzähler-App auch einen Sitz-App, die automatisch Sitzzeit misst?“
„Du meinst, eine App, die mir sagt, sie haben heute ihre Sitzzeit abgesessen, bitte erheben sie sich und gehen sie einer anderen Tätigkeit nach.“
„Ja, vielleicht ganz hilfreich für Ruheständler.“
„Schon möglich, wir wollen ja nicht als Ruhesitzler werden.“
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Sitzen
WIE
„Guck mal, was hältst du denn von dem?“ Annette lässt sich auf einen weiteren Stuhl fallen und vollzieht gleich eine ganze Drehung mit ausgestreckten Beinen. „Der ist nicht nur schick, sondern auch noch bequem und gesund dazu.“
Du benimmst dich so, als würdest du das erste Mal auf einem Bürostuhl sitzen“, bemerkt Felix etwas missmutig. Seit gefühlt über einer Stunde halten sie sich in der Abteilung mit der Überschrift „Arbeitswelt“ auf. Wieso eigentlich, überlegt er, seit über einem halben Jahr sind sie beide im Ruhestand und jetzt zieht es sie in die Abteilung Arbeitswelt. "Sollten wir nicht viel lieber in der Abteilung „Wohnen und Entspannen“ gehen und nach Sitzlandschaften oder Lese-Schlafsesseln Ausschau halten?“
„Du musst schon wissen, was du willst“, Anette kennt Felix Entscheidungsschwäche und die hat seit dem Ruhestand eher zu- statt abgenommen.
„Mein Gott, was haben wir in unserem Leben für Sitzmöbelmoden mitgemacht“, sinniert Felix, „warum gibt es eigentlich gar nicht mehr diese Sitzkniearbeitshocker, mit denen man so schön schaukeln konnte, abgesehen von den knallbunten Sitzbällen am Schreibtisch. Bis sich später herausstellte, dass man auf einem Sitzball sitzend doch nicht die nötige Autorität ausstrahlt.“
Auch Annette sieht in diesem Moment diverse Sitzmöbelvarianten vor ihrem inneren Auge, angefangen von der Steh-Sitz-Hilfe ihrer Mutter, auch Bügelhilfe genannt, oder auch der Sitzsack in ihrer Jugend, von dem sie felsenfest überzeugt war, dort am besten ihre Schularbeiten verrichten zu können. Später dann in der WG-Zeit kam die Idee, die Küche mit Barhockern auszustatten und einem entsprechend hohen Küchentisch. Ein eindeutiges Statement für ein kinderloses und seniorenfreies Leben.
„Guck mal, der hat vier Verstellhebel. Dein alter Bürostuhl zu Hause hat doch nur einen. Hier kannst du dir jede Woche eine neue Sitzposition zaubern.“
„Du redest schon wie eine Möbelverkäuferin“, blafft Felix. „Welchen Sitzstil bevorzugen sie denn? Eher den lümmelfreundlichen Halbliegestil oder doch den eher sportlichen wirbelsäulenbetonten Aufrechtstil?“
Doch Annette lässt sich davon nicht irritieren: „ Du hast vorgeschlagen, dich nach einem neuen Bürostuhl umzuschauen. Ich bin mit meinem Drehstuhl aus der Studienzeit vollauf zufrieden.“
„Wenn ich hier all die hochgezüchteten ergonomischen Sitzsysteme sehe, wird mir ganz komisch. Die sehen aus, als seien sie aus einem Kampfjet herausgeschraubt und zum Bürostuhl umfunktioniert worden“, meint Felix.
„Das haben wir den Designern unserer Generation zu verdanken. Die haben alles, was an Stuhl erinnert, wegdesigned. Erinnerst du dich an diese halboffene Plastikkugeln, die an einer Kette von der Decke hingen, innen mit Flokati ausgestattet? Hatte nicht dein Freund Hartwig so einen?“
„Ja, aber wenige Jahre später waren wir alle schwerer geworden und keiner traute sich mehr rein in die Kugeln.“
„Wir sollten auch viel mehr laufen und uns bewegen, statt immer nur zu sitzen.“
„Tun wir doch die ganze Zeit. Weißt du, dass wir allein in diesem Möbelcenter bereits 3,4 Kilometer zurückgelegt haben?“ Felix steckt sein Smartphone zurück in die Jacke.
„Gibt es eigentlich neben der Schrittzähler-App auch einen Sitz-App, die automatisch Sitzzeit misst?“
„Du meinst, eine App, die mir sagt, sie haben heute ihre Sitzzeit abgesessen, bitte erheben sie sich und gehen sie einer anderen Tätigkeit nach.“
„Ja, vielleicht ganz hilfreich für Ruheständler.“
„Schon möglich, wir wollen ja nicht als Ruhesitzler werden.“