Texte zum Alltäglichen -
der wöchentliche Schreibblog
Sehnsucht
WIE
1
„Ist das nicht traumhaft“, schwärmt er zum Kellner gewandt und lässt am ausgestrecktem Arm das Rotweinglas vor dem rot leuchtenden Abendhimmel gleiten. “Dieser Blick, unbezahlbar”, seufzt er, leert das Glas in einem Zug und kramt umständlich nach dem Portemonnaie in seiner Gesäßtasche. Dass er eigentlich hier in dem Fünf-Sterne- Restaurant über der Bucht von Santorin mit Margot sitzen wollte, kann der Kellner nicht wissen, auch nicht, dass sie ihm nach fünfundzwanzig Jahren kurz vor der Abreise mitgeteilt hat, dass sie sich scheiden lassen will, und er allein fahren muss. „Davon habe ich immer geträumt“ flunkert er und steckt die Rechnung ein, ohne drauf zu gucken.
2
Das ungewöhnliche Klappern vor allem bei den Abwärtsfahrten des Aufzugs ist ihr schon mehrmals aufgefallen. Genauso wie das ungewöhnliche Ruckeln der Aufzugstüren, die ansonsten immer viel zu schnell schließen. Für sie, mit Kinderwagen, zwei weiteren Kindern und den Einkaufstüten am Arm ist es schwer genug, alles zusammen in den Aufzug zu bekommen. Wie oft hat sie sich gewünscht, einmal ohne dieses ganze Gepäck unterwegs zu sein, ohne die ganze Schlepperei. Jetzt ist der Aufzug zwischen der 9. und 10. Etage stehen geblieben. Sie stecken fest. Der Mann am anderen Endes des Notrufschalter sagt, sie schicken jemanden raus. Es könne aber dauern. Diesmal hat sie keine Einkaufstüten dabei, keine Süssigkeiten, nichts zu Trinken, keine Windeln, rein gar nichts.
3
Ein Pool, dessen Wasseroberfläche genau mit dem Beckenrand abschließt. Einer, bei dem man während des Schwimmens auf das prächtige Bergpanorama blicken kann statt auf blaue Fliesen. Genauso hat er es vor neunzehn Jahren in der Villa seines Chefs gesehen und damals den Entschluss gefasst, eines Tages auch so etwas zu besitzen. Und dann, vor einem Jahr, hat er sich so eine Villa leisten können, mit einem Pool, dessen Wasserkante bis an den Beckenrand reicht. Der eigene Pool im Voralpenland, das fühlt sich gut an, wenn man das geschafft hat, dann kann man auch mal über den Tellerrand schauen. Hier schaut er über den Beckenrand, nahezu jeden Morgen. Doch schon jetzt kann er nichts Aufregendes mehr daran finden.
4
Seit drei Stunden warten sie in der Menge vor den Eingangstoren des Stadions. Es regnet. Sie schaut auf ihre Schuhe. Die sind neu, genauso wie Jacke und Hose, der neue Haarschnitt und die neue Brille. Alles angeschafft für dieses Mega-Event, für diesen Tag. Die Konzertkarten waren schon teuer genug, Flug, Hotelbuchung in München und all das kam noch hinzu. “Wenn schon, denn schon“, hat sie immer zu ihrem Mann gesagt. Wie sehr hat sie diesen Tag erwartet. Sie versucht ein Selfie zu machen, doch alles sieht bescheuert aus. Überall riesige Plastikkapuzen, Regenschirme, darüber grauer Himmel. Trotzdem schickt sie das Foto ihrer besten Freundin mit den Worten:
„In spätestens drei Stunden werden wir Andrea auf der Bühne erleben können, ich bin so aufgeregt.“
„Erkälte dich nicht, meine Kleine“, heißt die unmittelbare whatsapp-Antwort.
„Du könntest mich ruhig ein wenig mehr beneiden“ schreibt sie schnippisch zurück.“
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Sehnsucht
WIE
1
„Ist das nicht traumhaft“, schwärmt er zum Kellner gewandt und lässt am ausgestrecktem Arm das Rotweinglas vor dem rot leuchtenden Abendhimmel gleiten. “Dieser Blick, unbezahlbar”, seufzt er, leert das Glas in einem Zug und kramt umständlich nach dem Portemonnaie in seiner Gesäßtasche. Dass er eigentlich hier in dem Fünf-Sterne- Restaurant über der Bucht von Santorin mit Margot sitzen wollte, kann der Kellner nicht wissen, auch nicht, dass sie ihm nach fünfundzwanzig Jahren kurz vor der Abreise mitgeteilt hat, dass sie sich scheiden lassen will, und er allein fahren muss. „Davon habe ich immer geträumt“ flunkert er und steckt die Rechnung ein, ohne drauf zu gucken.
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Das ungewöhnliche Klappern vor allem bei den Abwärtsfahrten des Aufzugs ist ihr schon mehrmals aufgefallen. Genauso wie das ungewöhnliche Ruckeln der Aufzugstüren, die ansonsten immer viel zu schnell schließen. Für sie, mit Kinderwagen, zwei weiteren Kindern und den Einkaufstüten am Arm ist es schwer genug, alles zusammen in den Aufzug zu bekommen. Wie oft hat sie sich gewünscht, einmal ohne dieses ganze Gepäck unterwegs zu sein, ohne die ganze Schlepperei. Jetzt ist der Aufzug zwischen der 9. und 10. Etage stehen geblieben. Sie stecken fest. Der Mann am anderen Endes des Notrufschalter sagt, sie schicken jemanden raus. Es könne aber dauern. Diesmal hat sie keine Einkaufstüten dabei, keine Süssigkeiten, nichts zu Trinken, keine Windeln, rein gar nichts.
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Ein Pool, dessen Wasseroberfläche genau mit dem Beckenrand abschließt. Einer, bei dem man während des Schwimmens auf das prächtige Bergpanorama blicken kann statt auf blaue Fliesen. Genauso hat er es vor neunzehn Jahren in der Villa seines Chefs gesehen und damals den Entschluss gefasst, eines Tages auch so etwas zu besitzen. Und dann, vor einem Jahr, hat er sich so eine Villa leisten können, mit einem Pool, dessen Wasserkante bis an den Beckenrand reicht. Der eigene Pool im Voralpenland, das fühlt sich gut an, wenn man das geschafft hat, dann kann man auch mal über den Tellerrand schauen. Hier schaut er über den Beckenrand, nahezu jeden Morgen. Doch schon jetzt kann er nichts Aufregendes mehr daran finden.
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Seit drei Stunden warten sie in der Menge vor den Eingangstoren des Stadions. Es regnet. Sie schaut auf ihre Schuhe. Die sind neu, genauso wie Jacke und Hose, der neue Haarschnitt und die neue Brille. Alles angeschafft für dieses Mega-Event, für diesen Tag. Die Konzertkarten waren schon teuer genug, Flug, Hotelbuchung in München und all das kam noch hinzu. “Wenn schon, denn schon“, hat sie immer zu ihrem Mann gesagt. Wie sehr hat sie diesen Tag erwartet. Sie versucht ein Selfie zu machen, doch alles sieht bescheuert aus. Überall riesige Plastikkapuzen, Regenschirme, darüber grauer Himmel. Trotzdem schickt sie das Foto ihrer besten Freundin mit den Worten:
„In spätestens drei Stunden werden wir Andrea auf der Bühne erleben können, ich bin so aufgeregt.“
„Erkälte dich nicht, meine Kleine“, heißt die unmittelbare whatsapp-Antwort.
„Du könntest mich ruhig ein wenig mehr beneiden“ schreibt sie schnippisch zurück.“