Texte zum Alltäglichen -
der wöchentliche Schreibblog
Schief
RAU
Cara hat es gerne aufgeräumt, geordnet, übersichtlich und klar. Alles ist an seinem Platz. Nun gibt es nicht so viel davon in ihrer kleinen Wohnung mit Küche, Bad und einem Wohn-Schlafraum. Das Ganze hat vielleicht etwas über vierzig Quadratmeter. ‚Etwas über‘ zu sagen, ist ihr zu ungenau und missfällt ihr.
„Wie viele sind es genau?“, wollte sie damals vor dem Einzug wissen.
„Zweiundvierzig“, sagte Konrad.
"Gut, zweiundvierzig, dann weiß ich Bescheid.“ Sie schien mehr als zufrieden.
Bescheid zu wissen, alles im Blick zu haben, ihr Hab und Gut auf das Nötigste zu reduzieren, das ist ihr wichtig. Vier Paar Schuhe stehen in Reihe neben der Tür, zwei Jacken hängen an der Garderobe. Zweimal Bettwäsche, zwei große und zwei kleine Handtücher, vier Küchenhandtücher, ein Satz in Benutzung und der andere in der Wäsche oder im Schrank. Mit der Kleidung dürfte es ähnlich aussehen. Klarheit, Übersicht, Struktur. Nicht ein Teil ist zu viel, von jedem weiß sie, wann sie es gekauft oder von wem sie es bekommen hat.
„Ich weiß, ich bin ein ‚Zwangi‘“, sagt sie.
„Wenn du meinst“, antwortet er.
„Noch vor einem halben Jahr war es schlimmer, Papa“, schiebt sie nach.
“Findest du?“
Ohne zu antworten geht sie hinüber zur Kommode und legt dort die beiden Bücher auf der Oberfläche auf Kante, für ihn haben sie vorher schon dort auf Kante gelegen. Auf dem Schrank stehen aufgereiht sechs aufgeklappte FFP2-Gesichtsmasken nebeneinander, für jeden Wochentag eine, die siebte hängt am Griff der Wohnungstür. Im Regal sieht er eine überschaubare Zahl weiterer Bücher, die sechs Fotoalben aus ihrer Kindheit, die er ihr damals gemacht hatte wie ihren beiden älteren Geschwistern auch, drei Ordner, eine durchsichtige Kiste mit Malsachen und einen roten Werkzeugkasten. Vier große Bilder hängen an den Wänden, von ihr gemalt. Ruhige Farbflächen, auf einem auch ein Ansatz von Figürlichem. Konrad gefallen sie alle vier.
„Ich habe gerne den Überblick und die Klarheit“, sagt sie und gießt frischen Tee nach, „kommst du mit in die Küche? Ich möchte dir gerne was zeigen.“
Dort öffnet sie Schubladen und Türen und zeigt ihm mit einem gewissen Stolz ihre sicherlich zwanzig kleinen Schraubgläser mit Gewürzen und gut beschrifteten Deckeln, vier bunte Teedosen in verschiedenen Größen und eine große Pappkiste für Vorräte. Reis, Nudeln, Mehl, Hafermilch, Dinkelflocken, pürierte Tomaten.
„Für alle Fälle“, meint sie, „vielleicht kaufe ich noch eingelegte Sardinen, die halten lange vor. Was meinst du?"
„Auf jeden Fall“, sagt er und sieht aus dem Fenster. Sie jetzt anzusehen, ginge einfach nicht.
Die Topfpflanzen auf dem Boden sind seit seinem letzten Besuch gut gewachsen.
„Der Zitronenbaum wächst ja ganz schief“, sagt er, „bekommt er auch noch eine Halterung oder Stütze wie die anderen?“
„Ach, das ist schon ok, ein bisschen Chaos darf schon sein“, meint sie und lächelt.
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Schief
RAU
Cara hat es gerne aufgeräumt, geordnet, übersichtlich und klar. Alles ist an seinem Platz. Nun gibt es nicht so viel davon in ihrer kleinen Wohnung mit Küche, Bad und einem Wohn-Schlafraum. Das Ganze hat vielleicht etwas über vierzig Quadratmeter. ‚Etwas über‘ zu sagen, ist ihr zu ungenau und missfällt ihr.
„Wie viele sind es genau?“, wollte sie damals vor dem Einzug wissen.
„Zweiundvierzig“, sagte Konrad.
"Gut, zweiundvierzig, dann weiß ich Bescheid.“ Sie schien mehr als zufrieden.
Bescheid zu wissen, alles im Blick zu haben, ihr Hab und Gut auf das Nötigste zu reduzieren, das ist ihr wichtig. Vier Paar Schuhe stehen in Reihe neben der Tür, zwei Jacken hängen an der Garderobe. Zweimal Bettwäsche, zwei große und zwei kleine Handtücher, vier Küchenhandtücher, ein Satz in Benutzung und der andere in der Wäsche oder im Schrank. Mit der Kleidung dürfte es ähnlich aussehen. Klarheit, Übersicht, Struktur. Nicht ein Teil ist zu viel, von jedem weiß sie, wann sie es gekauft oder von wem sie es bekommen hat.
„Ich weiß, ich bin ein ‚Zwangi‘“, sagt sie.
„Wenn du meinst“, antwortet er.
„Noch vor einem halben Jahr war es schlimmer, Papa“, schiebt sie nach.
“Findest du?“
Ohne zu antworten geht sie hinüber zur Kommode und legt dort die beiden Bücher auf der Oberfläche auf Kante, für ihn haben sie vorher schon dort auf Kante gelegen. Auf dem Schrank stehen aufgereiht sechs aufgeklappte FFP2-Gesichtsmasken nebeneinander, für jeden Wochentag eine, die siebte hängt am Griff der Wohnungstür. Im Regal sieht er eine überschaubare Zahl weiterer Bücher, die sechs Fotoalben aus ihrer Kindheit, die er ihr damals gemacht hatte wie ihren beiden älteren Geschwistern auch, drei Ordner, eine durchsichtige Kiste mit Malsachen und einen roten Werkzeugkasten. Vier große Bilder hängen an den Wänden, von ihr gemalt. Ruhige Farbflächen, auf einem auch ein Ansatz von Figürlichem. Konrad gefallen sie alle vier.
„Ich habe gerne den Überblick und die Klarheit“, sagt sie und gießt frischen Tee nach, „kommst du mit in die Küche? Ich möchte dir gerne was zeigen.“
Dort öffnet sie Schubladen und Türen und zeigt ihm mit einem gewissen Stolz ihre sicherlich zwanzig kleinen Schraubgläser mit Gewürzen und gut beschrifteten Deckeln, vier bunte Teedosen in verschiedenen Größen und eine große Pappkiste für Vorräte. Reis, Nudeln, Mehl, Hafermilch, Dinkelflocken, pürierte Tomaten.
„Für alle Fälle“, meint sie, „vielleicht kaufe ich noch eingelegte Sardinen, die halten lange vor. Was meinst du?"
„Auf jeden Fall“, sagt er und sieht aus dem Fenster. Sie jetzt anzusehen, ginge einfach nicht.
Die Topfpflanzen auf dem Boden sind seit seinem letzten Besuch gut gewachsen.
„Der Zitronenbaum wächst ja ganz schief“, sagt er, „bekommt er auch noch eine Halterung oder Stütze wie die anderen?“
„Ach, das ist schon ok, ein bisschen Chaos darf schon sein“, meint sie und lächelt.