Texte zum Alltäglichen -
der wöchentliche Schreibblog
Schächte
RAU
Rotweiße Absperrgitter. Aufgerissene Bürgersteige. Schwere Maschinen. Dreck und Krach, wochenlang.
Eines Tages rücken sie an. Männer mit Helmen und Sicherheitsschuhen, Werkzeugen und Maschinen, großen Wägen, Dixie-Häuschen und Bauwagen. Schilder verkünden fortan: Durchfahrt eingeschränkt oder verboten. Dann wird irgendwann gebuddelt, ausgegraben, geklopft und gebohrt, werden Pflastersteine, Gehwegplatten, Teerstücke und Erdreich aufgehäuft. Ganz schön viel Material, was da neben Bagger, Rüttler, Pumpen, Schaufeln und Werkzeug Platz braucht.
Irgendwann fangen sie an, und später verschwinden Männer mit Sicherheitswesten erst in Hüft-, dann in Schulterhöhe in den Gräben, später dann tief unten in den Schächten.
Die Neugier ist groß, und die Blicke von außen hinein und hinunter haben fast etwas Verbotenes. Verschiedenfarbiges Erdreich, Rohre, Leitungen, Verknüpfungen, Schaltungen. Altes und Kaputtes neben dem, was noch geht, was da alles liegt! Welche Ordnung! Wie das alles funktioniert! Für Wasser, Abwasser, Strom, Gas, Fernwärme, Telefon, Internet, Fernsehen auch? Liegt da noch Kabel oder schon Glasfaser mit tausender Leitung? Keine Ahnung.
Eine eigene Welt, ein engmaschiges, ausgeklügeltes System, das sich irgendwann Menschen ausgedacht haben. Männer meist, die die technische Logik unterhalb der Häuser, Straßen und Wege verstehen und seither immer wieder reparieren, erweitern, erneuern. Die Pläne machen und lesen können, die genau wissen, wo was liegt und liegen muss, und wann was zu tun ist. Ein riesiger Trupp vom Chef über Planer, Bauleiter, Vorarbeiter, Baggerfahrer, Rüttler, Verdichter, Schaufler und sonst wem.
Für einen Moment hinab- und hineinsehen in die Unterwelt. Ins sonst Verborgene oder als wäre es ein Blick ins Innere von einem selbst. Sieht es womöglich in unseren Körpern nicht ähnlich aus? Wirklich hinsehen oder doch nicht? Möchte man es wirklich so genau wissen? Was passiert, wenn der Überblick verlorengeht, falsche Anschlüsse gesteckt, falsche Rohre benutzt werden? Wenn dort unten nichts mehr funktioniert? Nur schnell wieder weg hier, damit keine schlimmen Gedanken kommen oder Panik gar.
Zeit vergeht, tagelang ist niemand zu sehen, Nacht für Nacht blinken die Warnleuchten. Regenwasser und Müll sammeln sich, Hundehaufen sowieso. Also geduldig warten auf den Moment, wenn das Defekte erneuert ist, alles wieder zugeschüttet und fest gerüttelt wird, wenn zum Schluss wieder Männer dort auf Knien geduldig in mühsamer Handarbeit Pflasterstein neben Pflasterstein in den frischen Sand klopfen und alles wieder schön machen.
Alles vorbei, alles wieder gut, jetzt ist wieder Ruh‘. War da mal was? Sicher geht es morgen in der Nebenstraße wieder los. Noch nie standen so viele rot-weiße Absperrgitter in ihrer Stadt, ach was, im ganzen Land. Reparatur, Umbau und Erneuerung nicht nur unter dem Asphalt, sondern beinahe überall, Transformation ist das Zauberwort der Stunde. Hoffentlich nicht bald auch in ihrem Körper.
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Schächte
RAU
Rotweiße Absperrgitter. Aufgerissene Bürgersteige. Schwere Maschinen. Dreck und Krach, wochenlang.
Eines Tages rücken sie an. Männer mit Helmen und Sicherheitsschuhen, Werkzeugen und Maschinen, großen Wägen, Dixie-Häuschen und Bauwagen. Schilder verkünden fortan: Durchfahrt eingeschränkt oder verboten. Dann wird irgendwann gebuddelt, ausgegraben, geklopft und gebohrt, werden Pflastersteine, Gehwegplatten, Teerstücke und Erdreich aufgehäuft. Ganz schön viel Material, was da neben Bagger, Rüttler, Pumpen, Schaufeln und Werkzeug Platz braucht.
Irgendwann fangen sie an, und später verschwinden Männer mit Sicherheitswesten erst in Hüft-, dann in Schulterhöhe in den Gräben, später dann tief unten in den Schächten.
Die Neugier ist groß, und die Blicke von außen hinein und hinunter haben fast etwas Verbotenes. Verschiedenfarbiges Erdreich, Rohre, Leitungen, Verknüpfungen, Schaltungen. Altes und Kaputtes neben dem, was noch geht, was da alles liegt! Welche Ordnung! Wie das alles funktioniert! Für Wasser, Abwasser, Strom, Gas, Fernwärme, Telefon, Internet, Fernsehen auch? Liegt da noch Kabel oder schon Glasfaser mit tausender Leitung? Keine Ahnung.
Eine eigene Welt, ein engmaschiges, ausgeklügeltes System, das sich irgendwann Menschen ausgedacht haben. Männer meist, die die technische Logik unterhalb der Häuser, Straßen und Wege verstehen und seither immer wieder reparieren, erweitern, erneuern. Die Pläne machen und lesen können, die genau wissen, wo was liegt und liegen muss, und wann was zu tun ist. Ein riesiger Trupp vom Chef über Planer, Bauleiter, Vorarbeiter, Baggerfahrer, Rüttler, Verdichter, Schaufler und sonst wem.
Für einen Moment hinab- und hineinsehen in die Unterwelt. Ins sonst Verborgene oder als wäre es ein Blick ins Innere von einem selbst. Sieht es womöglich in unseren Körpern nicht ähnlich aus? Wirklich hinsehen oder doch nicht? Möchte man es wirklich so genau wissen? Was passiert, wenn der Überblick verlorengeht, falsche Anschlüsse gesteckt, falsche Rohre benutzt werden? Wenn dort unten nichts mehr funktioniert? Nur schnell wieder weg hier, damit keine schlimmen Gedanken kommen oder Panik gar.
Zeit vergeht, tagelang ist niemand zu sehen, Nacht für Nacht blinken die Warnleuchten. Regenwasser und Müll sammeln sich, Hundehaufen sowieso. Also geduldig warten auf den Moment, wenn das Defekte erneuert ist, alles wieder zugeschüttet und fest gerüttelt wird, wenn zum Schluss wieder Männer dort auf Knien geduldig in mühsamer Handarbeit Pflasterstein neben Pflasterstein in den frischen Sand klopfen und alles wieder schön machen.
Alles vorbei, alles wieder gut, jetzt ist wieder Ruh‘. War da mal was? Sicher geht es morgen in der Nebenstraße wieder los. Noch nie standen so viele rot-weiße Absperrgitter in ihrer Stadt, ach was, im ganzen Land. Reparatur, Umbau und Erneuerung nicht nur unter dem Asphalt, sondern beinahe überall, Transformation ist das Zauberwort der Stunde. Hoffentlich nicht bald auch in ihrem Körper.