Texte zum Alltäglichen -
der wöchentliche Schreibblog
Plötzlich gelingt alles
WIE
Nichts ist einfach im Alltag. Allein die vielen kleinen Baustellen überall, in Schränken, im Keller, an den abgelegensten Stellen. Dann noch die Momente, in denen kleine Nebenbemerkungen und Kritiken anderer dem Ego, das nur strahlen möchte, Blessuren zusetzen. Falls er die sich nicht selber zufügte durch Fehleinschätzungen oder sonstige übereilte Entscheidungen. An Tagen, an denen er etwas kaufte, um kurz darauf festzustellen, dass etwas anderes viel wichtiger gewesen wäre. An denen er nach langem Zögern etwas wegschmiss, um anschließend zu merken, dass er es doch noch gut gebraucht hätte. So wie er neulich beim Aufräumen des Kleiderschrankes zur festen Überzeugung gekommen war, niemals mehr diese eine rote Mütze tragen zu wollen, und wenige Tage später das Gefühl verspürte, gerade mit einer roten Mütze seinem Leben einen neuen Farbtupfer geben zu können.
Ständig musste er derartige Unstimmigkeiten in Kauf nehmen, das Zu-Viel und das Zu-Wenig. Bei der Begrüßung der Chefin eine spontane Bemerkung zu viel, eine wohl recht unverständliche Frage an die Partner von der Konkurrenz, alles zu umständlich und etwas holprig. Wie schön wäre es, wenn alles nur elegant verliefe, humorvoll, rund, schlagfertig und scheinbar spontan. Und dann zum richtigen Zeitpunkt auch mal widersprechen, nachhaken und sich durchsetzen.
Andererseits kannte er durchaus das Gefühl, wenn alles gelingt. Zum Beispiel an einem Morgen, an dem er beim Kauf der Zeitung schon daran gedacht hatte, auch Katzenfutter und Filtertüren aus dem Keller mitzubringen. Kurz darauf wurde das Wasser für den Kaffee nahezu zeitgleich fertig mit den Toasts, und beim Decken des Tisches hatte er an auch an alles gedacht.
Aber dann brauchte er nur die Zeitung aufzuschlagen, um dieses Gefühl, ‚mir gelingt alles‘ wieder zu verlieren. Denn genau das bewirkte die morgendliche Zeitungslektüre, da sie auf die unzähligen Gefahren hinwies, die überall lauern. Seien es Inflation, Rechtsruck, Geschäftsschließungen, Wohnungseinbrüche, falsche Ernährung oder sonst etwas. So viel müsste man richtig machen, damit es optimal läuft. Besser früher als später, lieber zweimal als keinmal, lieber vorsichtiger als zu vertrauensvoll, lieber langsamer als zu schnell, oder doch besser schneller als zu zögerlich?
Dabei hatte er immer so eine Illustration aus dem Bilderduden vor sich: Ein Ehepaar in einem Wohnzimmer, alles bestens ausgestattet, alles sitzt und passt. Nichts Überflüssiges, nichts am falschen Platz, alles dort, wo es hingehört. Und alles mit einer Zahl versehen, die auf eine korrekte Bezeichnung, den korrekten Gebrauch, einen korrekten Preis und eine korrekte Rechtfertigung verweist. Wie schön wäre das, dachte er noch, wenn alles passt, alles glatt und klar, alles bündig ist, nichts übersteht. Weder im Kleiderschrank noch im Kontakt mit anderen Menschen, weder auf dem Schreibtisch noch auf dem Konto.
Und dann hatte er plötzlich eine andere Bilderdudenillustration vor Augen. Eine, bei der alle Reste, Missstände und Missverständnisse zu sehen sind, und jedes hatte eine Zahl und einen Namen. Und das machte es irgendwie vertraut, gab allem eine Berechtigung. Was bisher keinen Namen hatte, bekam einen. Weil es doch wesentlicher Bestandteil eines jeden Lebens ist. Alles, was zu Bruch geht, vergessen wird, liegenbleibt, fehl gelaufen ist. Weil die Fehltreffer eben auch Treffer sind genauso wie die Volltreffer. Und manchmal lassen sich die beiden gar so nicht leicht unterscheiden. Umleitungen und Umwege sind auch Wege, Verschleiß und Verbrauch entstehen eben auch durch Fleiß und Gebrauch.
Seine eigene neue Bilderdudenseite hatte die Überschrift 'Shit happens' und auf ihr waren alle Flecken, Flicken und Flusen, Knicke, Knoten und Kanten zu sehen. Die Illusion des Fehlerlosen, wie der Duden es ihm weismachen will, hat sich dabei in Luft aufgelöst. Und es machte sich ein neues Gefühl in ihm breitbreit, eines von Leichtigkeit und unbegrenzter Energie, und er dachte: ‚Plötzlich gelingt alles.‘
Texte zum Alltäglichen -
der wöchentliche Schreibblog
Plötzlich gelingt alles
WIE
Nichts ist einfach im Alltag. Allein die vielen kleinen Baustellen überall, in Schränken, im Keller, an den abgelegensten Stellen. Dann noch die Momente, in denen kleine Nebenbemerkungen und Kritiken anderer dem Ego, das nur strahlen möchte, Blessuren zusetzen. Falls er die sich nicht selber zufügte durch Fehleinschätzungen oder sonstige übereilte Entscheidungen. An Tagen, an denen er etwas kaufte, um kurz darauf festzustellen, dass etwas anderes viel wichtiger gewesen wäre. An denen er nach langem Zögern etwas wegschmiss, um anschließend zu merken, dass er es doch noch gut gebraucht hätte. So wie er neulich beim Aufräumen des Kleiderschrankes zur festen Überzeugung gekommen war, niemals mehr diese eine rote Mütze tragen zu wollen, und wenige Tage später das Gefühl verspürte, gerade mit einer roten Mütze seinem Leben einen neuen Farbtupfer geben zu können.
Ständig musste er derartige Unstimmigkeiten in Kauf nehmen, das Zu-Viel und das Zu-Wenig. Bei der Begrüßung der Chefin eine spontane Bemerkung zu viel, eine wohl recht unverständliche Frage an die Partner von der Konkurrenz, alles zu umständlich und etwas holprig. Wie schön wäre es, wenn alles nur elegant verliefe, humorvoll, rund, schlagfertig und scheinbar spontan. Und dann zum richtigen Zeitpunkt auch mal widersprechen, nachhaken und sich durchsetzen.
Andererseits kannte er durchaus das Gefühl, wenn alles gelingt. Zum Beispiel an einem Morgen, an dem er beim Kauf der Zeitung schon daran gedacht hatte, auch Katzenfutter und Filtertüren aus dem Keller mitzubringen. Kurz darauf wurde das Wasser für den Kaffee nahezu zeitgleich fertig mit den Toasts, und beim Decken des Tisches hatte er an auch an alles gedacht.
Aber dann brauchte er nur die Zeitung aufzuschlagen, um dieses Gefühl, ‚mir gelingt alles‘ wieder zu verlieren. Denn genau das bewirkte die morgendliche Zeitungslektüre, da sie auf die unzähligen Gefahren hinwies, die überall lauern. Seien es Inflation, Rechtsruck, Geschäftsschließungen, Wohnungseinbrüche, falsche Ernährung oder sonst etwas. So viel müsste man richtig machen, damit es optimal läuft. Besser früher als später, lieber zweimal als keinmal, lieber vorsichtiger als zu vertrauensvoll, lieber langsamer als zu schnell, oder doch besser schneller als zu zögerlich?
Dabei hatte er immer so eine Illustration aus dem Bilderduden vor sich: Ein Ehepaar in einem Wohnzimmer, alles bestens ausgestattet, alles sitzt und passt. Nichts Überflüssiges, nichts am falschen Platz, alles dort, wo es hingehört. Und alles mit einer Zahl versehen, die auf eine korrekte Bezeichnung, den korrekten Gebrauch, einen korrekten Preis und eine korrekte Rechtfertigung verweist. Wie schön wäre das, dachte er noch, wenn alles passt, alles glatt und klar, alles bündig ist, nichts übersteht. Weder im Kleiderschrank noch im Kontakt mit anderen Menschen, weder auf dem Schreibtisch noch auf dem Konto.
Und dann hatte er plötzlich eine andere Bilderdudenillustration vor Augen. Eine, bei der alle Reste, Missstände und Missverständnisse zu sehen sind, und jedes hatte eine Zahl und einen Namen. Und das machte es irgendwie vertraut, gab allem eine Berechtigung. Was bisher keinen Namen hatte, bekam einen. Weil es doch wesentlicher Bestandteil eines jeden Lebens ist. Alles, was zu Bruch geht, vergessen wird, liegenbleibt, fehl gelaufen ist. Weil die Fehltreffer eben auch Treffer sind genauso wie die Volltreffer. Und manchmal lassen sich die beiden gar so nicht leicht unterscheiden. Umleitungen und Umwege sind auch Wege, Verschleiß und Verbrauch entstehen eben auch durch Fleiß und Gebrauch.
Seine eigene neue Bilderdudenseite hatte die Überschrift 'Shit happens' und auf ihr waren alle Flecken, Flicken und Flusen, Knicke, Knoten und Kanten zu sehen. Die Illusion des Fehlerlosen, wie der Duden es ihm weismachen will, hat sich dabei in Luft aufgelöst. Und es machte sich ein neues Gefühl in ihm breitbreit, eines von Leichtigkeit und unbegrenzter Energie, und er dachte: ‚Plötzlich gelingt alles.‘