Texte zum Alltäglichen -
der wöchentliche Schreibblog
Plötzlich gelingt alles
RAU
Gestern den ganzen Tag drückendes Kopfweh gehabt und üble Laune dazu, die Welt einmal wieder durch die dunkelgetönte Brille gesehen. Zu wenig Aufträge, keine Arbeitsdisziplin mehr, Rad und Wagen müssen in die Werkstatt, seit ein paar Tagen tropft die Küchenarmatur, und ich wische jeden Morgen das stehende Wasser aus dem Unterschrank. Von den Staubwolken auf dem Boden und den Spinnweben in den Ecken möchte ich gar nicht reden. Mein Lieblingspullover hat Löcher und dünne Stellen an den Ärmeln, die Absätze der Stiefeletten sind abgetreten und Katze Mimi muss dringend zum Tierarzt.
Und ich? Habe heute wieder zu nichts Lust und für nichts Kraft, könnte schon mittags die Vorhänge zuziehen und mich wieder ins Bett legen. Es ist Ende November, jedes Jahr wieder diese Mühen, denke ich und ziehe Mantel, Stiefeletten, Mütze, Schal und Handschuhe an, greife den Einkaufsbeutel und verlasse die Wohnung. Ein paar Dinge müssen eingekauft werden, Brot, Butter, Käse, Tomaten, Obst und alkoholfreies Bier. Draußen empfängt mich Sprühregen und dichtes Grau. Die Laternen spenden ihr Licht und werden wohl bis zum Abend an bleiben.
Ich gehe an überfüllten Papierkörben und einer auf dem Gehweg abgelegten Matratze vorbei, die der Regen durchtränkt hat. Letzte Woche sind es an dieser Stelle ein ausrangierter Kinderhochstuhl und eine Stehlampe gewesen. Und vor Hausnummer fünf steht schon wieder eine Kiste mit alten Büchern, Platten und CDs zum Verschenken, die sowieso niemand mehr haben will. Neben der Kasse im Supermarkt der Zeitungsständer mit den Schlagzeilen des Tages: Gesundheitsministerin inmitten der Krise im Urlaub!!! Endlich Black Friday!!! Das Stadtderby am Samstag mit voller Zuschauerzahl!!!
Morgen ist der 26. November, habe ich ganz vergessen. Seit Tagen schon gleitet ein Tag nach dem anderen konturlos an mir vorbei. Vor zehn Jahren habe ich Alma kennengelernt, am 26. November abends um zehn nach neun in der Autorenbuchhandlung bei einer Lesung eines ziemlich oberflächlichen Romans eines mittelmäßigen, österreichischen Autors. Alma ist damals frisch aus Wien in die Stadt gezogen gewesen, und nach Lesung, geselliger Runde mit Autor, Buchhändlern und ein paar aus dem Publikum haben wir unsere Telefonnummern ausgetauscht und uns schon am nächsten Abend wiedergesehen. Eine Woche später sind wir ein Paar geworden.
Sind es bis vor vier Wochen gewesen, da ist Alma nach kurzer, schwerer Krankheit gestorben. Sie hat keine Chance gehabt und ist doch friedlich gegangen. Seither kann ich meine Tage und meine Nächte nicht ein gutes Leben nennen. Alles fällt mir schwer, zu nichts habe ich Lust, und wüsste ich nicht Alma in der kalten Novembererde, würde ich mich gerne zu ihr legen.
Aber ich höre, was sie mir jetzt zurufen würde. Hej du, weißt du noch, der 26. November? Unser Tag? Es ist schrecklich grau gewesen und hat den ganzen Tag geregnet, das Buch des Österreichers ist grottenschlecht gewesen, aber der Wein im Lokal anschließend schon etwas besser. Und wir haben uns gesehen und miteinander gesprochen, uns angelacht und auch schon kurz, ganz leicht an den Händen berührt, weißt du noch?
Ja, Alma, ich erinnere alles von diesem Abend, du hattest einen grünen Veltliner und ich ein Weißbier, dazu haben wir uns eine Brezel geteilt. Du bist erst einen Monat in der Stadt gewesen, und ich bereits zwanzig Jahre, wir haben über unsere Lieblingsbücher gesprochen und über unsere Pläne. Du wolltest endlich ein Interview mit Angela Merkel machen, und ich einen Wettbewerb für eine große Brücke gewinnen. Kinder wollten wir beide nicht. Damals vor zehn Jahre haben wir uns zum ersten Mal in die Augen gesehen und bereits eine Woche später sind wir ein Paar gewesen. Und plötzlich gelingt alles, haben wir gesagt, uns immer wieder an der Hand genommen und unser Glück nicht fassen können. Du hast Dein Interview mit Angela Merkel und viele andere gemacht, und ich habe meine Brücken entworfen und gebaut, alles ist uns gelungen seit diesem Tag. Vor einem Jahr haben wir gemeint, dass nun Zeit für ein Kind sei oder auch zwei. Ach Alma.
Ich habe alles eingekauft, Brot, Käse, Tomaten, Obst, alkoholfreies Bier und für dich eine Tafel dunkle Schokolade. Werde jetzt nach Hause gehen und mich nicht über die achtlos hingeworfene und durchweichte Matratze auf dem Gehweg aufregen, werde zuhause die Lichter und auch eine Kerze anmachen und mich an unseren Tisch setzen. Etwas Musik hören. Das Wollgarn aus deinem Nähkorb nehmen und die Löcher in meinem Lieblingspullover stopfen, so wie du es mir gezeigt hast. Mit uns zusammen ist damals plötzlich alles gelungen, weißt Du noch, Alma?
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Plötzlich gelingt alles
RAU
Gestern den ganzen Tag drückendes Kopfweh gehabt und üble Laune dazu, die Welt einmal wieder durch die dunkelgetönte Brille gesehen. Zu wenig Aufträge, keine Arbeitsdisziplin mehr, Rad und Wagen müssen in die Werkstatt, seit ein paar Tagen tropft die Küchenarmatur, und ich wische jeden Morgen das stehende Wasser aus dem Unterschrank. Von den Staubwolken auf dem Boden und den Spinnweben in den Ecken möchte ich gar nicht reden. Mein Lieblingspullover hat Löcher und dünne Stellen an den Ärmeln, die Absätze der Stiefeletten sind abgetreten und Katze Mimi muss dringend zum Tierarzt.
Und ich? Habe heute wieder zu nichts Lust und für nichts Kraft, könnte schon mittags die Vorhänge zuziehen und mich wieder ins Bett legen. Es ist Ende November, jedes Jahr wieder diese Mühen, denke ich und ziehe Mantel, Stiefeletten, Mütze, Schal und Handschuhe an, greife den Einkaufsbeutel und verlasse die Wohnung. Ein paar Dinge müssen eingekauft werden, Brot, Butter, Käse, Tomaten, Obst und alkoholfreies Bier. Draußen empfängt mich Sprühregen und dichtes Grau. Die Laternen spenden ihr Licht und werden wohl bis zum Abend an bleiben.
Ich gehe an überfüllten Papierkörben und einer auf dem Gehweg abgelegten Matratze vorbei, die der Regen durchtränkt hat. Letzte Woche sind es an dieser Stelle ein ausrangierter Kinderhochstuhl und eine Stehlampe gewesen. Und vor Hausnummer fünf steht schon wieder eine Kiste mit alten Büchern, Platten und CDs zum Verschenken, die sowieso niemand mehr haben will. Neben der Kasse im Supermarkt der Zeitungsständer mit den Schlagzeilen des Tages: Gesundheitsministerin inmitten der Krise im Urlaub!!! Endlich Black Friday!!! Das Stadtderby am Samstag mit voller Zuschauerzahl!!!
Morgen ist der 26. November, habe ich ganz vergessen. Seit Tagen schon gleitet ein Tag nach dem anderen konturlos an mir vorbei. Vor zehn Jahren habe ich Alma kennengelernt, am 26. November abends um zehn nach neun in der Autorenbuchhandlung bei einer Lesung eines ziemlich oberflächlichen Romans eines mittelmäßigen, österreichischen Autors. Alma ist damals frisch aus Wien in die Stadt gezogen gewesen, und nach Lesung, geselliger Runde mit Autor, Buchhändlern und ein paar aus dem Publikum haben wir unsere Telefonnummern ausgetauscht und uns schon am nächsten Abend wiedergesehen. Eine Woche später sind wir ein Paar geworden.
Sind es bis vor vier Wochen gewesen, da ist Alma nach kurzer, schwerer Krankheit gestorben. Sie hat keine Chance gehabt und ist doch friedlich gegangen. Seither kann ich meine Tage und meine Nächte nicht ein gutes Leben nennen. Alles fällt mir schwer, zu nichts habe ich Lust, und wüsste ich nicht Alma in der kalten Novembererde, würde ich mich gerne zu ihr legen.
Aber ich höre, was sie mir jetzt zurufen würde. Hej du, weißt du noch, der 26. November? Unser Tag? Es ist schrecklich grau gewesen und hat den ganzen Tag geregnet, das Buch des Österreichers ist grottenschlecht gewesen, aber der Wein im Lokal anschließend schon etwas besser. Und wir haben uns gesehen und miteinander gesprochen, uns angelacht und auch schon kurz, ganz leicht an den Händen berührt, weißt du noch?
Ja, Alma, ich erinnere alles von diesem Abend, du hattest einen grünen Veltliner und ich ein Weißbier, dazu haben wir uns eine Brezel geteilt. Du bist erst einen Monat in der Stadt gewesen, und ich bereits zwanzig Jahre, wir haben über unsere Lieblingsbücher gesprochen und über unsere Pläne. Du wolltest endlich ein Interview mit Angela Merkel machen, und ich einen Wettbewerb für eine große Brücke gewinnen. Kinder wollten wir beide nicht. Damals vor zehn Jahre haben wir uns zum ersten Mal in die Augen gesehen und bereits eine Woche später sind wir ein Paar gewesen. Und plötzlich gelingt alles, haben wir gesagt, uns immer wieder an der Hand genommen und unser Glück nicht fassen können. Du hast Dein Interview mit Angela Merkel und viele andere gemacht, und ich habe meine Brücken entworfen und gebaut, alles ist uns gelungen seit diesem Tag. Vor einem Jahr haben wir gemeint, dass nun Zeit für ein Kind sei oder auch zwei. Ach Alma.
Ich habe alles eingekauft, Brot, Käse, Tomaten, Obst, alkoholfreies Bier und für dich eine Tafel dunkle Schokolade. Werde jetzt nach Hause gehen und mich nicht über die achtlos hingeworfene und durchweichte Matratze auf dem Gehweg aufregen, werde zuhause die Lichter und auch eine Kerze anmachen und mich an unseren Tisch setzen. Etwas Musik hören. Das Wollgarn aus deinem Nähkorb nehmen und die Löcher in meinem Lieblingspullover stopfen, so wie du es mir gezeigt hast. Mit uns zusammen ist damals plötzlich alles gelungen, weißt Du noch, Alma?