Texte zum Alltäglichen -
der wöchentliche Schreibblog
Ortswechsel
RAU
Nein, ich denke jetzt nicht an meinen Mann, der mir gerade vorgeschlagen hat, wegen meiner angeschlagenen Gesundheit doch mal wieder an die Nordsee zu fahren, ein zwischenzeitlicher Ortswechsel würde mir guttun, ich müsse einfach mal raus an die frische Luft.
Denn plötzlich denke ich an die Orte, an denen ich gelebt habe und lebe, es sind insgesamt zehn. Und an die verschiedenen Wohnungen und Häuser, es sind insgesamt achtzehn. Sechs zusammen mit Eltern und vier mit meinen Kindern. Und was soll ich sagen? Die meisten Ortswechsel waren nicht freiwillig und hatten vielleicht auch deshalb ihre Tücken.
Der zweite war die Flucht von einem Teil Deutschlands in den anderen, meine Eltern haben damals mit uns rübergemacht, wie man sagte. Und ich hörte prompt ein paar Wochen lang auf zu sprechen, sagte einfach keinen Pieps mehr, und meine besorgten Eltern gingen mit mir zum Arzt. Ein anders Mal war die Wohnung zu klein geworden, eine andere wurde uns gekündigt, dann war der Traum vom eigenen Haus für meine Eltern Wirklichkeit geworden, ein paar Jahre später wollte ich nur noch ganz schnell ganz weit weg von dort, einmal waren die Mitbewohner der WG nicht mehr zu ertragen, zweimal verließ ich einen Ort wegen eines Mannes und ein anderes Mal für einen neuen Job. So ging es zurück auf Los, und in meinem Leben war beinahe wieder alles neu: Schule, Job, FreundInnen und KollegInnen, Sportverein, Nachbarn, Ärzte, Wege, Geschäfte und Wohlfühlplätze. Ich freute mich und weinte viel, war neugierig und überfordert, kam mit dem Abschiednehmen nicht zurecht, nicht mit dem Vermissen von Vertrautem und dem Eingewöhnen im Neuen. Andere Male war es wie ein Entkommen, Erleichterung und Freude pur.
Bei einem Umzug von der gewohnten Kleinstadt in die unbekannte Großstadt meinte mein Sohn auf der Fahrt im Auto, er war damals acht Jahre alt, dass er jetzt ja ein ganz neues Leben beginnen könne, niemand würde ihn kennen, nichts von ihm wissen wie bisher. Ein halbes Jahr später wog er vier Kilo mehr und wollte viele Monate nachts wieder in unserem Bett schlafen.
Sich aufmachen, neugierig sein, sich fremd und überfordert fühlen. Mal ist es eine Kündigung, ein neuer Job, eine neue Liebe oder das Ende einer, mal eine Not oder jetzt auch wieder ein Krieg. Und für jede und jeden ist es jedes Mal etwas anderes, etwas Besonderes, eine neue Möglichkeit, ein unwiderruflicher Einschnitt, ein herber Verlust oder ein Desaster.
„Und wann fährst Du jetzt an die See, soll ich mitkommen?“, fragt mein Mann plötzlich.
„Ach du, weiß noch nicht, war gerade in Gedanken ganz woanders“, antworte ich.
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Ortswechsel
RAU
Nein, ich denke jetzt nicht an meinen Mann, der mir gerade vorgeschlagen hat, wegen meiner angeschlagenen Gesundheit doch mal wieder an die Nordsee zu fahren, ein zwischenzeitlicher Ortswechsel würde mir guttun, ich müsse einfach mal raus an die frische Luft.
Denn plötzlich denke ich an die Orte, an denen ich gelebt habe und lebe, es sind insgesamt zehn. Und an die verschiedenen Wohnungen und Häuser, es sind insgesamt achtzehn. Sechs zusammen mit Eltern und vier mit meinen Kindern. Und was soll ich sagen? Die meisten Ortswechsel waren nicht freiwillig und hatten vielleicht auch deshalb ihre Tücken.
Der zweite war die Flucht von einem Teil Deutschlands in den anderen, meine Eltern haben damals mit uns rübergemacht, wie man sagte. Und ich hörte prompt ein paar Wochen lang auf zu sprechen, sagte einfach keinen Pieps mehr, und meine besorgten Eltern gingen mit mir zum Arzt. Ein anders Mal war die Wohnung zu klein geworden, eine andere wurde uns gekündigt, dann war der Traum vom eigenen Haus für meine Eltern Wirklichkeit geworden, ein paar Jahre später wollte ich nur noch ganz schnell ganz weit weg von dort, einmal waren die Mitbewohner der WG nicht mehr zu ertragen, zweimal verließ ich einen Ort wegen eines Mannes und ein anderes Mal für einen neuen Job. So ging es zurück auf Los, und in meinem Leben war beinahe wieder alles neu: Schule, Job, FreundInnen und KollegInnen, Sportverein, Nachbarn, Ärzte, Wege, Geschäfte und Wohlfühlplätze. Ich freute mich und weinte viel, war neugierig und überfordert, kam mit dem Abschiednehmen nicht zurecht, nicht mit dem Vermissen von Vertrautem und dem Eingewöhnen im Neuen. Andere Male war es wie ein Entkommen, Erleichterung und Freude pur.
Bei einem Umzug von der gewohnten Kleinstadt in die unbekannte Großstadt meinte mein Sohn auf der Fahrt im Auto, er war damals acht Jahre alt, dass er jetzt ja ein ganz neues Leben beginnen könne, niemand würde ihn kennen, nichts von ihm wissen wie bisher. Ein halbes Jahr später wog er vier Kilo mehr und wollte viele Monate nachts wieder in unserem Bett schlafen.
Sich aufmachen, neugierig sein, sich fremd und überfordert fühlen. Mal ist es eine Kündigung, ein neuer Job, eine neue Liebe oder das Ende einer, mal eine Not oder jetzt auch wieder ein Krieg. Und für jede und jeden ist es jedes Mal etwas anderes, etwas Besonderes, eine neue Möglichkeit, ein unwiderruflicher Einschnitt, ein herber Verlust oder ein Desaster.
„Und wann fährst Du jetzt an die See, soll ich mitkommen?“, fragt mein Mann plötzlich.
„Ach du, weiß noch nicht, war gerade in Gedanken ganz woanders“, antworte ich.