Texte zum Alltäglichen -
der wöchentliche Schreibblog
Oder einfach schwarz
RAU
Es ist sicherlich schon das fünfte oder sechste Kleid, das sie anprobiert. Die junge Verkäuferin ist unermüdlich mit ihren Vorschlägen, dabei waren Charlottes Vorgaben eindeutig: knielang, Ärmel über die Ellenbogen, leicht figurbetont und einfarbig. Oder auch ziemlich langweilig, denkt sie, als sie sich aus dem dunkelroten Kleid herausschält.
Konrad wollte nicht mit, das hat sie nicht gewundert, Kleidung zu kaufen ist ihm ein Gräuel. Also ist sie alleine los und steht nun schon gefühlt eine Stunde in der gar nicht mal so engen Umkleide, die sogar angenehmes Seitenlicht hat. Trotzdem. Sich halb auszuziehen und verschiedene neue Sachen anzuziehen ist fürchterlich. Aber es muss sein, sie braucht mindestens drei neue Kleider, von den Hosenanzügen, die jetzt im Job getragen werden, hat sie schon genug im Schrank. Wie sie diese Teile hasst, wie überhaupt alle Hosen, in denen sie sich eingeengt fühlt vor allem am Bauch.
„Das steht ihnen ausgezeichnet“, sagt die Verkäuferin und wirkt dabei etwas erschöpft.
Genauso hat sie bei den anderen davor auch schon gesprochen. Es ist schon kurz vor halb acht Uhr, und sicherlich sehnt sie ihren Feierabend herbei. Wie Charlotte auch. Wie konnte sie nur auf die dämliche Idee kommen, nach dem Büro noch hierher zu fahren.? Zu warm und zu stickig ist die Luft, einfarbige Kleider gibt es nicht viele, dafür aber Unmengen mit schrecklichen, kleinteiligen Mustern. Wie Kittel in den Nachkriegsjahren sehen die aus. Also nun dunkel- oder hellgrün, mittel- oder azurblau, dunkelrot oder rotorange? Mit rundem oder eckigem oder V-Ausschnitt? Leicht ausgestellt oder eng anliegend? Immer diese Entscheidungen! Warum ist Konrad nicht da und sagt, die drei nimmst du und gut ist. Dabei würde er sowieso zu allen ja sagen, um nur möglichst schnell wieder aus dem Geschäft rauszukommen. Soll sie einfach alle kaufen? Sechs Kleider? Nur weil ihr Mann nicht da ist und sie nicht berät und sie sich nicht entscheiden kann? So ein Wahnsinn, denkt sie, weniger ist mehr predigt sie doch immerzu.
„Oder einfach schwarz?“, fragt die Verkäuferin, die sichtlich ungeduldig wird, ihre energische Stimme verrät sie und auch der rasche Blick zur Uhr.
Für einen Moment sieht Charlotte sie fassungslos an, um sich dann gleich wieder zu beruhigen. Wie soll diese junge Frau wissen, dass sie seitdem nie mehr schwarz getragen hat. Und sie wird es ihr jetzt auch nicht sagen, wie schrecklich dieser Tag für sie gewesen ist. Natürlich nicht nur für sie, ihre Eltern wirkten wie ausgelöscht und sind es bis heute. Drei Jahre ist es jetzt her, dass Fritz seinem Leben ein Ende gemacht hat, und es schmerzt immer noch so sehr, dass er nicht mehr ist. Ihr Lieblingsbruder, mit dem sie durch dick und dünn gegangen ist, der sie verstanden hat wie kein anderer. Das schwarze Kleid, das sie damals getragen hat, hat sie danch sofort in den Altkleidercontainer geworfen genauso wie die schwarze Jacke und die schwarzen Pumps. Seither trägt sie nichts Schwarzes mehr, keinen Pullover oder Rock, keine Bluse oder Hose, nicht einmal ein T-Shirt oder BH. Sie möchte nicht mehr an den Schock und die Trauer denken, nicht mehr an die Beerdigung und auch nicht mehr daran, wie sehr ihr Fritz fehlt.
„Ich nehme das hier und die beiden grünen“, sagt sie hastig und geht wieder zurück in die Umkleide. Ihre Tränen braucht die junge Verkäuferin nun wirklich nicht zu sehen.
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Oder einfach schwarz
RAU
Es ist sicherlich schon das fünfte oder sechste Kleid, das sie anprobiert. Die junge Verkäuferin ist unermüdlich mit ihren Vorschlägen, dabei waren Charlottes Vorgaben eindeutig: knielang, Ärmel über die Ellenbogen, leicht figurbetont und einfarbig. Oder auch ziemlich langweilig, denkt sie, als sie sich aus dem dunkelroten Kleid herausschält.
Konrad wollte nicht mit, das hat sie nicht gewundert, Kleidung zu kaufen ist ihm ein Gräuel. Also ist sie alleine los und steht nun schon gefühlt eine Stunde in der gar nicht mal so engen Umkleide, die sogar angenehmes Seitenlicht hat. Trotzdem. Sich halb auszuziehen und verschiedene neue Sachen anzuziehen ist fürchterlich. Aber es muss sein, sie braucht mindestens drei neue Kleider, von den Hosenanzügen, die jetzt im Job getragen werden, hat sie schon genug im Schrank. Wie sie diese Teile hasst, wie überhaupt alle Hosen, in denen sie sich eingeengt fühlt vor allem am Bauch.
„Das steht ihnen ausgezeichnet“, sagt die Verkäuferin und wirkt dabei etwas erschöpft.
Genauso hat sie bei den anderen davor auch schon gesprochen. Es ist schon kurz vor halb acht Uhr, und sicherlich sehnt sie ihren Feierabend herbei. Wie Charlotte auch. Wie konnte sie nur auf die dämliche Idee kommen, nach dem Büro noch hierher zu fahren.? Zu warm und zu stickig ist die Luft, einfarbige Kleider gibt es nicht viele, dafür aber Unmengen mit schrecklichen, kleinteiligen Mustern. Wie Kittel in den Nachkriegsjahren sehen die aus. Also nun dunkel- oder hellgrün, mittel- oder azurblau, dunkelrot oder rotorange? Mit rundem oder eckigem oder V-Ausschnitt? Leicht ausgestellt oder eng anliegend? Immer diese Entscheidungen! Warum ist Konrad nicht da und sagt, die drei nimmst du und gut ist. Dabei würde er sowieso zu allen ja sagen, um nur möglichst schnell wieder aus dem Geschäft rauszukommen. Soll sie einfach alle kaufen? Sechs Kleider? Nur weil ihr Mann nicht da ist und sie nicht berät und sie sich nicht entscheiden kann? So ein Wahnsinn, denkt sie, weniger ist mehr predigt sie doch immerzu.
„Oder einfach schwarz?“, fragt die Verkäuferin, die sichtlich ungeduldig wird, ihre energische Stimme verrät sie und auch der rasche Blick zur Uhr.
Für einen Moment sieht Charlotte sie fassungslos an, um sich dann gleich wieder zu beruhigen. Wie soll diese junge Frau wissen, dass sie seitdem nie mehr schwarz getragen hat. Und sie wird es ihr jetzt auch nicht sagen, wie schrecklich dieser Tag für sie gewesen ist. Natürlich nicht nur für sie, ihre Eltern wirkten wie ausgelöscht und sind es bis heute. Drei Jahre ist es jetzt her, dass Fritz seinem Leben ein Ende gemacht hat, und es schmerzt immer noch so sehr, dass er nicht mehr ist. Ihr Lieblingsbruder, mit dem sie durch dick und dünn gegangen ist, der sie verstanden hat wie kein anderer. Das schwarze Kleid, das sie damals getragen hat, hat sie danch sofort in den Altkleidercontainer geworfen genauso wie die schwarze Jacke und die schwarzen Pumps. Seither trägt sie nichts Schwarzes mehr, keinen Pullover oder Rock, keine Bluse oder Hose, nicht einmal ein T-Shirt oder BH. Sie möchte nicht mehr an den Schock und die Trauer denken, nicht mehr an die Beerdigung und auch nicht mehr daran, wie sehr ihr Fritz fehlt.
„Ich nehme das hier und die beiden grünen“, sagt sie hastig und geht wieder zurück in die Umkleide. Ihre Tränen braucht die junge Verkäuferin nun wirklich nicht zu sehen.