Texte zum Alltäglichen -
der wöchentliche Schreibblog
Nur so
RAU
Schön langsam regt Wolf ihn auf. Nicht leicht, sich das einzugestehen, aber heute hat sein Freund wirklich einen miesen Tag, einen ziemlich miesen sogar. Was Wolf natürlich abstreiten würde, aber Konrad fällt es immer schwerer, ihm zuzuhören. Also greift er sich das Rotweinglas und dreht das feine Kristallrund langsam zwischen den Fingern hin und her, nimmt einen Schluck und sieht dann auf den Tisch, starrt nahezu wie früher in der Schule, wenn er keine Antwort wusste.
Währenddessen beschwert sich Wolf weiter über unfähige Politiker, junge Klimaaktivisten und frustrierte Ostdeutsche. Konrad aber schweigt, hat absolut keine Lust, in eines dieser Themen einzusteigen, denn dann würden sie ..., ja was? Womöglich in einen Streit geraten, und dem will er entgehen. Also sieht er an seinem Freund vorbei und betrachtet die Kastanie vor dem Fenster. Unglaublich, wie schnell sie in den letzten Tagen gelb geworden ist. Und nun schon fast die Hälfte ihrer Blätter verloren hat, vielleicht noch eine Woche, dann ist sie kahl. Dann steht unweigerlich der Winter vor der Tür mit Dunkelheit und Kälte.
Beschwert sich Wolf deshalb nun schon seit einer Viertelstunde über Alles und Jeden? Was soll er dagegenhalten? Auf die Kastanie zeigen, auf die gemütlichen Abende zuhause zu sprechen kommen, die Lust an leckeren Essen und Weinen? Doch in seiner Stimmung würde Wolf sowieso nicht zuhören, also nimmt Konrad noch einen Schluck Wein und hofft, dass Wolf bald leer geschimpft ist. Doch weit gefehlt, jetzt sind die Inflationszahlen, immer noch zu hohen Benzin- und Strompreise und der ganze Irrsinn mit den Heizungen dran, ganz zu schweigen von dem Kriegsirrsinn.
Konrad ist kurz davor, aufzustehen und den Freund sitzen zu lassen mit all seinem angestauten Frust. Oder was ist es sonst? Ist er seit dem schlimmen Krebstod seiner Frau vielleicht nur schon viel zu lange alleine? Ohne ebenbürtiges Gegenüber? Muss sich den Frust von der Seele reden, um nicht zu verzweifeln oder gar verrückt zu werden? Für den Verlust seiner Frau gibt es keinen Verantwortlichen, müssen deshalb alle anderen herhalten und zu Nichtsnutzen und Idioten abgestempelt werden?
Warum soll er sich das an seinem freien Abend antun? Aber einfach mal richtig dagegenhalten will er auch nicht, denn dann, ja dann müssten sie auch über den derzeitigen, ziemlich unbefriedigenden Zustand ihrer immerhin bereits über zwanzig Jahre währenden Freundschaft reden. Und er wüsste nicht, wie ehrlich er sein würde und könnte. Herrje, wäre er nur zuhause geblieben, also reibt er die Innenflächen seiner Hände an seiner Hose auf Höhe der Oberschenkel hin und her, um irgendetwas zu tun.
„Was ist los? Du sagst ja gar nichts“, fragt Wolf nach einer gefühlten Ewigkeit.
„Nichts ist los.“
„Ich musste mich einfach mal leer reden, statt nur so vor mich hinzudenken wie sonst den lieben langen Tag."
"Nur so quatscht du mir also die Ohren voll, na danke auch."
"Alt werden und alleine sein ist einfach Mist, das sage ich dir. Lass uns noch rüber ins Gotthard gehen und 'ne Runde Billard spielen, was meinst du?“
Texte zum Alltäglichen -
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Nur so
RAU
Schön langsam regt Wolf ihn auf. Nicht leicht, sich das einzugestehen, aber heute hat sein Freund wirklich einen miesen Tag, einen ziemlich miesen sogar. Was Wolf natürlich abstreiten würde, aber Konrad fällt es immer schwerer, ihm zuzuhören. Also greift er sich das Rotweinglas und dreht das feine Kristallrund langsam zwischen den Fingern hin und her, nimmt einen Schluck und sieht dann auf den Tisch, starrt nahezu wie früher in der Schule, wenn er keine Antwort wusste.
Währenddessen beschwert sich Wolf weiter über unfähige Politiker, junge Klimaaktivisten und frustrierte Ostdeutsche. Konrad aber schweigt, hat absolut keine Lust, in eines dieser Themen einzusteigen, denn dann würden sie ..., ja was? Womöglich in einen Streit geraten, und dem will er entgehen. Also sieht er an seinem Freund vorbei und betrachtet die Kastanie vor dem Fenster. Unglaublich, wie schnell sie in den letzten Tagen gelb geworden ist. Und nun schon fast die Hälfte ihrer Blätter verloren hat, vielleicht noch eine Woche, dann ist sie kahl. Dann steht unweigerlich der Winter vor der Tür mit Dunkelheit und Kälte.
Beschwert sich Wolf deshalb nun schon seit einer Viertelstunde über Alles und Jeden? Was soll er dagegenhalten? Auf die Kastanie zeigen, auf die gemütlichen Abende zuhause zu sprechen kommen, die Lust an leckeren Essen und Weinen? Doch in seiner Stimmung würde Wolf sowieso nicht zuhören, also nimmt Konrad noch einen Schluck Wein und hofft, dass Wolf bald leer geschimpft ist. Doch weit gefehlt, jetzt sind die Inflationszahlen, immer noch zu hohen Benzin- und Strompreise und der ganze Irrsinn mit den Heizungen dran, ganz zu schweigen von dem Kriegsirrsinn.
Konrad ist kurz davor, aufzustehen und den Freund sitzen zu lassen mit all seinem angestauten Frust. Oder was ist es sonst? Ist er seit dem schlimmen Krebstod seiner Frau vielleicht nur schon viel zu lange alleine? Ohne ebenbürtiges Gegenüber? Muss sich den Frust von der Seele reden, um nicht zu verzweifeln oder gar verrückt zu werden? Für den Verlust seiner Frau gibt es keinen Verantwortlichen, müssen deshalb alle anderen herhalten und zu Nichtsnutzen und Idioten abgestempelt werden?
Warum soll er sich das an seinem freien Abend antun? Aber einfach mal richtig dagegenhalten will er auch nicht, denn dann, ja dann müssten sie auch über den derzeitigen, ziemlich unbefriedigenden Zustand ihrer immerhin bereits über zwanzig Jahre währenden Freundschaft reden. Und er wüsste nicht, wie ehrlich er sein würde und könnte. Herrje, wäre er nur zuhause geblieben, also reibt er die Innenflächen seiner Hände an seiner Hose auf Höhe der Oberschenkel hin und her, um irgendetwas zu tun.
„Was ist los? Du sagst ja gar nichts“, fragt Wolf nach einer gefühlten Ewigkeit.
„Nichts ist los.“
„Ich musste mich einfach mal leer reden, statt nur so vor mich hinzudenken wie sonst den lieben langen Tag."
"Nur so quatscht du mir also die Ohren voll, na danke auch."
"Alt werden und alleine sein ist einfach Mist, das sage ich dir. Lass uns noch rüber ins Gotthard gehen und 'ne Runde Billard spielen, was meinst du?“