Texte zum Alltäglichen -
der wöchentliche Schreibblog
Nicht aus Pappe
RAU
Die Fotografien sind gut, unglaublich gut sogar. Technisch brillant und meisterlich hinsichtlich Bildaufbau, Licht und Schärfe. Ziemlich große Abzüge, sicherlich zwei auf drei Meter die größeren.
Ihr gefällt die Ausstellung, der Name des Künstlers sagte ihr nichts, und eigentlich ist sie nur in die Kunsthalle gegangen, weil sich ihr Termin mit dem Kunden verschoben hat. Zwei Stunden musste sie überbrücken, und nun steht sie vor dem nächsten Bild.
Beau Rivage, Genf 1987. Ein Badezimmer in einem Schweizer Luxushotel mit Blick auf eine Badewanne. Da war doch was damals? Mühsam kommen die Erinnerungen an einen politischen Skandal, Barschel hieß er, war Ministerpräsident von Schleswig-Holstein und hat eines Tages tot im Badewasser gelegen, vollständig angezogen. Das Bild war damals in allen Zeitungen und Magazinen. Sie tritt näher heran, die Aufnahme ist gestochen scharf, aber irgendetwas ist merkwürdig. Sind es die Armaturen oder jegliches Fehlen der üblichen Utensilien wie Shampoo oder Duschgel? Auch ein Handtuch fehlt, natürlich auch der tote Politiker, aber das Wasser sieht vollkommen natürlich aus. Seltsam künstlich wirkt das Ganze, obwohl die Fotografie perfekt ausgeleuchtet ist.
Sie geht zum nächsten Foto, ein menschenleeres Büro oder nein, vielmehr ein Raum mit Kopieren und Druckern, zwei Säulen, hässlichen Deckenlampen und mehreren Papierkörben. So wie sie eben aussehen, diese unwirtlichen Räume der Bürowelt oder zumindest aussahen vor zehn, fünfzehn Jahren. Auch hier derselbe Mix aus Detailgenauigkeit und Fremdheit. Auf den ersten Blick ist nicht zu erkennen, was so seltsam anmutet, erst der Text am Anfang der Ausstellung, den sie am Ende des Rundgangs aufmerksam liest, lüftet das Geheimnis. Der Künstler hat nicht die wirklichen Räume abfotografiert, sondern zuerst Modelle aus Pappe davon angefertigt und diese dann abgelichtet. Hotelzimmer, Büroräume, Flugzeuggangway, Kontrollraum, Werkstatt, Haltestelle, Parlament, hat also tatsächlich erst Fotos davon gemacht, dann detailgetreue und maßstabgerechte Modelle aus Pappe gebaut, diese farblich passend gestrichen und zum Schluss alles abfotografiert. Und somit ein sehr gekonntes Spiel mit Schein und Wirklichkeit geschaffen.
Genial, denkt sie und geht noch einmal durch die Ausstellung. Alles auf den Bildern scheint wirklich und ist es doch nicht. Ein nüchterner Schein, der zum Denken anregt. Wenn man das mit Plätzen des eigenen Lebens auch machen würde, hätte man auf manches sicherlich einen anderen Blick.
Wie kommt man auf so eine Idee? „Das ist nicht aus Pappe“, denkt sie und muss schmunzeln, denn diesen Spruch hatte Vater stets auf Lager, wenn ihr etwas gut gelungen, und er besonders stolz auf sie war.
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Nicht aus Pappe
RAU
Die Fotografien sind gut, unglaublich gut sogar. Technisch brillant und meisterlich hinsichtlich Bildaufbau, Licht und Schärfe. Ziemlich große Abzüge, sicherlich zwei auf drei Meter die größeren.
Ihr gefällt die Ausstellung, der Name des Künstlers sagte ihr nichts, und eigentlich ist sie nur in die Kunsthalle gegangen, weil sich ihr Termin mit dem Kunden verschoben hat. Zwei Stunden musste sie überbrücken, und nun steht sie vor dem nächsten Bild.
Beau Rivage, Genf 1987. Ein Badezimmer in einem Schweizer Luxushotel mit Blick auf eine Badewanne. Da war doch was damals? Mühsam kommen die Erinnerungen an einen politischen Skandal, Barschel hieß er, war Ministerpräsident von Schleswig-Holstein und hat eines Tages tot im Badewasser gelegen, vollständig angezogen. Das Bild war damals in allen Zeitungen und Magazinen. Sie tritt näher heran, die Aufnahme ist gestochen scharf, aber irgendetwas ist merkwürdig. Sind es die Armaturen oder jegliches Fehlen der üblichen Utensilien wie Shampoo oder Duschgel? Auch ein Handtuch fehlt, natürlich auch der tote Politiker, aber das Wasser sieht vollkommen natürlich aus. Seltsam künstlich wirkt das Ganze, obwohl die Fotografie perfekt ausgeleuchtet ist.
Sie geht zum nächsten Foto, ein menschenleeres Büro oder nein, vielmehr ein Raum mit Kopieren und Druckern, zwei Säulen, hässlichen Deckenlampen und mehreren Papierkörben. So wie sie eben aussehen, diese unwirtlichen Räume der Bürowelt oder zumindest aussahen vor zehn, fünfzehn Jahren. Auch hier derselbe Mix aus Detailgenauigkeit und Fremdheit. Auf den ersten Blick ist nicht zu erkennen, was so seltsam anmutet, erst der Text am Anfang der Ausstellung, den sie am Ende des Rundgangs aufmerksam liest, lüftet das Geheimnis. Der Künstler hat nicht die wirklichen Räume abfotografiert, sondern zuerst Modelle aus Pappe davon angefertigt und diese dann abgelichtet. Hotelzimmer, Büroräume, Flugzeuggangway, Kontrollraum, Werkstatt, Haltestelle, Parlament, hat also tatsächlich erst Fotos davon gemacht, dann detailgetreue und maßstabgerechte Modelle aus Pappe gebaut, diese farblich passend gestrichen und zum Schluss alles abfotografiert. Und somit ein sehr gekonntes Spiel mit Schein und Wirklichkeit geschaffen.
Genial, denkt sie und geht noch einmal durch die Ausstellung. Alles auf den Bildern scheint wirklich und ist es doch nicht. Ein nüchterner Schein, der zum Denken anregt. Wenn man das mit Plätzen des eigenen Lebens auch machen würde, hätte man auf manches sicherlich einen anderen Blick.
Wie kommt man auf so eine Idee? „Das ist nicht aus Pappe“, denkt sie und muss schmunzeln, denn diesen Spruch hatte Vater stets auf Lager, wenn ihr etwas gut gelungen, und er besonders stolz auf sie war.