Texte zum Alltäglichen -
der wöchentliche Schreibblog
Neulich vor drei Jahren
RAU
„Hörst Du eigentlich selber, was du sagst?“, fragt Konrad einigermaßen verwundert.
Sie sitzen vor dem aufgeräumten Schachbrett, Wolf hat beide Partien ziemlich schnell gewonnen, und nun genießen sie ihren Cognac. Jeden ersten Mittwoch im Monat treffen sie sich in Wolfs Dachgeschosswohnung, seit über zehn Jahren schon, aber so einen Blödsinn wie gerade eben hat sein Freund noch nie von sich gegeben.
„Wieso?“, meint Wolf lächelnd, ich bin weder betrunken noch bekifft oder sonst wie.“
„Du klingt aber so, als wärest Du nicht ganz dicht“, meint Konrad.
„Ich weiß ziemlich genau, was ich gerade gesagt habe. Aber das Ganze war damals einfach so heftig, als wäre es gestern gewesen“, sagt Wolf und nimmt einen weiteren Schluck, „ich meine, ich habe es Babsie damals natürlich nicht erzählt, aber die Begegnung mit dieser Frau, dieser Kollegin aus Hamburg auf der Tagung, die hat mich regelrecht umgehauen. Wie davor und seither nie wieder etwas, obwohl das mit Katja jetzt schon sehr in dieselbe Richtung geht.“
„Und deshalb meinst Du, dass in Hamburg damals wäre erst neulich gewesen? Was hatte sie denn so Besonderes?“
„Vielleicht, ich meine, ich war mit Babsie immer sehr glücklich, aber diese Frau aus Hamburg hatte eine Intensität und Ausstrahlung, eine freundliche Offenheit und Präsenz, und gleichzeitig auch irgendetwas Geheimnisvolles, dass ich mich fast vergessen hätte.“
„Und was an Katja erinnert dich an sie? Irgendetwas muss es ja sein, sonst käme dir die Begegnung mit der Hamburgerin ja nicht wie etwas vor, was erst neulich passiert ist. Was sagtest Du, drei Jahre ist es her?“
„Im Sommer vor drei Jahren, Babsie ging es schon schlecht. Natürlich erinnert mich Katja auch rein äußerlich an sie, derselbe Typ Frau, schmal und zierlich, und dasselbe Parfum. Auch vom Alter her, beide fast zwanzig Jahre jünger“, er streift mit den Fingern durch seine Haare und sieht ihn an, „ich weiß immer noch nicht, ob ich mich darauf einlassen soll, auf Katja meine ich.“
„Und bist Du mit ihr ins Bett damals, mit der Kollegin?“
„Du wieder, nein, bin ich nicht. Aber wenn die Tagung noch einen Tag länger gedauert hätte, dann hätte ich wohl … ich habe es Babsie nie erzählt, niemandem habe ich davon erzählt, bis heute nicht.“
„Seine Geheimnisse macht man auch besser mit sich selber aus, finde ich.“
„Du redest wie ein abgezockter Profi, dabei dachte ich immer, du bist Charlotte treu“, sagt Wolf und sieht ihn fragend an.
„Ich rede von früher, mein Lieber, von der Zeit vor Charlotte“, antwortet Konrad und nimmt einen Schluck. Der Cognac ist vorzüglich, davon versteht sein Freund wirklich etwas. „Damals kannten wir beide uns noch nicht, und Du hättest auch nicht mit mir befreundet sein wollen, glaube mir. Ich hatte keinen Plan fürs Leben, keine Kohle, dafür viele Frauen und aberwitzig viele tolle Stunden und Erlebnisse. Jetzt habe ich eine wunderbare Frau und drei Kinder, die mir leider immer fremder werden.“
„Weiß Charlotte davon? Von Früher?“
„Nur grob, das wäre ihr dann doch zu heftig.“
„Und?“ Wolf sieht ihn erwartungsvoll an.
„Wie und?“
„Irgendwelche Erinnerungen, Sehnsüchte an damals?“, fragt Wolf.
Doch Konrad schweigt und hört eine Weile in sich hinein. Damals vor dreißig Jahren war nicht alles wirr und schlecht, denkt er, grinst und hebt sein Glas. „Lass uns mal anstoßen, auf mein Neulich vor dreißig Jahren und auf deines vor drei, Prost mein Lieber.“
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Neulich vor drei Jahren
RAU
„Hörst Du eigentlich selber, was du sagst?“, fragt Konrad einigermaßen verwundert.
Sie sitzen vor dem aufgeräumten Schachbrett, Wolf hat beide Partien ziemlich schnell gewonnen, und nun genießen sie ihren Cognac. Jeden ersten Mittwoch im Monat treffen sie sich in Wolfs Dachgeschosswohnung, seit über zehn Jahren schon, aber so einen Blödsinn wie gerade eben hat sein Freund noch nie von sich gegeben.
„Wieso?“, meint Wolf lächelnd, ich bin weder betrunken noch bekifft oder sonst wie.“
„Du klingt aber so, als wärest Du nicht ganz dicht“, meint Konrad.
„Ich weiß ziemlich genau, was ich gerade gesagt habe. Aber das Ganze war damals einfach so heftig, als wäre es gestern gewesen“, sagt Wolf und nimmt einen weiteren Schluck, „ich meine, ich habe es Babsie damals natürlich nicht erzählt, aber die Begegnung mit dieser Frau, dieser Kollegin aus Hamburg auf der Tagung, die hat mich regelrecht umgehauen. Wie davor und seither nie wieder etwas, obwohl das mit Katja jetzt schon sehr in dieselbe Richtung geht.“
„Und deshalb meinst Du, dass in Hamburg damals wäre erst neulich gewesen? Was hatte sie denn so Besonderes?“
„Vielleicht, ich meine, ich war mit Babsie immer sehr glücklich, aber diese Frau aus Hamburg hatte eine Intensität und Ausstrahlung, eine freundliche Offenheit und Präsenz, und gleichzeitig auch irgendetwas Geheimnisvolles, dass ich mich fast vergessen hätte.“
„Und was an Katja erinnert dich an sie? Irgendetwas muss es ja sein, sonst käme dir die Begegnung mit der Hamburgerin ja nicht wie etwas vor, was erst neulich passiert ist. Was sagtest Du, drei Jahre ist es her?“
„Im Sommer vor drei Jahren, Babsie ging es schon schlecht. Natürlich erinnert mich Katja auch rein äußerlich an sie, derselbe Typ Frau, schmal und zierlich, und dasselbe Parfum. Auch vom Alter her, beide fast zwanzig Jahre jünger“, er streift mit den Fingern durch seine Haare und sieht ihn an, „ich weiß immer noch nicht, ob ich mich darauf einlassen soll, auf Katja meine ich.“
„Und bist Du mit ihr ins Bett damals, mit der Kollegin?“
„Du wieder, nein, bin ich nicht. Aber wenn die Tagung noch einen Tag länger gedauert hätte, dann hätte ich wohl … ich habe es Babsie nie erzählt, niemandem habe ich davon erzählt, bis heute nicht.“
„Seine Geheimnisse macht man auch besser mit sich selber aus, finde ich.“
„Du redest wie ein abgezockter Profi, dabei dachte ich immer, du bist Charlotte treu“, sagt Wolf und sieht ihn fragend an.
„Ich rede von früher, mein Lieber, von der Zeit vor Charlotte“, antwortet Konrad und nimmt einen Schluck. Der Cognac ist vorzüglich, davon versteht sein Freund wirklich etwas. „Damals kannten wir beide uns noch nicht, und Du hättest auch nicht mit mir befreundet sein wollen, glaube mir. Ich hatte keinen Plan fürs Leben, keine Kohle, dafür viele Frauen und aberwitzig viele tolle Stunden und Erlebnisse. Jetzt habe ich eine wunderbare Frau und drei Kinder, die mir leider immer fremder werden.“
„Weiß Charlotte davon? Von Früher?“
„Nur grob, das wäre ihr dann doch zu heftig.“
„Und?“ Wolf sieht ihn erwartungsvoll an.
„Wie und?“
„Irgendwelche Erinnerungen, Sehnsüchte an damals?“, fragt Wolf.
Doch Konrad schweigt und hört eine Weile in sich hinein. Damals vor dreißig Jahren war nicht alles wirr und schlecht, denkt er, grinst und hebt sein Glas. „Lass uns mal anstoßen, auf mein Neulich vor dreißig Jahren und auf deines vor drei, Prost mein Lieber.“