Texte zum Alltäglichen -
der wöchentliche Schreibblog
Neu
WIE
Ich schleiche an den Kühlregalen eines beliebten Discounters entlang, wo mir mehrmals Schildchen mit „Jetzt neu im Sortiment“ entgegen strahlen. Aha, denke ich, wieder ein neues Produkt, von dem ich mich überzeugen lassen soll. Vor allem, wenn es eine Spezialität ist, die bisher nur im Feinkost-Geschäft zu bekommen ist. Humus-Pikant, ein Dattel-Honig-Curry-Chutney, gleich neben Kartoffel-oder Fleischsalat. Das eine ein unverzichtbarer Klassiker im Kühlregal, das andere ein Trend, der vielleicht bald wieder aus dem Sortiment fliegen wird.
Drang und Neugier auf Neues sind alt. Ewig schon gibt es Erneuerungen. Ganz früher hießen sie im Supermarkt Velveta Schmierkäse, Capri Sonne und Becel Margarine und verkörperten neue praktische und geschmackliche Weltanschauungen. Der Erneuerungshunger ist ungebrochen, doch viele Produkte sind wieder aus den ersten Reihen der Regale verschwunden.
Heute geht es nicht mehr allein darum, dass Dinge modern sind, also ein wenig Zukunft in sich tragen, heute müssen Dinge dem Erhalt der Zukunft überhaupt dienen. So scheint es mittlerweile pure Vernunft zu sein, die uns zur Erneuerung drängt. So wie damals die Sparbirnen, komplizierte, spiralförmige Leuchtkörper, die, wenn man sie einschaltete, recht langsam ihre Leuchtkraft entwickelten. Diese neuen, viel teureren Sparbirnen sollten eine Ewigkeit halten. Eine Ewigkeit? Bald schon löste eine neue Variante dieses noch mit Quecksilber behaftete Leuchtmittel ab, die LED Birne.
Heute werden E-Autos verkauft, in den meisten Fällen sind es tonnenschwere SUVs, die sich mit dem E auf dem Nummernschild damit brüsten, modern unterwegs zu sein. Wenn wir morgen feststellen, dass diese Variante des E-Autos aus Unmengen Rohmaterial und Gift gebaut wird und viel zu schwer ist, werden wir auch sie recht bald durch neue, bessere ersetzen, lange bevor sie ausgedient haben werden, und die erste E-Autogeneration einfach nur wegschmeißen.
So wird im Zug der Nachhaltigkeit erneuert, ersetzt, saniert, ausrangiert und aussortiert. Weil Kleider nicht mehr den neuen Biostandards genügen, weil Möbel nicht mehr den neuen Maßstäben der Nachhaltigkeit entsprechen, und und und. Was für das Schlechte in der Umwelt verantwortlich ist, muss entsorgt werden. Weil wir es nicht mehr mit unserem Gewissen vereinbaren können. Die neue Nachhaltigkeit, koste sie, was sie wolle.
Könnte es aber nicht auch sein, dass die Nachhaltigkeit morgen nicht mehr neu genug ist? Könnte es sein, dass die Nachhaltigkeit morgen gar nicht mehr das einzige Gute und Sichere auf der Welt ist? Weil wir zum Bespiel nachhaltige Produkte aus Ländern beziehen, die sich plötzlich als „feindselig“ erweisen, mit unseren Werten nicht mehr übereinstimmen und deshalb als Handelspartner nicht mehr in Frage kommen? Wir uns damit neuen Gefahren aussetzten, die bedrohlicher sind als die der klimatischen Bedrohung der weiteren Zukunft?
Frieden, Freiheit und Autonomie haben auch ihren Wert, sind der neue Trumpf im Ärmel. Aber was sind schon Werte? Die ändern sich schnell wieder, wirklich überzeugend sind doch nur neue Werte.
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Ich schleiche an den Kühlregalen eines beliebten Discounters entlang, wo mir mehrmals Schildchen mit „Jetzt neu im Sortiment“ entgegen strahlen. Aha, denke ich, wieder ein neues Produkt, von dem ich mich überzeugen lassen soll. Vor allem, wenn es eine Spezialität ist, die bisher nur im Feinkost-Geschäft zu bekommen ist. Humus-Pikant, ein Dattel-Honig-Curry-Chutney, gleich neben Kartoffel-oder Fleischsalat. Das eine ein unverzichtbarer Klassiker im Kühlregal, das andere ein Trend, der vielleicht bald wieder aus dem Sortiment fliegen wird.
Drang und Neugier auf Neues sind alt. Ewig schon gibt es Erneuerungen. Ganz früher hießen sie im Supermarkt Velveta Schmierkäse, Capri Sonne und Becel Margarine und verkörperten neue praktische und geschmackliche Weltanschauungen. Der Erneuerungshunger ist ungebrochen, doch viele Produkte sind wieder aus den ersten Reihen der Regale verschwunden.
Heute geht es nicht mehr allein darum, dass Dinge modern sind, also ein wenig Zukunft in sich tragen, heute müssen Dinge dem Erhalt der Zukunft überhaupt dienen. So scheint es mittlerweile pure Vernunft zu sein, die uns zur Erneuerung drängt. So wie damals die Sparbirnen, komplizierte, spiralförmige Leuchtkörper, die, wenn man sie einschaltete, recht langsam ihre Leuchtkraft entwickelten. Diese neuen, viel teureren Sparbirnen sollten eine Ewigkeit halten. Eine Ewigkeit? Bald schon löste eine neue Variante dieses noch mit Quecksilber behaftete Leuchtmittel ab, die LED Birne.
Heute werden E-Autos verkauft, in den meisten Fällen sind es tonnenschwere SUVs, die sich mit dem E auf dem Nummernschild damit brüsten, modern unterwegs zu sein. Wenn wir morgen feststellen, dass diese Variante des E-Autos aus Unmengen Rohmaterial und Gift gebaut wird und viel zu schwer ist, werden wir auch sie recht bald durch neue, bessere ersetzen, lange bevor sie ausgedient haben werden, und die erste E-Autogeneration einfach nur wegschmeißen.
So wird im Zug der Nachhaltigkeit erneuert, ersetzt, saniert, ausrangiert und aussortiert. Weil Kleider nicht mehr den neuen Biostandards genügen, weil Möbel nicht mehr den neuen Maßstäben der Nachhaltigkeit entsprechen, und und und. Was für das Schlechte in der Umwelt verantwortlich ist, muss entsorgt werden. Weil wir es nicht mehr mit unserem Gewissen vereinbaren können. Die neue Nachhaltigkeit, koste sie, was sie wolle.
Könnte es aber nicht auch sein, dass die Nachhaltigkeit morgen nicht mehr neu genug ist? Könnte es sein, dass die Nachhaltigkeit morgen gar nicht mehr das einzige Gute und Sichere auf der Welt ist? Weil wir zum Bespiel nachhaltige Produkte aus Ländern beziehen, die sich plötzlich als „feindselig“ erweisen, mit unseren Werten nicht mehr übereinstimmen und deshalb als Handelspartner nicht mehr in Frage kommen? Wir uns damit neuen Gefahren aussetzten, die bedrohlicher sind als die der klimatischen Bedrohung der weiteren Zukunft?
Frieden, Freiheit und Autonomie haben auch ihren Wert, sind der neue Trumpf im Ärmel. Aber was sind schon Werte? Die ändern sich schnell wieder, wirklich überzeugend sind doch nur neue Werte.