Texte zum Alltäglichen -
der wöchentliche Schreibblog
Nachmittags
RAU
Das ist nicht ihre Zeit, noch nie gewesen, da macht sie keinen Hehl draus. Und heute ist es noch schwieriger, denn sie hat noch keine Ahnung, wie der Nachmittag enden wird. Ein seltsames Gefühl ist das, verstörend und aufregend zugleich.
Die Zeit nach dem Mittagessen oder Lunch, wie es heute heißt. Heute hatte sie nur ein Müsli mit viel Obst und Sky, danach einen Espresso und einen Riegel Nougat-Schokolade, das muss sein. Jeden Tag nach dem Mittagessen einen Riegel.
Draußen ist ein normaler Tag mit mittlerer Temperatur, mittlerem Licht und ein paar wenigen Wolken am Himmel. Nicht Fisch und nicht Fleisch könnte man auch dazu sagen. Für den Rest des Tages hat sie sich abgemeldet, bei ihren Überstunden gar kein Problem. Ein bisschen fühlt es sich gerade wie früher an, ganz früher als Kind, wenn die Schule aus war, das Essen vorbei und die Hausaufgaben gemacht waren. Nichts wie raus bei Wind und Wetter, das waren die Nachmittags ihrer Kindheit, Spielen und Toben mit den anderen Kindern aus der Siedlung. Bis die Straßenlaternen angehen, war die Absprache mit Mutter gewesen, im Sommer galten andere Regelungen.
Wie viele Nachmittage kämpft sie seither damit, dass sie nicht raus kann. Sondern weitermachen muss mit dem, was eben so ansteht in der Arbeit oder zuhause, Besprechungen, Folien entwerfen, Texte formulieren, Teamsitzungen, Kundengespräche, Kalkulationen, Wäschebergen trotzen, Essen vorbereiten, Aufräumen, Hausaufgaben betreuen. Gegen die Müdigkeit helfen Kaffee und Schokolade, gegen die Lustlosigkeit hilft kaum etwas.
Die Uhr zeigt 13.30 Uhr. Ihr Blick geht hinaus, aber sie sieht nicht das gegenüberliegende Haus, die wenigen Wolken am Himmel und auch nicht die vielen Passanten unten auf der verkehrsberuhigten Straße. Denn das Zimmer 1201 im zwölften Stock mit Blick über die Stadt schiebt sich davor, das breite Doppelbett mit der frisch bezogenen weißen Bettwäsche, die beiden Sessel samt niedrigem Tisch vor dem Fenster und er. In einer Stunde wird er da sein, vor zwei Wochen sind sie sich auf der Tagung mehr oder weniger in die Hände gefallen und haben dann am letzten Nachmittag Zimmer 1201 gebucht. Seither geht ihr Vieles durch den Kopf, und sie weiß noch nicht, wie sie sich gleich entscheiden wird. Auf jeden Fall haben Nachmittage von nun an noch eine weitere Bedeutung, denkt sie und zieht ihren Mantel an.
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Nachmittags
RAU
Das ist nicht ihre Zeit, noch nie gewesen, da macht sie keinen Hehl draus. Und heute ist es noch schwieriger, denn sie hat noch keine Ahnung, wie der Nachmittag enden wird. Ein seltsames Gefühl ist das, verstörend und aufregend zugleich.
Die Zeit nach dem Mittagessen oder Lunch, wie es heute heißt. Heute hatte sie nur ein Müsli mit viel Obst und Sky, danach einen Espresso und einen Riegel Nougat-Schokolade, das muss sein. Jeden Tag nach dem Mittagessen einen Riegel.
Draußen ist ein normaler Tag mit mittlerer Temperatur, mittlerem Licht und ein paar wenigen Wolken am Himmel. Nicht Fisch und nicht Fleisch könnte man auch dazu sagen. Für den Rest des Tages hat sie sich abgemeldet, bei ihren Überstunden gar kein Problem. Ein bisschen fühlt es sich gerade wie früher an, ganz früher als Kind, wenn die Schule aus war, das Essen vorbei und die Hausaufgaben gemacht waren. Nichts wie raus bei Wind und Wetter, das waren die Nachmittags ihrer Kindheit, Spielen und Toben mit den anderen Kindern aus der Siedlung. Bis die Straßenlaternen angehen, war die Absprache mit Mutter gewesen, im Sommer galten andere Regelungen.
Wie viele Nachmittage kämpft sie seither damit, dass sie nicht raus kann. Sondern weitermachen muss mit dem, was eben so ansteht in der Arbeit oder zuhause, Besprechungen, Folien entwerfen, Texte formulieren, Teamsitzungen, Kundengespräche, Kalkulationen, Wäschebergen trotzen, Essen vorbereiten, Aufräumen, Hausaufgaben betreuen. Gegen die Müdigkeit helfen Kaffee und Schokolade, gegen die Lustlosigkeit hilft kaum etwas.
Die Uhr zeigt 13.30 Uhr. Ihr Blick geht hinaus, aber sie sieht nicht das gegenüberliegende Haus, die wenigen Wolken am Himmel und auch nicht die vielen Passanten unten auf der verkehrsberuhigten Straße. Denn das Zimmer 1201 im zwölften Stock mit Blick über die Stadt schiebt sich davor, das breite Doppelbett mit der frisch bezogenen weißen Bettwäsche, die beiden Sessel samt niedrigem Tisch vor dem Fenster und er. In einer Stunde wird er da sein, vor zwei Wochen sind sie sich auf der Tagung mehr oder weniger in die Hände gefallen und haben dann am letzten Nachmittag Zimmer 1201 gebucht. Seither geht ihr Vieles durch den Kopf, und sie weiß noch nicht, wie sie sich gleich entscheiden wird. Auf jeden Fall haben Nachmittage von nun an noch eine weitere Bedeutung, denkt sie und zieht ihren Mantel an.