Texte zum Alltäglichen -
der wöchentliche Schreibblog
Nachbarn
RAU
Während des Frühstückmachens noch müde aus dem Fenster blicken und gegenüber Michael dasselbe machen sehen. Wir winken uns zu. Mich am Nachmittag fragen, ob der kleine Niklas heute krank ist. Normalerweise ist er bei Bert und Elisa, dann geht es über mir rund, weil der kleine Feger mit seinem Opa Hockey spielt oder mit seinem Bobby-Car im hinteren Flur über die Dielen rollt. David im ersten Stock gegenüber ist aus der Reha zurück und sitzt im Rollstuhl am Küchentisch, vom dritten kann ich ihn am Tisch sitzen sehen und bin erleichtert. Nochmal gut gegangen, denke ich.
Sich grüßen im Treppenhaus, im Hof und vor dem Haus, einen kurzen Schwatz halten, Pakete annehmen, einen leckeren Käse vom Markt mitbringen. Gegenüber noch fünf Stühle holen, wenn es doch mehr Gäste werden am Geburtstag. Auf Socken hoch in den fünften Stock zu Wein und Kartenspielen, nachts um eins im Erdgeschoß am Fenster klopfen, wenn die Halbwüchsigen bei offenem Fenster mal wieder zu laut sind. Cellotöne von nebenan, Waschmaschinengeräusche von oben, Anruf von unten, weil es beim Abschleifen von den Türschwellen Krach geben wird. Blumen gießen, wenn jemand nicht da ist, Blumen gegossen bekommen, wenn man selber weg ist. Mal eine gute Flasche vor der Tür finden oder anderen eine Packung Marzipan hinlegen. Kein Muss, nur ein Kann. Leben und leben lassen.
Wieder hat jemand seine Kartons nicht zerkleinert und einfach so in den Container geworfen. Wer trinkt hier eigentlich soviel Wein, bin ich umgeben von Alkoholikern? Der von hinten aus dem Zweiten grüßt auch nie, wie heißt er noch? Und die aus dem Fünften hinten links sind selten da und haben trotzdem viele Gäste, weiß ich noch, wer hier wohnt? Im Sommer viel Rücksicht nehmen, wenn überall die Fenster zum Hof geöffnet sind. Geschirrklappern, Stimmen, Radio- und Fernsehgeräusche und ein Zeitungsbote, der morgens um fünf mit seinem Handy schon laut im Hof telefoniert.
Im Haus gegenüber wohnen Menschen aus fremden Ländern mit anderen Stimmen und Gepflogenheiten, Ein- und Ausziehen im Monatstakt. Nachts auf dem Balkon laut telefonieren, schnell noch ein Youtube-Filmchen bei voller Lautstärke ansehen oder nach dem Wodka zusammen eine rauchen und Witze erzählen. Die Küche aufräumen bei offenem Fenster weit nach Mitternacht. Mittlerweile häufiger den Mut aufbringen, rüberzugehen und etwas zu sagen. Aber sind das eigentlich meine Nachbarn?
Früher auf dem Land gab es nur die von nebenan und gegenüber. Im Einfamilienhaus bist du für dich, hatte ich gedacht. Hast Nachbarn, die nach der Post, den Blumen und dem Garten sehen, bei denen die Kinder gegenseitig ein- und ausgehen, hatte ich gehofft. Werde zwanzig Jahre die hohe Hypothek abzahlen und hatte nebenan und gegenüber doch leider die, denen nichts passt und nichts recht ist. Meine Hecke war zu breit, die alte Linde zu hoch und machte Schatten, im Herbst gab es zu viel Laub, der Gartenschuppen des Vorbesitzers stand immer noch zu nah an der Grenze, ich hatte während der Mittagsruhe den Rasen gemäht und abends zu viel Besuch auf der Terrasse. Oder es war alles andersherum. Deren Hecke war zu breit und ihre Linde zu hoch … Immer war etwas, nur kein Frieden. Drei Häuser weiter prozessierten sie. Alle zahlten ihre Kredite ab und wollten hier alt werden, wie sollte das werden?
Immer wollte ich im freistehenden Einfamilienhaus leben, glücklich bin ich im Mehrfamilienhaus geworden. Bin für mich und nicht alleine. Habe Glück gehabt, könnte auch genau andersherum sein.
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Nachbarn
RAU
Während des Frühstückmachens noch müde aus dem Fenster blicken und gegenüber Michael dasselbe machen sehen. Wir winken uns zu. Mich am Nachmittag fragen, ob der kleine Niklas heute krank ist. Normalerweise ist er bei Bert und Elisa, dann geht es über mir rund, weil der kleine Feger mit seinem Opa Hockey spielt oder mit seinem Bobby-Car im hinteren Flur über die Dielen rollt. David im ersten Stock gegenüber ist aus der Reha zurück und sitzt im Rollstuhl am Küchentisch, vom dritten kann ich ihn am Tisch sitzen sehen und bin erleichtert. Nochmal gut gegangen, denke ich.
Sich grüßen im Treppenhaus, im Hof und vor dem Haus, einen kurzen Schwatz halten, Pakete annehmen, einen leckeren Käse vom Markt mitbringen. Gegenüber noch fünf Stühle holen, wenn es doch mehr Gäste werden am Geburtstag. Auf Socken hoch in den fünften Stock zu Wein und Kartenspielen, nachts um eins im Erdgeschoß am Fenster klopfen, wenn die Halbwüchsigen bei offenem Fenster mal wieder zu laut sind. Cellotöne von nebenan, Waschmaschinengeräusche von oben, Anruf von unten, weil es beim Abschleifen von den Türschwellen Krach geben wird. Blumen gießen, wenn jemand nicht da ist, Blumen gegossen bekommen, wenn man selber weg ist. Mal eine gute Flasche vor der Tür finden oder anderen eine Packung Marzipan hinlegen. Kein Muss, nur ein Kann. Leben und leben lassen.
Wieder hat jemand seine Kartons nicht zerkleinert und einfach so in den Container geworfen. Wer trinkt hier eigentlich soviel Wein, bin ich umgeben von Alkoholikern? Der von hinten aus dem Zweiten grüßt auch nie, wie heißt er noch? Und die aus dem Fünften hinten links sind selten da und haben trotzdem viele Gäste, weiß ich noch, wer hier wohnt? Im Sommer viel Rücksicht nehmen, wenn überall die Fenster zum Hof geöffnet sind. Geschirrklappern, Stimmen, Radio- und Fernsehgeräusche und ein Zeitungsbote, der morgens um fünf mit seinem Handy schon laut im Hof telefoniert.
Im Haus gegenüber wohnen Menschen aus fremden Ländern mit anderen Stimmen und Gepflogenheiten, Ein- und Ausziehen im Monatstakt. Nachts auf dem Balkon laut telefonieren, schnell noch ein Youtube-Filmchen bei voller Lautstärke ansehen oder nach dem Wodka zusammen eine rauchen und Witze erzählen. Die Küche aufräumen bei offenem Fenster weit nach Mitternacht. Mittlerweile häufiger den Mut aufbringen, rüberzugehen und etwas zu sagen. Aber sind das eigentlich meine Nachbarn?
Früher auf dem Land gab es nur die von nebenan und gegenüber. Im Einfamilienhaus bist du für dich, hatte ich gedacht. Hast Nachbarn, die nach der Post, den Blumen und dem Garten sehen, bei denen die Kinder gegenseitig ein- und ausgehen, hatte ich gehofft. Werde zwanzig Jahre die hohe Hypothek abzahlen und hatte nebenan und gegenüber doch leider die, denen nichts passt und nichts recht ist. Meine Hecke war zu breit, die alte Linde zu hoch und machte Schatten, im Herbst gab es zu viel Laub, der Gartenschuppen des Vorbesitzers stand immer noch zu nah an der Grenze, ich hatte während der Mittagsruhe den Rasen gemäht und abends zu viel Besuch auf der Terrasse. Oder es war alles andersherum. Deren Hecke war zu breit und ihre Linde zu hoch … Immer war etwas, nur kein Frieden. Drei Häuser weiter prozessierten sie. Alle zahlten ihre Kredite ab und wollten hier alt werden, wie sollte das werden?
Immer wollte ich im freistehenden Einfamilienhaus leben, glücklich bin ich im Mehrfamilienhaus geworden. Bin für mich und nicht alleine. Habe Glück gehabt, könnte auch genau andersherum sein.