Texte zum Alltäglichen -
der wöchentliche Schreibblog
Musik lässt sich nicht zerstören
RAU
„Weißt Du noch, wie Vater damals unser Kartenspiel einfach zerrissen hat?“, fragte mich meine Schwester nach dem Grappa.
„Na klar“, sagte ich, „wir waren Sonntagmorgens mal wieder beim Spielen zu laut und haben die Eltern nebenan im Schlafzimmer gestört.“
„Und er ist wie ein Wüterich ins Zimmer gestürmt, hat die Karten an sich gerissen und vor unseren Augen zerrissen. Einfach kaputt gemacht, wir haben gebrüllt und geweint und konnten uns auch nicht wieder beruhigen, als uns Mutter mit einem neuen Spiel versöhnen wollte. Wir wollten einfach unser altes Spiel wiederhaben …“.
„… unser Autoquartett, jede Karte haben wir gekannt …“.
„… Hubraum, Stuckis, PS, Baujahr, haben wir alles auswendig gekannt.“
„Danach haben wir nie wieder gespielt.“
Wie immer haben wir bei unserem Lieblingsitaliener gut gegessen und uns noch einen Absacker genehmigt. Haben über Dies und Das geredet, über Arbeit, Kinder und unsere Männer. Da ist viel zusammengekommen, denn so häufig sehen wir uns auch nicht, vielleicht einmal im Monat schaffen wir es, einen gemeinsamen Abend freizuschaufeln.
„Geht dir die Musik der Kinder auch so auf die Nerven?“, fragte sie dann.
„Schrecklich, dieser Deutsch Rap oder Hip Hop, keine Ahnung, wie das heißt. Simple Melodien, vieles klingt künstlich, wird wohl alles auf dem Computer gemacht, und dann diese schwülstigen, banalen Texte. Er hat sie verlassen, oder sie ihn, er hat eine andere, und sie küssen sich trotzdem.“
„Im Treppenhaus oder sonst wo.“
„Ich sage immer, hört bitte über Kopfhörer“, sagte ich.
„Aber sie wollen die Beschallung in der ganzen Wohnung, nicht auszuhalten ist das.“
„Bei uns früher war’s eigentlich nicht anders“, meinte ich nach einer Weile.
„Aber unsere Musik war besser“, grinste sie mich an.
Später geht mir unser Gespräch wieder durch den Kopf. Als ich mit dem Wagen nach Hause fahre und meine Lieblingsplaylist höre, alte Songs, die ich absolut sicher von A bis Z mitsingen kann. Habe alles im Kopf, alle Texte und Melodien, dazu oft auch die Situationen, in denen ich sie damals gehört habe. Bei einem Song drehe ich die Lautstärke noch höher und brülle mir fast die Seele aus dem Leib, beginne beim Warten an der roten Ampel auch Kopf und Arme zu bewegen. Würde am liebsten aussteigen oder gleich in die nächste Disco fahren und dort richtig abtanzen. Alles in mir verlangt nach Musik, die mich belebt, an die ich Erinnerungen habe, die ich gehört habe, als ich jung war, und die mich jetzt wieder jung macht.
Selbst wenn Spotify und Apple Music und wie sie alle heißen und alle Radiosender jetzt pleite gingen, alle Musiker tot und alle Aufnahmen gelöscht wären, gäbe es die Musik in meinem Kopf immer noch. Und in den Köpfen und Herzen aller anderen auch. Wenn aber ein Michelangelo oder ein van Gogh mutwillig zerstört würde oder in Flammen aufginge, Anna Karenina oder Ulysses das gleiche Schicksal erleiden würden, bliebe nichts mehr von ihnen übrig außer den Erinnerungen all derer, die sie gesehen und gelesen haben. Sie könnten davon erzählen, sicherlich, aber niemand könnte über tausend Seiten von Tolstoi Wort für Wort aufsagen, und von einem Bild oder einer Skulptur blieben nur Beschreibungen und mehr oder weniger schlechte Abbildungen.
Musik aber bleibt, irgendwo auf der Welt würden Menschen damit beginnen, die Melodien zu summen und den Text zu singen, überall würden Musiker ihre Instrumente hervorholen und die geliebten Stücke spielen, und andere Menschen könnten sie wieder hören. Oh du Fröhliche und Stille Nacht, Paint it back und In a Gadda da Vida. Bach, Beethoven und Beatles, meinetwegen auch Rap oder HipHop und alle Musik auf dieser Welt verschwindet nicht, sie bleibt.
Texte zum Alltäglichen -
der wöchentliche Schreibblog
Musik lässt sich nicht zerstören
RAU
„Weißt Du noch, wie Vater damals unser Kartenspiel einfach zerrissen hat?“, fragte mich meine Schwester nach dem Grappa.
„Na klar“, sagte ich, „wir waren Sonntagmorgens mal wieder beim Spielen zu laut und haben die Eltern nebenan im Schlafzimmer gestört.“
„Und er ist wie ein Wüterich ins Zimmer gestürmt, hat die Karten an sich gerissen und vor unseren Augen zerrissen. Einfach kaputt gemacht, wir haben gebrüllt und geweint und konnten uns auch nicht wieder beruhigen, als uns Mutter mit einem neuen Spiel versöhnen wollte. Wir wollten einfach unser altes Spiel wiederhaben …“.
„… unser Autoquartett, jede Karte haben wir gekannt …“.
„… Hubraum, Stuckis, PS, Baujahr, haben wir alles auswendig gekannt.“
„Danach haben wir nie wieder gespielt.“
Wie immer haben wir bei unserem Lieblingsitaliener gut gegessen und uns noch einen Absacker genehmigt. Haben über Dies und Das geredet, über Arbeit, Kinder und unsere Männer. Da ist viel zusammengekommen, denn so häufig sehen wir uns auch nicht, vielleicht einmal im Monat schaffen wir es, einen gemeinsamen Abend freizuschaufeln.
„Geht dir die Musik der Kinder auch so auf die Nerven?“, fragte sie dann.
„Schrecklich, dieser Deutsch Rap oder Hip Hop, keine Ahnung, wie das heißt. Simple Melodien, vieles klingt künstlich, wird wohl alles auf dem Computer gemacht, und dann diese schwülstigen, banalen Texte. Er hat sie verlassen, oder sie ihn, er hat eine andere, und sie küssen sich trotzdem.“
„Im Treppenhaus oder sonst wo.“
„Ich sage immer, hört bitte über Kopfhörer“, sagte ich.
„Aber sie wollen die Beschallung in der ganzen Wohnung, nicht auszuhalten ist das.“
„Bei uns früher war’s eigentlich nicht anders“, meinte ich nach einer Weile.
„Aber unsere Musik war besser“, grinste sie mich an.
Später geht mir unser Gespräch wieder durch den Kopf. Als ich mit dem Wagen nach Hause fahre und meine Lieblingsplaylist höre, alte Songs, die ich absolut sicher von A bis Z mitsingen kann. Habe alles im Kopf, alle Texte und Melodien, dazu oft auch die Situationen, in denen ich sie damals gehört habe. Bei einem Song drehe ich die Lautstärke noch höher und brülle mir fast die Seele aus dem Leib, beginne beim Warten an der roten Ampel auch Kopf und Arme zu bewegen. Würde am liebsten aussteigen oder gleich in die nächste Disco fahren und dort richtig abtanzen. Alles in mir verlangt nach Musik, die mich belebt, an die ich Erinnerungen habe, die ich gehört habe, als ich jung war, und die mich jetzt wieder jung macht.
Selbst wenn Spotify und Apple Music und wie sie alle heißen und alle Radiosender jetzt pleite gingen, alle Musiker tot und alle Aufnahmen gelöscht wären, gäbe es die Musik in meinem Kopf immer noch. Und in den Köpfen und Herzen aller anderen auch. Wenn aber ein Michelangelo oder ein van Gogh mutwillig zerstört würde oder in Flammen aufginge, Anna Karenina oder Ulysses das gleiche Schicksal erleiden würden, bliebe nichts mehr von ihnen übrig außer den Erinnerungen all derer, die sie gesehen und gelesen haben. Sie könnten davon erzählen, sicherlich, aber niemand könnte über tausend Seiten von Tolstoi Wort für Wort aufsagen, und von einem Bild oder einer Skulptur blieben nur Beschreibungen und mehr oder weniger schlechte Abbildungen.
Musik aber bleibt, irgendwo auf der Welt würden Menschen damit beginnen, die Melodien zu summen und den Text zu singen, überall würden Musiker ihre Instrumente hervorholen und die geliebten Stücke spielen, und andere Menschen könnten sie wieder hören. Oh du Fröhliche und Stille Nacht, Paint it back und In a Gadda da Vida. Bach, Beethoven und Beatles, meinetwegen auch Rap oder HipHop und alle Musik auf dieser Welt verschwindet nicht, sie bleibt.