Texte zum Alltäglichen -
der wöchentliche Schreibblog
Musik lässt sich nicht zerstören
Die Abendsonne spiegelt sich im Wasser des Weihers, an den Nebentischen ist es nicht zu laut, einem gesprächigen Abend bei Kölsch und Wein steht nichts im Wege. Wären da nicht die Bilder von den Städten in der Ukraine, was als erstes Thema auf den Tisch kommt. Bis von Karin dieser Satz zu hören ist: „Musik lässt sich nicht zerstören.“ Gefolgt von einem kurzen Moment des Schweigens.
Stimmt das, kann man das so sagen? Es regt sich Widerstand bei den Männern am Tisch:
„Ich muss da auch an meine Musikkassetten denken, die ich früher immer in meinem Auto dabei hatte, und eines Sommers, es war der heißeste in den 80ern, waren die meisten von ihnen kaputt. Die Musik also auch, einmalige Aufnahmen, Lieblingsplatten, Lieblingsgruppen, einfach zerstört.“
„Sie haben jetzt bisher unbekannte Notenaufzeichnungen von Johann Sebastian Bach gefunden, ganz neue Kompositionen. Man stelle sich vor, die wären für immer verloren geblieben? Es gibt bereits erste Einspielungen, auch auf CD, ein total wilder, impulsiver Bach.“
„Wer hört denn heute noch CDs? Die sind doch in ein paar Jahren sowieso alle kaputt, da hörst du nichts mehr drauf. Na vielen Dank, da lobe ich mir meine Plattensammlung, die kann mir keiner nehmen.“
„Da brauchst du keine Angst haben, die nehme ich dir bestimmt nicht weg. Ich hab' letztens noch bei einem Umzug Kartons mit Schallplatten geschleppt. Ich sage dir, schlimmer als Bücher, auf engstem Raum Tonnen von Gewicht.“
„Aber Platten sind doch unersetzlich, allein schon die Hüllen dazu, die schwarzen Scheiben, ihr Glanz, ihre empfindliche Oberfläche, so etwas Edles gibt es doch sonst gar nicht mehr. Oder meinst du, ein USB Stick hätte die gleiche Ausstrahlung wie das Vinyl?“
„So ein Quatsch, es geht doch nicht um die Tonträger, die sind doch egal. Es geht um die Musik, und die ist in den Köpfen, in den Stimmbänder, in den Händen, Fingern der Musiker. Was auf den Tasten des Klaviers, dem Griffbrett der Gitarren passiert, ist ausschlaggebend. Da ist es doch egal ob Kassette, Schallplatte, CD oder MP3.“
„Es sei denn, sie geben sich mit siebenundzwanzig den goldenen Schuss oder kommen sonst wie ums Leben. Ich sage nur Hendrix, Joplin, Morrison, Lennon, Cobain, Winehouse, was hätten diese musikalischen Genies noch produzieren können, hätte man sie oder hätten sie sich nicht selbst zerstört.“
„Die Hände von David Garrett oder Anne-Sophie Mutter sollen ja mit achtstelligen Summen versichert sein. Falls nur das Gelenk vom kleinen Finger zerstört würde, wäre schon die Auszahlung fällig. Damit wären nämlich die Träume von Millionen Fans zerstört.“
„Musik kann man nicht zerstören, das wüsste ich aber. Was ist, wenn sich irgendwelche Schlagerfuzzies an den tollsten Evergreens vergreifen und diese mit Streichern und Backgroundchören zu rosaroten Kitsch verweichlichen? Eine schlimmere Zerstörung gibt es nicht.“
„Notierungen von Musik, das ist doch das Privileg von wenigen reichen Kulturregionen. Normalerweise wird Musik eins zu eins übers Hören und Mitspielen weitergegeben. Und wenn Kriege und Unterdrückung bestimmte Bevölkerungsschichten daran hindern, ihre musikalische Kultur zu leben, wird sie zerstört wie Kirchen, Tempel und andere Kulturgüter auch.“
„Schade“, meint Karin und leert ihr Glas in einem Zug, „ich dachte gerade einen tröstenden Gedanken in diesen Zeiten der Dystopie gefunden zu haben. Habe ich mich wohl vertan.“
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Musik lässt sich nicht zerstören
Die Abendsonne spiegelt sich im Wasser des Weihers, an den Nebentischen ist es nicht zu laut, einem gesprächigen Abend bei Kölsch und Wein steht nichts im Wege. Wären da nicht die Bilder von den Städten in der Ukraine, was als erstes Thema auf den Tisch kommt. Bis von Karin dieser Satz zu hören ist: „Musik lässt sich nicht zerstören.“ Gefolgt von einem kurzen Moment des Schweigens.
Stimmt das, kann man das so sagen? Es regt sich Widerstand bei den Männern am Tisch:
„Ich muss da auch an meine Musikkassetten denken, die ich früher immer in meinem Auto dabei hatte, und eines Sommers, es war der heißeste in den 80ern, waren die meisten von ihnen kaputt. Die Musik also auch, einmalige Aufnahmen, Lieblingsplatten, Lieblingsgruppen, einfach zerstört.“
„Sie haben jetzt bisher unbekannte Notenaufzeichnungen von Johann Sebastian Bach gefunden, ganz neue Kompositionen. Man stelle sich vor, die wären für immer verloren geblieben? Es gibt bereits erste Einspielungen, auch auf CD, ein total wilder, impulsiver Bach.“
„Wer hört denn heute noch CDs? Die sind doch in ein paar Jahren sowieso alle kaputt, da hörst du nichts mehr drauf. Na vielen Dank, da lobe ich mir meine Plattensammlung, die kann mir keiner nehmen.“
„Da brauchst du keine Angst haben, die nehme ich dir bestimmt nicht weg. Ich hab' letztens noch bei einem Umzug Kartons mit Schallplatten geschleppt. Ich sage dir, schlimmer als Bücher, auf engstem Raum Tonnen von Gewicht.“
„Aber Platten sind doch unersetzlich, allein schon die Hüllen dazu, die schwarzen Scheiben, ihr Glanz, ihre empfindliche Oberfläche, so etwas Edles gibt es doch sonst gar nicht mehr. Oder meinst du, ein USB Stick hätte die gleiche Ausstrahlung wie das Vinyl?“
„So ein Quatsch, es geht doch nicht um die Tonträger, die sind doch egal. Es geht um die Musik, und die ist in den Köpfen, in den Stimmbänder, in den Händen, Fingern der Musiker. Was auf den Tasten des Klaviers, dem Griffbrett der Gitarren passiert, ist ausschlaggebend. Da ist es doch egal ob Kassette, Schallplatte, CD oder MP3.“
„Es sei denn, sie geben sich mit siebenundzwanzig den goldenen Schuss oder kommen sonst wie ums Leben. Ich sage nur Hendrix, Joplin, Morrison, Lennon, Cobain, Winehouse, was hätten diese musikalischen Genies noch produzieren können, hätte man sie oder hätten sie sich nicht selbst zerstört.“
„Die Hände von David Garrett oder Anne-Sophie Mutter sollen ja mit achtstelligen Summen versichert sein. Falls nur das Gelenk vom kleinen Finger zerstört würde, wäre schon die Auszahlung fällig. Damit wären nämlich die Träume von Millionen Fans zerstört.“
„Musik kann man nicht zerstören, das wüsste ich aber. Was ist, wenn sich irgendwelche Schlagerfuzzies an den tollsten Evergreens vergreifen und diese mit Streichern und Backgroundchören zu rosaroten Kitsch verweichlichen? Eine schlimmere Zerstörung gibt es nicht.“
„Notierungen von Musik, das ist doch das Privileg von wenigen reichen Kulturregionen. Normalerweise wird Musik eins zu eins übers Hören und Mitspielen weitergegeben. Und wenn Kriege und Unterdrückung bestimmte Bevölkerungsschichten daran hindern, ihre musikalische Kultur zu leben, wird sie zerstört wie Kirchen, Tempel und andere Kulturgüter auch.“
„Schade“, meint Karin und leert ihr Glas in einem Zug, „ich dachte gerade einen tröstenden Gedanken in diesen Zeiten der Dystopie gefunden zu haben. Habe ich mich wohl vertan.“