Texte zum Alltäglichen -
der wöchentliche Schreibblog
Mein Zimmer
RAU
Vier mal vier macht sechzehn Quadratmeter. Eine Tür, ein Fenster, weiße Wände, vor einiger Zeit wieder neu gestrichen, denn die Bilder und Poster von Max hatten ihre Spuren hinterlassen.
Gleich links steht noch sein Bett, auf dem sie manchmal liegt, wenn sie erschöpft ist und nicht ins Schlafzimmer möchte. Dann liegt sie da und sieht vor dem Fenster das, was er früher gesehen hat, achtzehn Jahre lang. Ein großes Stück Himmel, eine stattliche Linde und die oberen beiden Stockwerke eines trüben Fünfzigerjahre Gebäudes gegenüber. Vor dem Fenster stand sein Schreibtisch. Hausarbeiten, Basteleien, Sammelstücke, Kritzeleien, Stifte, vor allem viel Unordnung, immerzu und jahrelang, wie im ganzen Zimmer. Sie erinnert sich an endlos viele und fruchtlose Diskussionen darüber, was Ordnung im Raum und im Leben bedeutet.
Dann die Jahre mit seiner ständigen Müdigkeit, seiner Lustlosigkeit auf alles, seinem langen Schlafen. Essen, lesen, Musik hören, mit Freunden zusammen oder alleine im Dunkeln hocken, Trinken und Kiffen, aus dem Fenster kotzen, der erste Sex sicher auch. Alles hier passiert zwischen Tür und Fenster auf vier mal vier Quadratmetern.
Schreibtisch, Schrank, Regal, zwei Lampen, jede Menge Kleinkram und kleine Kisten. Eines Tages hat er alles mitgenommen in sein neues Leben. Genauso wie die Mädchen irgendwann Ihres zusammengepackt und rausgetragen haben. Und auf einmal waren da drei leere Zimmer, eines davon nehme ich für mich, und zwar das Größte, sagte sie gleich.
Als Kind schon hatte sie erst spät ein eigenes Zimmer, als junge Frau bald halbjährlich ein anderes und mit Konrad zusammen dann lange keines mehr. Hat ja immer ein Büro in der Firma gehabt und sich mit einem Tisch im Wohnzimmer für Dies und Das begnügt, sich gekonnt beschränkt mit stetem Blick auf das Wesentliche, auf die Anderen.
Dort drüben stand die große Kiste mit den bunten Lego-Steinen. Bagger, Schiffe, Flugzeuge, Häuser und halbe Fabriken in blau, gelb, rot, grün und weiß hat Max damals zusammengebaut und dazu stundenlang phantasiert wie später auch in seinen Kritzeleien, Bildern, Comics und heute noch in seinen Fotografien.
Schon lange steht ein neuer Tisch vor dem Fenster mit Blick auf die größer gewordene Linde und die oberen Stockwerke des immer noch hässlichen Hauses. Lampen, Teppich, Schrank, Regale und Bilder sind neu, und doch denkt sie immer noch oft an ihn hier früher.
Vier mal vier macht sechzehn. Dies ist jetzt ihr Zimmer. So viele waren es nicht in ihrem Leben, eine Handvoll vielleicht, oder doch mit denen im Ausland fast ein Dutzend? Arbeiten, sehr viele Stunden arbeiten, konzentrieren, nachdenken, sitzen und liegen, träumen, langweilen, Musik hören, Nachrichten schreiben, aus dem Fenster sehen, für sich sein, Ruhe haben.
Was er wohl gerade macht? Schon bald drei Monate haben sie nichts mehr von ihm gehört, er wolle nach Frankreich, hat er beim letzten Gespräch gesagt, da lag er hier auf seinem alten Bett, und sie saß am Tisch vor dem Fenster, die Linde hat geblüht, und er hat gemeint, er müsse für eine Weile weit weg. Soll er machen, hat sie damals gesagt und ihm alles Gute gewünscht. Mit Konrad, seinem Vater, hat er damals gar nicht mehr reden wollen.
Vier mal vier macht sechzehn. Immer häufiger ist sie hier und gerne bei sich. Denkt an früher und an jetzt, macht sich Gedanken und Sorgen, macht auch wieder Pläne. Max kleinen braunen Affen hat sie auf die Fensterbank gesetzt, von dort sieht er mit ihr hinaus auf Linde und Haus und in den großen Himmel.
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RAU
Vier mal vier macht sechzehn Quadratmeter. Eine Tür, ein Fenster, weiße Wände, vor einiger Zeit wieder neu gestrichen, denn die Bilder und Poster von Max hatten ihre Spuren hinterlassen.
Gleich links steht noch sein Bett, auf dem sie manchmal liegt, wenn sie erschöpft ist und nicht ins Schlafzimmer möchte. Dann liegt sie da und sieht vor dem Fenster das, was er früher gesehen hat, achtzehn Jahre lang. Ein großes Stück Himmel, eine stattliche Linde und die oberen beiden Stockwerke eines trüben Fünfzigerjahre Gebäudes gegenüber. Vor dem Fenster stand sein Schreibtisch. Hausarbeiten, Basteleien, Sammelstücke, Kritzeleien, Stifte, vor allem viel Unordnung, immerzu und jahrelang, wie im ganzen Zimmer. Sie erinnert sich an endlos viele und fruchtlose Diskussionen darüber, was Ordnung im Raum und im Leben bedeutet.
Dann die Jahre mit seiner ständigen Müdigkeit, seiner Lustlosigkeit auf alles, seinem langen Schlafen. Essen, lesen, Musik hören, mit Freunden zusammen oder alleine im Dunkeln hocken, Trinken und Kiffen, aus dem Fenster kotzen, der erste Sex sicher auch. Alles hier passiert zwischen Tür und Fenster auf vier mal vier Quadratmetern.
Schreibtisch, Schrank, Regal, zwei Lampen, jede Menge Kleinkram und kleine Kisten. Eines Tages hat er alles mitgenommen in sein neues Leben. Genauso wie die Mädchen irgendwann Ihres zusammengepackt und rausgetragen haben. Und auf einmal waren da drei leere Zimmer, eines davon nehme ich für mich, und zwar das Größte, sagte sie gleich.
Als Kind schon hatte sie erst spät ein eigenes Zimmer, als junge Frau bald halbjährlich ein anderes und mit Konrad zusammen dann lange keines mehr. Hat ja immer ein Büro in der Firma gehabt und sich mit einem Tisch im Wohnzimmer für Dies und Das begnügt, sich gekonnt beschränkt mit stetem Blick auf das Wesentliche, auf die Anderen.
Dort drüben stand die große Kiste mit den bunten Lego-Steinen. Bagger, Schiffe, Flugzeuge, Häuser und halbe Fabriken in blau, gelb, rot, grün und weiß hat Max damals zusammengebaut und dazu stundenlang phantasiert wie später auch in seinen Kritzeleien, Bildern, Comics und heute noch in seinen Fotografien.
Schon lange steht ein neuer Tisch vor dem Fenster mit Blick auf die größer gewordene Linde und die oberen Stockwerke des immer noch hässlichen Hauses. Lampen, Teppich, Schrank, Regale und Bilder sind neu, und doch denkt sie immer noch oft an ihn hier früher.
Vier mal vier macht sechzehn. Dies ist jetzt ihr Zimmer. So viele waren es nicht in ihrem Leben, eine Handvoll vielleicht, oder doch mit denen im Ausland fast ein Dutzend? Arbeiten, sehr viele Stunden arbeiten, konzentrieren, nachdenken, sitzen und liegen, träumen, langweilen, Musik hören, Nachrichten schreiben, aus dem Fenster sehen, für sich sein, Ruhe haben.
Was er wohl gerade macht? Schon bald drei Monate haben sie nichts mehr von ihm gehört, er wolle nach Frankreich, hat er beim letzten Gespräch gesagt, da lag er hier auf seinem alten Bett, und sie saß am Tisch vor dem Fenster, die Linde hat geblüht, und er hat gemeint, er müsse für eine Weile weit weg. Soll er machen, hat sie damals gesagt und ihm alles Gute gewünscht. Mit Konrad, seinem Vater, hat er damals gar nicht mehr reden wollen.
Vier mal vier macht sechzehn. Immer häufiger ist sie hier und gerne bei sich. Denkt an früher und an jetzt, macht sich Gedanken und Sorgen, macht auch wieder Pläne. Max kleinen braunen Affen hat sie auf die Fensterbank gesetzt, von dort sieht er mit ihr hinaus auf Linde und Haus und in den großen Himmel.