Texte zum Alltäglichen -
der wöchentliche Schreibblog
Mal ganz ehrlich
RAU
1
„Mal ganz ehrlich“, beginnt ihr Chef die wöchentliche Dienstbesprechung Punkt acht Uhr dreißig am Montag. „Ich werde nicht lange um den heißen Brei herumreden, die neuesten Quartalszahlen sind besorgniserregend, unsere Rücklagen sind aufgebraucht, die Aussichten nicht sehr verlockend. Die neuen Zölle werden uns den Rest geben. Ich bitte um konstruktive Vorschläge, kann aber auch jeden verstehen, der sich jetzt so seine Gedanken machen wird. So schlecht ging es in den letzten vierzig Jahren noch nie.“ Herr Quaiser stammelt die letzten Wörter, wischt sich mit dem Stofftaschentuch über seine feuchte Stirn und starrt auf seine Papiere.
Antje greift ihren Stift und malt erstmal ein Paar sinnlose Kringel auf ihr Papier, wie soll sie es abends zuhause erklären? Letztes Jahr erst haben sie das Haus gekauft, am Ort ist weit und breit keine andere Stelle für sie ihn Sicht. Soll sie Stefan wirklich mit den Worten begrüßen, ‚mal ganz ehrlich mein Lieber, ich werde arbeitslos und weiß nicht, wie es weitergehen soll?‘
2
Meine Schwester gehört leider zu den Menschen, die sich gerne in vorgerückter Stunde, häufig nach einem Glas Wein zu viel, leicht zu mir vorbeugt und etwas sehr Persönliches und Wichtiges genau mit diesen drei Worten einleitet. „Also Charlotte, mal ganz ehrlich, Du hast schon recht mit Stefan …“.
Stefan ist ihr Ehemann seit über zwanzig Jahren, von dem sie sich schon mindestens zehnmal hat trennen wollen und es nie geschafft hat, warum auch immer. Im schlimmsten Fall spielt wohl Geld dabei eine Rolle und der Wunsch meiner Schwester, wirtschaftlich recht komfortabel durchs Leben zu gehen, dazu gehören eben exklusive Restaurantbesuche, gute Kleidung und teure Urlaubsreisen. Wie auch immer. Ich kann meinen Schwager nicht ausstehen und habe daraus auch noch nie einen Hehl gemacht. Ich werde sicherlich noch hundert Mal dieses Schauspiel über mich ergehen lassen müssen, aber schließlich ist sie meine Schwester.
3
Er ist einfach ein Schiesser, da gibt es kein Drumherumgerede. Seine Freunde im Basketballverein sind soviel cooler, jeder von ihnen hat mindestens eine Freundin, und er traut sich schon seit Wochen einfach nicht, endlich mal Maja anzusprechen, ob sie nicht Lust hat, mit ihm mal ein Eis essen zu gehen. Ein Eis? Geht’s noch? Eigentlich will er mit ihr ins Kino oder in den Club, sie ganz nah neben sich spüren, vielleicht auch berühren. Wie viele Abende träumt er nicht schon von ihr, und mal ganz ehrlich, wie viele Male hat er sich nicht schon mehr mit ihr vorgestellt. Herrje, so ein Schiesser ist er. Sechszehn zu sein ist echt großer Mist. Gleich morgen wird er sie nach der Schule ansprechen, versprochen. Großes Ehrenwort.
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Mal ganz ehrlich
RAU
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„Mal ganz ehrlich“, beginnt ihr Chef die wöchentliche Dienstbesprechung Punkt acht Uhr dreißig am Montag. „Ich werde nicht lange um den heißen Brei herumreden, die neuesten Quartalszahlen sind besorgniserregend, unsere Rücklagen sind aufgebraucht, die Aussichten nicht sehr verlockend. Die neuen Zölle werden uns den Rest geben. Ich bitte um konstruktive Vorschläge, kann aber auch jeden verstehen, der sich jetzt so seine Gedanken machen wird. So schlecht ging es in den letzten vierzig Jahren noch nie.“ Herr Quaiser stammelt die letzten Wörter, wischt sich mit dem Stofftaschentuch über seine feuchte Stirn und starrt auf seine Papiere.
Antje greift ihren Stift und malt erstmal ein Paar sinnlose Kringel auf ihr Papier, wie soll sie es abends zuhause erklären? Letztes Jahr erst haben sie das Haus gekauft, am Ort ist weit und breit keine andere Stelle für sie ihn Sicht. Soll sie Stefan wirklich mit den Worten begrüßen, ‚mal ganz ehrlich mein Lieber, ich werde arbeitslos und weiß nicht, wie es weitergehen soll?‘
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Meine Schwester gehört leider zu den Menschen, die sich gerne in vorgerückter Stunde, häufig nach einem Glas Wein zu viel, leicht zu mir vorbeugt und etwas sehr Persönliches und Wichtiges genau mit diesen drei Worten einleitet. „Also Charlotte, mal ganz ehrlich, Du hast schon recht mit Stefan …“.
Stefan ist ihr Ehemann seit über zwanzig Jahren, von dem sie sich schon mindestens zehnmal hat trennen wollen und es nie geschafft hat, warum auch immer. Im schlimmsten Fall spielt wohl Geld dabei eine Rolle und der Wunsch meiner Schwester, wirtschaftlich recht komfortabel durchs Leben zu gehen, dazu gehören eben exklusive Restaurantbesuche, gute Kleidung und teure Urlaubsreisen. Wie auch immer. Ich kann meinen Schwager nicht ausstehen und habe daraus auch noch nie einen Hehl gemacht. Ich werde sicherlich noch hundert Mal dieses Schauspiel über mich ergehen lassen müssen, aber schließlich ist sie meine Schwester.
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Er ist einfach ein Schiesser, da gibt es kein Drumherumgerede. Seine Freunde im Basketballverein sind soviel cooler, jeder von ihnen hat mindestens eine Freundin, und er traut sich schon seit Wochen einfach nicht, endlich mal Maja anzusprechen, ob sie nicht Lust hat, mit ihm mal ein Eis essen zu gehen. Ein Eis? Geht’s noch? Eigentlich will er mit ihr ins Kino oder in den Club, sie ganz nah neben sich spüren, vielleicht auch berühren. Wie viele Abende träumt er nicht schon von ihr, und mal ganz ehrlich, wie viele Male hat er sich nicht schon mehr mit ihr vorgestellt. Herrje, so ein Schiesser ist er. Sechszehn zu sein ist echt großer Mist. Gleich morgen wird er sie nach der Schule ansprechen, versprochen. Großes Ehrenwort.