Texte zum Alltäglichen -
der wöchentliche Schreibblog
Mal andersherum
RAU
Es ist nicht seine Zeit, ganz und gar nicht. Kühl und dunkel, farblos und eintönig ist es. Er hätte nicht gedacht, dass ihn das mal stören würde. Als er noch im Institut war und manchmal locker zehn, zwölf Stunden am Tag gearbeitet hat, war ihm das ziemlich egal. Damals war er in seiner eigenen Welt, versuchte komplexe Vorgänge zu verstehen, suchte nach schlüssigen Lösungen und für die dann die richtigen Formulierungen. Als junger Mann hätte er sich nicht vorstellen können, dass er jemals so gerne arbeiten würde. Aber dann ist er doch fast dreißig Jahre jeden Tag gerne ins Historische Institut gefahren, hat sich mit Themen beschäftigt, die ihn interessiert haben, hat mit Menschen zu tun gehabt, die schlau und belesen waren und ist mit vielen ambitionierten jungen Wissenschaftlern zusammen gewesen, die gute Fragen stellten, was aus den Themen und auch aus ihrem Leben machen wollten.
Das ist vorbei, nun sitzt er zuhause in seinem Arbeitszimmer an seinem Schreibtisch und arbeitet einfach weiter. Für Publikationen aller Art, er kann und möchte es genau so. Seine Frau wünscht sich das anders, aber ob sie dann damit wirklich besser zurechtkäme? Konrad weiß es nicht und denkt auch nicht allzu oft darüber nach. Über Alternativen oder darüber, es einfach mal anders zu machen. Morgens nach dem Frühstück und dem Gang ins Bad sich nicht gleich an den Schreibtisch zu setzen, sondern … ja was eigentlich? Einen Spaziergang machen? Eine Fahrt mit dem Rad durchs Viertel, dann einen Kaffee trinken, ein bisschen im Cafè sitzen und umherschauen? Oder Ausstellungen besuchen oder Sport machen, was ja gerade in aller Munde ist? Um Gottes Willen, bloss nicht, dann lieber wieder ins Bett legen oder aufs Sofa und den neuen Hakan Nesser lesen.
Aber das mit dem Mal anders machen, das beschäftigt ihn schon, und mal anderes herum denken vielleicht auch? Das Älterwerden nicht als Bürde zu sehen, sondern als kostbare Zeit der persönlichen Freiheit. Dass die Kinder nicht mehr im Haus sind, bedeutet ja auch, so manches, was einem missfällt, ärgert oder sorgt, nicht mehr täglich um sich haben oder wissen zu müssen. Die Fremden nicht als Problem zu benennen, sondern auch als Chance, als Bereicherung für alle, wenn wir sie wirklich ernst nehmen und wirklich hier haben wollen.
Jetzt wird’s ihm fast ein wenig warm, und er wischt sich mit dem Taschentuch über die Stirn. Sieht aus dem Fenster in Graue und Farblose. Wie gut, dass die grelle Farbigkeit des Sommers nicht mehr ist und auch nicht die unerträgliche Wärme und Hitze, die einen tage- und wochenlang nur matt zurückgelassen hat. Jetzt im Herbst hat er guten Gewissens alle Zeit für sich. Wie gut ist das denn. Sollen doch ruhig alle in die Ausstellungen und Sportstudios rennen, Spazierengehen, Radfahren, Kaffee trinken oder sich mies und kraftlos fühlen, er freut sich auf seine Ruhe und auf seinen neuen Vortrag (in dem er nach der Hälfte die Perspektive von den Opfern zu den Tätern wechseln wird) und auch darauf, noch viel mehr von diesem Mal andersherum zu entdecken, versprochen.
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Mal andersherum
RAU
Es ist nicht seine Zeit, ganz und gar nicht. Kühl und dunkel, farblos und eintönig ist es. Er hätte nicht gedacht, dass ihn das mal stören würde. Als er noch im Institut war und manchmal locker zehn, zwölf Stunden am Tag gearbeitet hat, war ihm das ziemlich egal. Damals war er in seiner eigenen Welt, versuchte komplexe Vorgänge zu verstehen, suchte nach schlüssigen Lösungen und für die dann die richtigen Formulierungen. Als junger Mann hätte er sich nicht vorstellen können, dass er jemals so gerne arbeiten würde. Aber dann ist er doch fast dreißig Jahre jeden Tag gerne ins Historische Institut gefahren, hat sich mit Themen beschäftigt, die ihn interessiert haben, hat mit Menschen zu tun gehabt, die schlau und belesen waren und ist mit vielen ambitionierten jungen Wissenschaftlern zusammen gewesen, die gute Fragen stellten, was aus den Themen und auch aus ihrem Leben machen wollten.
Das ist vorbei, nun sitzt er zuhause in seinem Arbeitszimmer an seinem Schreibtisch und arbeitet einfach weiter. Für Publikationen aller Art, er kann und möchte es genau so. Seine Frau wünscht sich das anders, aber ob sie dann damit wirklich besser zurechtkäme? Konrad weiß es nicht und denkt auch nicht allzu oft darüber nach. Über Alternativen oder darüber, es einfach mal anders zu machen. Morgens nach dem Frühstück und dem Gang ins Bad sich nicht gleich an den Schreibtisch zu setzen, sondern … ja was eigentlich? Einen Spaziergang machen? Eine Fahrt mit dem Rad durchs Viertel, dann einen Kaffee trinken, ein bisschen im Cafè sitzen und umherschauen? Oder Ausstellungen besuchen oder Sport machen, was ja gerade in aller Munde ist? Um Gottes Willen, bloss nicht, dann lieber wieder ins Bett legen oder aufs Sofa und den neuen Hakan Nesser lesen.
Aber das mit dem Mal anders machen, das beschäftigt ihn schon, und mal anderes herum denken vielleicht auch? Das Älterwerden nicht als Bürde zu sehen, sondern als kostbare Zeit der persönlichen Freiheit. Dass die Kinder nicht mehr im Haus sind, bedeutet ja auch, so manches, was einem missfällt, ärgert oder sorgt, nicht mehr täglich um sich haben oder wissen zu müssen. Die Fremden nicht als Problem zu benennen, sondern auch als Chance, als Bereicherung für alle, wenn wir sie wirklich ernst nehmen und wirklich hier haben wollen.
Jetzt wird’s ihm fast ein wenig warm, und er wischt sich mit dem Taschentuch über die Stirn. Sieht aus dem Fenster in Graue und Farblose. Wie gut, dass die grelle Farbigkeit des Sommers nicht mehr ist und auch nicht die unerträgliche Wärme und Hitze, die einen tage- und wochenlang nur matt zurückgelassen hat. Jetzt im Herbst hat er guten Gewissens alle Zeit für sich. Wie gut ist das denn. Sollen doch ruhig alle in die Ausstellungen und Sportstudios rennen, Spazierengehen, Radfahren, Kaffee trinken oder sich mies und kraftlos fühlen, er freut sich auf seine Ruhe und auf seinen neuen Vortrag (in dem er nach der Hälfte die Perspektive von den Opfern zu den Tätern wechseln wird) und auch darauf, noch viel mehr von diesem Mal andersherum zu entdecken, versprochen.