Texte zum Alltäglichen -
der wöchentliche Schreibblog
Märchen
WIE
Keiner am Tisch wusste, wie man auf das Thema Märchen gekommen war. Vielleicht war es das Buch auf dem Geburtstagstisch der Gastgeberin gewesen: “Märchen für Erwachsene.“ Das entfachte jedenfalls genügend Neugier, um das Buch etwas länger in den Händen zu halten du schon mal ein paar Sätze zu lesen, um es mit den Worten: „interessant“, oder „spannend“ wieder hin zu legen. Die Männer in der Geburtstagsrunde reagierten allerdings etwas skeptischer, genauso wie sie weniger an die heilsame Wirkung von Badezusätzen glauben.
Aber war man weitgehend einig, dass Märchen, auch wenn wenig mit der Realität zu tun haben, durchaus entspannend und phantasieanregend im Alltag sein können. Andererseits sollte man immer auch bedenken, dass es sich bei Märchen auch um Vorgaukelei und Trostversprechen handelt, in einer Wirklichkeit, in der alles andere als Gerechtigkeit und Chancengleichheit herrschen. Dass die Schwächsten und Kleinsten letztlich als Sieger*innen aus dem Geschehen hervortreten, ist wohl mehr Wunschdenken.
Dann sind Erzählungen aus eigenen Erlebnissen dran, die sich wie Märchen anhören. Ein Kauf auf dem Flohmarkt stellt sich als wahrer Glücksfall heraus, weil für wenig Geld wurde ein echtes Originalstück ergattert, auf dem Sperrmüll findet jemand hinter der Rückwand eines Nachttischschränkchens einen Umschlag mit viel Geld, ein hässliches, wenig attraktives Ölbild wird später als Frühwerk eines berühmten Malers identifiziert. Oder auch kleinere Begebenheiten, wenn eine verpatzte Gelegenheit sich als Glücksfall erweist, weil alle anderen im Stau stehen und wegen der Absage eines Großinvents umsonst unterwegs waren.
Bezüglich Fahrten mit der Bahn gibt es allerdings kein einziges Märchen zu erzählen, außer der Behauptung, die Bahn sei bemüht, alle Fehler möglichst bald zu beheben.
Kurz darauf werden Lieblingsfilme besprochen, die durchaus als Märchen für Erwachsene in Frage kommen: Pretty Woman, Notting Hill oder Casablanca, aber auch Titanic und Lovestory. Sie tun auf jeden Fall ab und zu sehr gut, noch mehr, wenn viel Knabberzeug dabei ist. Aber auch hier lässt sich kaum Einigkeit herstellen, ob man wirklich von Märchen sprechen sollte. Schließlich sind die Geschichten doch weitgehend erfunden. Was aber genaugenommen bei Märchen dazu gehört.
Erst als das Gespräch auf die Europameisterschaft im Fußball zu sprechen kommt, ist man sich einig, hier muss man von Märchen sprechen. Wenn in letzter Minute die Leistungen der eigenen Mannschaft nicht zu überbieten sind obwohl sie gerade gegen den absoluten Topfavoriten spielen. Wenn die eigenen Spieler alles an Herz und Blut bieten, was die verwöhnten Luxusspieler der gegnerischen Mannschaft nicht haben, dann lässt sich das berechtigt als Sommermärchen bezeichnen. Nicht frei erfunden, sondern jetzt gerade hier ist es mitzuerleben, und man ist quasi mit dabei, als Teil des Märchens.
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Märchen
WIE
Keiner am Tisch wusste, wie man auf das Thema Märchen gekommen war. Vielleicht war es das Buch auf dem Geburtstagstisch der Gastgeberin gewesen: “Märchen für Erwachsene.“ Das entfachte jedenfalls genügend Neugier, um das Buch etwas länger in den Händen zu halten du schon mal ein paar Sätze zu lesen, um es mit den Worten: „interessant“, oder „spannend“ wieder hin zu legen. Die Männer in der Geburtstagsrunde reagierten allerdings etwas skeptischer, genauso wie sie weniger an die heilsame Wirkung von Badezusätzen glauben.
Aber war man weitgehend einig, dass Märchen, auch wenn wenig mit der Realität zu tun haben, durchaus entspannend und phantasieanregend im Alltag sein können. Andererseits sollte man immer auch bedenken, dass es sich bei Märchen auch um Vorgaukelei und Trostversprechen handelt, in einer Wirklichkeit, in der alles andere als Gerechtigkeit und Chancengleichheit herrschen. Dass die Schwächsten und Kleinsten letztlich als Sieger*innen aus dem Geschehen hervortreten, ist wohl mehr Wunschdenken.
Dann sind Erzählungen aus eigenen Erlebnissen dran, die sich wie Märchen anhören. Ein Kauf auf dem Flohmarkt stellt sich als wahrer Glücksfall heraus, weil für wenig Geld wurde ein echtes Originalstück ergattert, auf dem Sperrmüll findet jemand hinter der Rückwand eines Nachttischschränkchens einen Umschlag mit viel Geld, ein hässliches, wenig attraktives Ölbild wird später als Frühwerk eines berühmten Malers identifiziert. Oder auch kleinere Begebenheiten, wenn eine verpatzte Gelegenheit sich als Glücksfall erweist, weil alle anderen im Stau stehen und wegen der Absage eines Großinvents umsonst unterwegs waren.
Bezüglich Fahrten mit der Bahn gibt es allerdings kein einziges Märchen zu erzählen, außer der Behauptung, die Bahn sei bemüht, alle Fehler möglichst bald zu beheben.
Kurz darauf werden Lieblingsfilme besprochen, die durchaus als Märchen für Erwachsene in Frage kommen: Pretty Woman, Notting Hill oder Casablanca, aber auch Titanic und Lovestory. Sie tun auf jeden Fall ab und zu sehr gut, noch mehr, wenn viel Knabberzeug dabei ist. Aber auch hier lässt sich kaum Einigkeit herstellen, ob man wirklich von Märchen sprechen sollte. Schließlich sind die Geschichten doch weitgehend erfunden. Was aber genaugenommen bei Märchen dazu gehört.
Erst als das Gespräch auf die Europameisterschaft im Fußball zu sprechen kommt, ist man sich einig, hier muss man von Märchen sprechen. Wenn in letzter Minute die Leistungen der eigenen Mannschaft nicht zu überbieten sind obwohl sie gerade gegen den absoluten Topfavoriten spielen. Wenn die eigenen Spieler alles an Herz und Blut bieten, was die verwöhnten Luxusspieler der gegnerischen Mannschaft nicht haben, dann lässt sich das berechtigt als Sommermärchen bezeichnen. Nicht frei erfunden, sondern jetzt gerade hier ist es mitzuerleben, und man ist quasi mit dabei, als Teil des Märchens.