Texte zum Alltäglichen -
der wöchentliche Schreibblog
Leichte Kost
RAU
Für mich bitte nur einen Salat. Sie kennen diesen Satz, haben ihn sicherlich auch schon tausend Mal gehört. Dazu dieser spezielle Ausdruck im Gesicht, als würde sich die Frau schon auch gerne den Tafelspitz, Zwiebelrostbraten, die Kässpatzen, das Entrecote oder dies und das bestellen, richtig gerne vielleicht sogar, aber selbstverständlich verkneift sie es sich. Denn natürlich ist sie vernünftig, durch und durch. Schließlich ist es schon nach Zwanzig Uhr, sie ist modern und diszipliniert und hat sämtliche aktuellen Ernährungstipps nicht nur rauf- und runtergelesen, sondern auch bis aufs Mark verinnerlicht. Abends keine Kohlenhydrate mehr zu sich nehmen, am besten bis spätestens achtzehn oder neunzehn Uhr zu essen, noch besser gleich Intervallfasten zu praktizieren und sich sowieso vegetarisch, noch besser natürlich vegan zu ernähren, denn dann müssen auch die armen Kühe nicht mehr von ihren Kälbchen getrennt werden und Jahr für Jahr nur noch in fabrikmäßigen Ställen stehen. Und, und, und.
Dabei habe ich nur gefragt, was sie essen möchte. Nach einem sicher auch für sie langen Arbeitstag, an einem Tisch mit Kerzen, weißer Tischdecke, Stoffservietten und einem absolut freundlichen und zuvorkommendem Kellner. Schon mit Rosa habe ich das Problem gehabt, dass es mir zunehmend immer weniger Freude gemacht hat, abends mit ihr essen zu gehen, und nun entpuppt sich Katinka als ihre Wesensverwandte.
Für mich bitte einen Salat. Dazu ihre zuckersüße Miene im Gesicht und ein Hauch von Verachtung in der Stimme, weil ich die Käsespatzen, das Entrecote, das Lachssteak, die Dorade oder die Scampipasta bestellen möchte. Zwei so unterschiedliche Frauen, doch in diesem Fall das gleiche Spiel und derselbe Verdruss.
Was so eine einfache Frage alles nach sich ziehen kann, nicht zu fassen. Meinen leichten Ärger über Katinka und ihre nervende political correctness kann ich kaum unterdrücken, denn ich möchte den schönen Abend in diesem edlen Restaurant in der schönsten Stimmung bei Kerzenschein und einem wohlschmeckenden Mahl einfach nur genießen und mir keinen Kopf machen über den derzeitigen Stand unserer Gesellschaft, ach was sage ich, der ganzen Welt. Möchte nicht über den Hunger in der Welt, die sicherlich oft kriminellen Machenschaften der Lebensmittelindustrie, die Fragen nach körperlicher Gesundheit, Body-Mass-Index, Cholesterinwerten, Zuckergehalt, Zusatzstoffen und Kalorien nachdenken. All das lässt sich natürlich mühelos an so einer banalen, alltäglichen Frage ableiten. Und worauf hast du heute Appetit? Für mich bitte einen Salat.
Katinka ist Mitte dreißig, akademisch gebildet, alleinstehend, derzeit wohnhaft in einer der interessantesten Hauptstädte des europäischen Kontinentes, sie ist Unternehmensberaterin eines weltweit agierenden Konzerns und geht sicherlich mehrmals in der Woche zu Abendessen mit Kunden, Geschäftspartnern oder heute mit mir. Für mich bitte einen Salat. Oh Mann, kann sie sich nicht einfach den Zwiebelrostbraten mit Kartoffel-Fenchelpüree bestellen und zum Nachtisch ein Tiramisu oder meinetwegen auch ein Zimtparfait mit warmen Zwetschgen in Rotwein? Einfach mal aus dem Vollen schöpfen und rundum genießen? Ist denn mittlerweile unser modernes Leben so kompliziert geworden, dass einfacher Genuss verboten scheint? Habe ich sie eigentlich schon einmal etwas anderes essen sehen als dieses Grünzeug aus nachhaltigem Anbau, selbstverständlich ohne Avocados, die beim Anbau ja soviel Wasser verbrauchen? Und natürlich ohne Tomaten oder Gurken aus Spanien oder den Niederlanden, aber selbstverständlich angemacht mit einer Vinaigrette aus Öl mit hohem Omega-3-Fettsäuren-Gehalt? Oh Mann, das ist wirklich keine leichte Kost an diesem Abend, auf den ich mich schon seit Tagen so gefreut habe.
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Leichte Kost
RAU
Für mich bitte nur einen Salat. Sie kennen diesen Satz, haben ihn sicherlich auch schon tausend Mal gehört. Dazu dieser spezielle Ausdruck im Gesicht, als würde sich die Frau schon auch gerne den Tafelspitz, Zwiebelrostbraten, die Kässpatzen, das Entrecote oder dies und das bestellen, richtig gerne vielleicht sogar, aber selbstverständlich verkneift sie es sich. Denn natürlich ist sie vernünftig, durch und durch. Schließlich ist es schon nach Zwanzig Uhr, sie ist modern und diszipliniert und hat sämtliche aktuellen Ernährungstipps nicht nur rauf- und runtergelesen, sondern auch bis aufs Mark verinnerlicht. Abends keine Kohlenhydrate mehr zu sich nehmen, am besten bis spätestens achtzehn oder neunzehn Uhr zu essen, noch besser gleich Intervallfasten zu praktizieren und sich sowieso vegetarisch, noch besser natürlich vegan zu ernähren, denn dann müssen auch die armen Kühe nicht mehr von ihren Kälbchen getrennt werden und Jahr für Jahr nur noch in fabrikmäßigen Ställen stehen. Und, und, und.
Dabei habe ich nur gefragt, was sie essen möchte. Nach einem sicher auch für sie langen Arbeitstag, an einem Tisch mit Kerzen, weißer Tischdecke, Stoffservietten und einem absolut freundlichen und zuvorkommendem Kellner. Schon mit Rosa habe ich das Problem gehabt, dass es mir zunehmend immer weniger Freude gemacht hat, abends mit ihr essen zu gehen, und nun entpuppt sich Katinka als ihre Wesensverwandte.
Für mich bitte einen Salat. Dazu ihre zuckersüße Miene im Gesicht und ein Hauch von Verachtung in der Stimme, weil ich die Käsespatzen, das Entrecote, das Lachssteak, die Dorade oder die Scampipasta bestellen möchte. Zwei so unterschiedliche Frauen, doch in diesem Fall das gleiche Spiel und derselbe Verdruss.
Was so eine einfache Frage alles nach sich ziehen kann, nicht zu fassen. Meinen leichten Ärger über Katinka und ihre nervende political correctness kann ich kaum unterdrücken, denn ich möchte den schönen Abend in diesem edlen Restaurant in der schönsten Stimmung bei Kerzenschein und einem wohlschmeckenden Mahl einfach nur genießen und mir keinen Kopf machen über den derzeitigen Stand unserer Gesellschaft, ach was sage ich, der ganzen Welt. Möchte nicht über den Hunger in der Welt, die sicherlich oft kriminellen Machenschaften der Lebensmittelindustrie, die Fragen nach körperlicher Gesundheit, Body-Mass-Index, Cholesterinwerten, Zuckergehalt, Zusatzstoffen und Kalorien nachdenken. All das lässt sich natürlich mühelos an so einer banalen, alltäglichen Frage ableiten. Und worauf hast du heute Appetit? Für mich bitte einen Salat.
Katinka ist Mitte dreißig, akademisch gebildet, alleinstehend, derzeit wohnhaft in einer der interessantesten Hauptstädte des europäischen Kontinentes, sie ist Unternehmensberaterin eines weltweit agierenden Konzerns und geht sicherlich mehrmals in der Woche zu Abendessen mit Kunden, Geschäftspartnern oder heute mit mir. Für mich bitte einen Salat. Oh Mann, kann sie sich nicht einfach den Zwiebelrostbraten mit Kartoffel-Fenchelpüree bestellen und zum Nachtisch ein Tiramisu oder meinetwegen auch ein Zimtparfait mit warmen Zwetschgen in Rotwein? Einfach mal aus dem Vollen schöpfen und rundum genießen? Ist denn mittlerweile unser modernes Leben so kompliziert geworden, dass einfacher Genuss verboten scheint? Habe ich sie eigentlich schon einmal etwas anderes essen sehen als dieses Grünzeug aus nachhaltigem Anbau, selbstverständlich ohne Avocados, die beim Anbau ja soviel Wasser verbrauchen? Und natürlich ohne Tomaten oder Gurken aus Spanien oder den Niederlanden, aber selbstverständlich angemacht mit einer Vinaigrette aus Öl mit hohem Omega-3-Fettsäuren-Gehalt? Oh Mann, das ist wirklich keine leichte Kost an diesem Abend, auf den ich mich schon seit Tagen so gefreut habe.