Texte zum Alltäglichen -
der wöchentliche Schreibblog
Langeweile
RAU
„Hast du nichts zu tun?“
Die typische Frage von Vater, wenn er von der Arbeit nach Hause gekommen ist und mich auf dem Sofa im Wohnzimmer oder auf dem Bett in meinem Zimmer hat liegen sehen.
„Das gibt’s doch nicht, bist ein gesunder, kräftiger Junge und liegst einfach am helllichten Tag so rum.“
„Draußen ist es doch schon ewig dunkel.“
„Frech bist du auch noch. Es ist November, und da ist es um fünf nun mal dunkel, aber es gibt immer was zu tun. Komm mal mit in die Werkstatt, du Nichtsnutz.“
Vater ist wirklich schrecklich gewesen, aber ich denke, er ist es immer noch. Immer muss etwas getan werden, immerzu muss irgendetwas Sinnvolles gemacht werden. Wände, Türen, Fenster streichen, lose Fußleisten ankleben, tropfende Wasserhähne abdichten, aufräumen, reparieren, hobeln, sägen, dübeln, ausbessern, erneuern. Ein Haus mit fünf Zimmern, Küche, Speisekammer, Keller, Dachboden, Garage und Garten samt Schuppen, da ist immer was zu tun.
Ich weiß schon, warum ich immer noch in meiner überschaubaren dreieinhalb Zimmer Wohnung zur Miete wohne und nicht in einem Haus mit fünf Zimmer, Küche, Bad, Speisekammer und und und. Ich habe es nämlich wirklich gerne, wenn ich nichts mache und nichts machen muss. Freie Zeit nur für mich genieße ich sehr und sorge auch immer dafür, dass es sie regelmäßig gibt. Dann lasse ich einfach alles kommen und nehme mir nichts vor. Mache mir vielleicht einen Gin Tonic und denke mir wie Harald Juhnke, keine Termine und leichten einen im Tee, das ist die Definition von Glück.
Damit brauche ich Vater natürlich nicht zu kommen. Er würde das auch gar nicht aushalten, wüsste so überhaupt nichts mit einer Packung freier Zeit anzufangen, die er nicht eingeteilt und verplant hat. Nie sitzt er einfach nur so rum, liegt auch nie im Wohnzimmer auf dem Sofa und sieht einfach mal gerade. Dafür ist er viel zu pflichtbewusst und viel zu nervös.
Ich bin noch nie ein besonders nervöser Mensch gewesen und früher zumindest sicherlich auch kein besonders pflichtbewusster. Als Kind bin ich sehr lebhaft gewesen und als Jugendlicher dann, so mit elf, zwölf Jahren habe ich mich begonnen zu langweilen, besonders im Winter. Im Frühjahr, Sommer und Herbst habe ich mich ja noch so einigermaßen beschäftigen können, bin mit meinem Rad stundenlang und planlos durch die Gegend gekurvt, bin ins Schwimmbad und zum Angeln gegangen, habe Drachen steigen lassen und Kastanien gesammelt, aber im Winter? Nur endlos lange, trübe Nachmittage, Abende und Wochenenden ohne die kleinste zündende Idee für irgendetwas. Aber mit wagen Vorstellungen von dem, was sein könnte, aber noch nicht geht. Mädchen zum Beispiel, Musikkonzerte, mit Freunden wegfahren. Stattdessen ödes In-die-Luft und An-die-Decke starren, stundenlanges Fernsehen gucken, zu süße Limonade trinken und salzige Nüsse knabbern und natürlich immer wieder Steffi ärgern. Aus purer Langeweile. Weil einfach eine verdammt lange Weile nicht das passiert, was ich mir eigentlich wünsche, aber auch weil mir nichts anderes einfällt, ich mich zu nichts aufraffen kann und nichts zu tun habe.
Ich langweile mich auch heute immer mal wieder, und es geht mir verdammt gut dabei. Hast du gehört, Vater?
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Langeweile
RAU
„Hast du nichts zu tun?“
Die typische Frage von Vater, wenn er von der Arbeit nach Hause gekommen ist und mich auf dem Sofa im Wohnzimmer oder auf dem Bett in meinem Zimmer hat liegen sehen.
„Das gibt’s doch nicht, bist ein gesunder, kräftiger Junge und liegst einfach am helllichten Tag so rum.“
„Draußen ist es doch schon ewig dunkel.“
„Frech bist du auch noch. Es ist November, und da ist es um fünf nun mal dunkel, aber es gibt immer was zu tun. Komm mal mit in die Werkstatt, du Nichtsnutz.“
Vater ist wirklich schrecklich gewesen, aber ich denke, er ist es immer noch. Immer muss etwas getan werden, immerzu muss irgendetwas Sinnvolles gemacht werden. Wände, Türen, Fenster streichen, lose Fußleisten ankleben, tropfende Wasserhähne abdichten, aufräumen, reparieren, hobeln, sägen, dübeln, ausbessern, erneuern. Ein Haus mit fünf Zimmern, Küche, Speisekammer, Keller, Dachboden, Garage und Garten samt Schuppen, da ist immer was zu tun.
Ich weiß schon, warum ich immer noch in meiner überschaubaren dreieinhalb Zimmer Wohnung zur Miete wohne und nicht in einem Haus mit fünf Zimmer, Küche, Bad, Speisekammer und und und. Ich habe es nämlich wirklich gerne, wenn ich nichts mache und nichts machen muss. Freie Zeit nur für mich genieße ich sehr und sorge auch immer dafür, dass es sie regelmäßig gibt. Dann lasse ich einfach alles kommen und nehme mir nichts vor. Mache mir vielleicht einen Gin Tonic und denke mir wie Harald Juhnke, keine Termine und leichten einen im Tee, das ist die Definition von Glück.
Damit brauche ich Vater natürlich nicht zu kommen. Er würde das auch gar nicht aushalten, wüsste so überhaupt nichts mit einer Packung freier Zeit anzufangen, die er nicht eingeteilt und verplant hat. Nie sitzt er einfach nur so rum, liegt auch nie im Wohnzimmer auf dem Sofa und sieht einfach mal gerade. Dafür ist er viel zu pflichtbewusst und viel zu nervös.
Ich bin noch nie ein besonders nervöser Mensch gewesen und früher zumindest sicherlich auch kein besonders pflichtbewusster. Als Kind bin ich sehr lebhaft gewesen und als Jugendlicher dann, so mit elf, zwölf Jahren habe ich mich begonnen zu langweilen, besonders im Winter. Im Frühjahr, Sommer und Herbst habe ich mich ja noch so einigermaßen beschäftigen können, bin mit meinem Rad stundenlang und planlos durch die Gegend gekurvt, bin ins Schwimmbad und zum Angeln gegangen, habe Drachen steigen lassen und Kastanien gesammelt, aber im Winter? Nur endlos lange, trübe Nachmittage, Abende und Wochenenden ohne die kleinste zündende Idee für irgendetwas. Aber mit wagen Vorstellungen von dem, was sein könnte, aber noch nicht geht. Mädchen zum Beispiel, Musikkonzerte, mit Freunden wegfahren. Stattdessen ödes In-die-Luft und An-die-Decke starren, stundenlanges Fernsehen gucken, zu süße Limonade trinken und salzige Nüsse knabbern und natürlich immer wieder Steffi ärgern. Aus purer Langeweile. Weil einfach eine verdammt lange Weile nicht das passiert, was ich mir eigentlich wünsche, aber auch weil mir nichts anderes einfällt, ich mich zu nichts aufraffen kann und nichts zu tun habe.
Ich langweile mich auch heute immer mal wieder, und es geht mir verdammt gut dabei. Hast du gehört, Vater?