Texte zum Alltäglichen -
der wöchentliche Schreibblog
Kühlschrank
RAU
Viele haben ja jetzt diese großen, fast schrankähnlichen Teile, gerne im Edelstahllook in ihren Wohnungen stehen.
Moderne Küchen sind heute gerne in Wohnräume integriert und so reduziert und nüchtern in Material und Form gehalten, dass sie kaum als solche zu erkennen sind. Herd und Spüle werden erst durch Verschieben der Oberflächenplatte sichtbar, alle anderen technischen Geräte sind in bequemer Höhe eingebaut, Dunstabzughaube, Kacheln oder Fliesen Fehlanzeige. Hochstühle stehen vor dem parallel zur Wand gestellten Küchenblock, auf denen man in der Früh den Espresso und zum Feierabend den Aperitif nimmt. Der niedrige, sechzig cm breite Unterbaukühlschrank hat in diesen Ufo- oder laborähnlichen Küchen nichts mehr zu suchen. Man müsste sich ja umständlich bücken, um an den gekühlten Naturjoghurt und die fertig ausgelösten Granatäpfelkerne zu kommen, wobei es mittlerweile auch schon Modelle mit herausnehmbaren Schubfächern gibt.
Nein, die Krönung der modernen Küche ist der schrankhohe, gerne auch doppelbreite Kühlschrank im Edelstahllook, besonders begehrt mit automatischem Eiswürfelauswurf. In seinem glänzenden oder matten Inox-Look gleicht er einem stolzen König. Gekühlte Lebensmittel sind wichtig, und wo sollten sie auch sonst aufbewahrt werden, nachdem ehemalige Speisekammern aufgelöst oder umgebaut wurden und in Neubauten erst gar nicht erst vorgesehen sind? Kartoffeln und Getränke im Keller lagern? Zu weit und zu mühsam der Weg, stattdessen alles hinein in den matt glänzenden Kühlturm.
Türen auf. Angenehmes Licht. Unterschiedliche Temperaturzonen. Wohl überlegte Ordnungshilfen in Form von durchsichtigen Schubladen, Gittern, Türeinsätzen, Flaschenhaltern und auch immer noch sechs- oder zehnteiligen Eieraufbewahrformen. Dann der Blick auf das, was wirklich zählt. Essen und Trinken. Wenn es so einfach wäre. Mit dem Blick und den Sachen. Bei Kaufland, Edeka oder BioCompany gekauft? Frisch oder bereits abgelaufen? Übersichtlich in durchsichtigen Glasbehältern, farbigen Kunststoffboxen oder Originalverpackungen aufbewahrt, nach irgendeinem System geordnet oder wild durcheinander abgelegt? Mayonnaise neben Gewürzgurken neben Marmelade? Tomaten (gehören gar nicht rein) neben Käse, Brot und Schokolade? Fleisch neben Zwiebeln neben Orangen neben Bratheringen neben Quark? Flaschen in freien Zwischenräumen liegend oder stehend in den Türfächern? Aufgerissene Medikamentenpackungen oder teure Heilwässerchen gar? Halb leer oder prall gefüllt? Wird mir schlecht beim Blick oder bekomme ich Appetit?
Ich sehe in meinen Kühlschrank und bin beruhigt. Das da drinnen bin ich. Alles ist frisch und an seinem Platz, alles mag ich gerne und freue mich darauf, es zu verzehren. Nicht zu viel und nicht zu wenig. Die Kinder sind aus dem Haus, und der Kühlschrank gehört wieder mir.
Ich sehe in deinen Kühlschrank und ahne, wer du bist. Im Bruchteil einer Sekunde beginnt ein Film abzulaufen, der mir über dich erzählt, und ich kann nicht anders, als hinzusehen und zuzuhören. In anderer Leute Kühlschränke sehen ist wie ins Kino gehen, denke ich mir und schmunzele.
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Kühlschrank
RAU
Viele haben ja jetzt diese großen, fast schrankähnlichen Teile, gerne im Edelstahllook in ihren Wohnungen stehen.
Moderne Küchen sind heute gerne in Wohnräume integriert und so reduziert und nüchtern in Material und Form gehalten, dass sie kaum als solche zu erkennen sind. Herd und Spüle werden erst durch Verschieben der Oberflächenplatte sichtbar, alle anderen technischen Geräte sind in bequemer Höhe eingebaut, Dunstabzughaube, Kacheln oder Fliesen Fehlanzeige. Hochstühle stehen vor dem parallel zur Wand gestellten Küchenblock, auf denen man in der Früh den Espresso und zum Feierabend den Aperitif nimmt. Der niedrige, sechzig cm breite Unterbaukühlschrank hat in diesen Ufo- oder laborähnlichen Küchen nichts mehr zu suchen. Man müsste sich ja umständlich bücken, um an den gekühlten Naturjoghurt und die fertig ausgelösten Granatäpfelkerne zu kommen, wobei es mittlerweile auch schon Modelle mit herausnehmbaren Schubfächern gibt.
Nein, die Krönung der modernen Küche ist der schrankhohe, gerne auch doppelbreite Kühlschrank im Edelstahllook, besonders begehrt mit automatischem Eiswürfelauswurf. In seinem glänzenden oder matten Inox-Look gleicht er einem stolzen König. Gekühlte Lebensmittel sind wichtig, und wo sollten sie auch sonst aufbewahrt werden, nachdem ehemalige Speisekammern aufgelöst oder umgebaut wurden und in Neubauten erst gar nicht erst vorgesehen sind? Kartoffeln und Getränke im Keller lagern? Zu weit und zu mühsam der Weg, stattdessen alles hinein in den matt glänzenden Kühlturm.
Türen auf. Angenehmes Licht. Unterschiedliche Temperaturzonen. Wohl überlegte Ordnungshilfen in Form von durchsichtigen Schubladen, Gittern, Türeinsätzen, Flaschenhaltern und auch immer noch sechs- oder zehnteiligen Eieraufbewahrformen. Dann der Blick auf das, was wirklich zählt. Essen und Trinken. Wenn es so einfach wäre. Mit dem Blick und den Sachen. Bei Kaufland, Edeka oder BioCompany gekauft? Frisch oder bereits abgelaufen? Übersichtlich in durchsichtigen Glasbehältern, farbigen Kunststoffboxen oder Originalverpackungen aufbewahrt, nach irgendeinem System geordnet oder wild durcheinander abgelegt? Mayonnaise neben Gewürzgurken neben Marmelade? Tomaten (gehören gar nicht rein) neben Käse, Brot und Schokolade? Fleisch neben Zwiebeln neben Orangen neben Bratheringen neben Quark? Flaschen in freien Zwischenräumen liegend oder stehend in den Türfächern? Aufgerissene Medikamentenpackungen oder teure Heilwässerchen gar? Halb leer oder prall gefüllt? Wird mir schlecht beim Blick oder bekomme ich Appetit?
Ich sehe in meinen Kühlschrank und bin beruhigt. Das da drinnen bin ich. Alles ist frisch und an seinem Platz, alles mag ich gerne und freue mich darauf, es zu verzehren. Nicht zu viel und nicht zu wenig. Die Kinder sind aus dem Haus, und der Kühlschrank gehört wieder mir.
Ich sehe in deinen Kühlschrank und ahne, wer du bist. Im Bruchteil einer Sekunde beginnt ein Film abzulaufen, der mir über dich erzählt, und ich kann nicht anders, als hinzusehen und zuzuhören. In anderer Leute Kühlschränke sehen ist wie ins Kino gehen, denke ich mir und schmunzele.