Texte zum Alltäglichen -
der wöchentliche Schreibblog
Keine Ahnung
RAU
Dieses Gefühl beschleicht sie ihr halbes Leben. Schon als Kind hat sie das Meiste nicht verstanden, von dem die Erwachsenen so oft und gerne geredet haben, Mieterhöhung, Lebensversicherung, Scheidung, Grundstückspreise, Inflation, Wachstum, Konkurs, Rendite. Und hat auch oft nicht verstanden, von dem in der Schule gesprochen wurde, Binomische Formeln, Peer und Ohm, Photosynthese oder die Geburt von Jesus. Eine Jungfrau bekommt ein Kind? Also blieb ihr nichts als Fragen zu stellen und damit hat sie sicherlich die Anderen oft genervt.
Heute fragt sie immer noch. Während eines Gespräches mit ihrer großen Tochter über ihren Job bei bald jedem dritten Wort danach, was es auf deutsch bedeutet. Oder danach, was Bitcoins und Halbleiter sind und wie Künstliche Intelligenz, Gaspipelines und digitale Überwachung wirklich funktionieren. Ihre Frageliste ist nicht kürzer geworden. Irgendwie lebt sie die meiste Zeit ihres Lebens wie früher die Sachsen in der DDR, die kein Westfernsehen empfangen konnten, im Tal der Ahnungslosen. Keine Ahnung? Das ist bei ihr der Normalzustand.
Sie kann also wirklich nicht behaupten, dass es mit steigendem Lebensalter besser geworden ist. Klar, sie kannte damals alle einschlägige und angesagte Musik bis zum Alter von vierundzwanzig oder auch fünfundzwanzig, wusste zum Zeitpunkt ihres Uniabschlusses so ziemlich alles über ihr, zugegebenermaßen sehr exotisches Forschungsthema, und wurde eine Zeitlang danach auch immer wieder gerne auf Fortbildungen und Kongressen als Spezialistin dazu eingeladen und herumgereicht. Ach, sie sind die Frau mit den … Dass das später Alleinstellungsmerkmal heißen würde, wusste sie damals noch nicht. Und auch nicht, dass sie zu diesem Zeitpunkt auf ihrem persönlichen Olymp der Wissenden gewesen ist.
Doch was gemacht daraus hat sie nicht, zumindest nicht im klassischen Sinne. Denn ihre Neugier hat sie bald wieder in neue Gefilde getrieben und in einen anderen Beruf und nach einigen Jahren in den nächsten, und jedes Mal wieder hat es geheißen, gefühlt bei Null anzufangen. Neuanfang und erstmal keine Ahnung zu haben gehören für sie genauso zusammen wie Ahnung zu haben und irgendeine Form von Dauer an den Tag zu legen, zum Beispiel Wohnort und Job nicht zu wechseln, Lebenspartner und Hobbys am besten auch nicht.
Doch irgendwie hat sie die Neugier immer mehr gereizt als der Zustand Ahnung zu haben. Menschen mit viel Wissen haben sie von jeher nur dann nicht abgeschreckt, wenn sie es charmant haben vermitteln können. Am meisten hat sie deshalb Respekt vor schlauen Menschen, die sich in jede noch so fremde Materie einlesen und von den richtigen Menschen beraten lassen können, um es dann in ihrer Sprache verständlich zu vermitteln.
Nie müde werden, viele Fragen zu stellen. Das gefällt ihr. Keine Ahnung? Spielt dann absolut keine Rolle mehr oder nur noch als immer noch üblicher Spruch von ihren Kindern, die partout nicht über dies oder jenes reden wollen.
Texte zum Alltäglichen -
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Keine Ahnung
RAU
Dieses Gefühl beschleicht sie ihr halbes Leben. Schon als Kind hat sie das Meiste nicht verstanden, von dem die Erwachsenen so oft und gerne geredet haben, Mieterhöhung, Lebensversicherung, Scheidung, Grundstückspreise, Inflation, Wachstum, Konkurs, Rendite. Und hat auch oft nicht verstanden, von dem in der Schule gesprochen wurde, Binomische Formeln, Peer und Ohm, Photosynthese oder die Geburt von Jesus. Eine Jungfrau bekommt ein Kind? Also blieb ihr nichts als Fragen zu stellen und damit hat sie sicherlich die Anderen oft genervt.
Heute fragt sie immer noch. Während eines Gespräches mit ihrer großen Tochter über ihren Job bei bald jedem dritten Wort danach, was es auf deutsch bedeutet. Oder danach, was Bitcoins und Halbleiter sind und wie Künstliche Intelligenz, Gaspipelines und digitale Überwachung wirklich funktionieren. Ihre Frageliste ist nicht kürzer geworden. Irgendwie lebt sie die meiste Zeit ihres Lebens wie früher die Sachsen in der DDR, die kein Westfernsehen empfangen konnten, im Tal der Ahnungslosen. Keine Ahnung? Das ist bei ihr der Normalzustand.
Sie kann also wirklich nicht behaupten, dass es mit steigendem Lebensalter besser geworden ist. Klar, sie kannte damals alle einschlägige und angesagte Musik bis zum Alter von vierundzwanzig oder auch fünfundzwanzig, wusste zum Zeitpunkt ihres Uniabschlusses so ziemlich alles über ihr, zugegebenermaßen sehr exotisches Forschungsthema, und wurde eine Zeitlang danach auch immer wieder gerne auf Fortbildungen und Kongressen als Spezialistin dazu eingeladen und herumgereicht. Ach, sie sind die Frau mit den … Dass das später Alleinstellungsmerkmal heißen würde, wusste sie damals noch nicht. Und auch nicht, dass sie zu diesem Zeitpunkt auf ihrem persönlichen Olymp der Wissenden gewesen ist.
Doch was gemacht daraus hat sie nicht, zumindest nicht im klassischen Sinne. Denn ihre Neugier hat sie bald wieder in neue Gefilde getrieben und in einen anderen Beruf und nach einigen Jahren in den nächsten, und jedes Mal wieder hat es geheißen, gefühlt bei Null anzufangen. Neuanfang und erstmal keine Ahnung zu haben gehören für sie genauso zusammen wie Ahnung zu haben und irgendeine Form von Dauer an den Tag zu legen, zum Beispiel Wohnort und Job nicht zu wechseln, Lebenspartner und Hobbys am besten auch nicht.
Doch irgendwie hat sie die Neugier immer mehr gereizt als der Zustand Ahnung zu haben. Menschen mit viel Wissen haben sie von jeher nur dann nicht abgeschreckt, wenn sie es charmant haben vermitteln können. Am meisten hat sie deshalb Respekt vor schlauen Menschen, die sich in jede noch so fremde Materie einlesen und von den richtigen Menschen beraten lassen können, um es dann in ihrer Sprache verständlich zu vermitteln.
Nie müde werden, viele Fragen zu stellen. Das gefällt ihr. Keine Ahnung? Spielt dann absolut keine Rolle mehr oder nur noch als immer noch üblicher Spruch von ihren Kindern, die partout nicht über dies oder jenes reden wollen.