Texte zum Alltäglichen -
der wöchentliche Schreibblog
Kein Drama
WIE
„Einen Lappen, schnell einen Lappen“, hört er aus dem Hausflur.
„Wenn die anderen Kleinen jetzt auch noch über fünf Prozent kommen, na dann aber gute Nacht Marie“, ruft eine helle Stimme aus dem Wohnzimmer.
„Wer hat die Eieruhr für die Lasagne gesehen!“, ruft es aus der Küche.
Ist doch schön, wenn mal wieder so richtig Leben in der Bude ist, denkt er. Tochter, Schwiegersohn, die beiden Enkel zu Besuch und das alles am historischen Wahlabend. Er ist gerade auf dem Weg in den Keller, um erst mal eine gute Flasche Rotwein zu holen. Wie früher, da haben sie auch immer die ersten Hochrechnungen begossen, egal ob aus Freude über Willi Brandt oder aus Frust über Helmut Kohl.
Heute ist es anders, die Tochter sitzt mit dem Laptop auf den Knien und Kopfhörern auf den Ohren vor dem laufenden Fernseher. Ihr reicht es nicht, nur einen Sender zu verfolgen, sie switcht zusätzlich noch zwischen weiteren Sendern, Tweets und Hochrechnungen hin und her, denn wo ihre heiß geliebten Grünen nach der Wahl sein werden, steht noch nicht fest. Ihre beiden Jungs toben sich derweil im Hausflur aus, sie spielen Wahlkampf oder so etwas Ähnliches. Und dabei ist gleich eine große Bodenvase Vase mit Wasser umgestürzt, und jetzt stehen sie ratlos neben ihrer Oma, die versucht, die riesige Wasserlache einzudämmen. „Kinder, das ist ein Laminatboden, der saugt sich voll wie ein Schwamm“, stöhnt sie leise.
In der Küche ist der Schwiegersohn dabei, die die heiße Lasagneform im Backofen zu drehen und ruft ins Wohnzimmer: „Kerstin, kannst du bitte noch mal nachschauen, wie lange eine Lasagne bei Umluft braucht?“ Sein Versuch, das Rezept auf dem iPad mit Küchenhandschuhen zu finden, ist nämlich gescheitert.
„Lass einfach drin, bis sie oben schön braun ist“, lautet die Antwort aus dem Wohnzimmer. Denn Kerstin folgt gerade der Diskussion im Zweiten, ob bei einer Dreierkoalition die Gefahr, dass die Braunen das nächste Mal dran kommen, größer ist als bei einer Zweierkoalition.
„Wie steht´s denn?“, versucht der Schwiegersohn aus der Küche zu erfahren.
„Torsten, das ist nicht die Champions-League, es geht um die Zukunft Deutschlands, um Europa, um Krieg und Frieden.“
„Soll ich gleich schon mal servieren, oder willst du das Ergebnis abwarten.“
„Das wirkliche Endergebnis kommt erst morgen früh.“
„Dann können wir doch gleich essen.“
„Aber nur wenn ich die Kopfhörer auflassen darf.“
„Das musst du dann aber den Kindern erklären.“
„Es handelt sich doch um eine Jahrhundertwahl.“
Mittlerweile ist er mit drei Flaschen Rotwein aus dem Keller zurückgekehrt.
„Jetzt schleppst du deine Rotweinvorräte an, während deine heiß geliebte SPD den Bach runtergeht“, empfängt ihn seine Tochter im Wohnzimmer.
„So, diese Flaschen stehen zur Wahl, die müssen wir aber nicht alle trinken.“
Eine halbe Stunde später sitzen alle vereint am Tisch. Die Lasagneform steht in der Mitte.
„Tut mir leid, ist leider doch etwas schwarz geworden, braun wäre mir lieber.“
„Heute Abend nehmen wir auch Schwarz in Kauf“, beschwichtigt er seinen Schwiegersohn und stellt eine bereits angebrochene Flasche auf den Tisch. Die Wahl des Rotweins hat er vorsichtshalber vorweg alleine entschieden. „Dann mal Prost ihr Lieben, ist doch wirklich alles kein Drama.“
Texte zum Alltäglichen -
der wöchentliche Schreibblog
Kein Drama
WIE
„Einen Lappen, schnell einen Lappen“, hört er aus dem Hausflur.
„Wenn die anderen Kleinen jetzt auch noch über fünf Prozent kommen, na dann aber gute Nacht Marie“, ruft eine helle Stimme aus dem Wohnzimmer.
„Wer hat die Eieruhr für die Lasagne gesehen!“, ruft es aus der Küche.
Ist doch schön, wenn mal wieder so richtig Leben in der Bude ist, denkt er. Tochter, Schwiegersohn, die beiden Enkel zu Besuch und das alles am historischen Wahlabend. Er ist gerade auf dem Weg in den Keller, um erst mal eine gute Flasche Rotwein zu holen. Wie früher, da haben sie auch immer die ersten Hochrechnungen begossen, egal ob aus Freude über Willi Brandt oder aus Frust über Helmut Kohl.
Heute ist es anders, die Tochter sitzt mit dem Laptop auf den Knien und Kopfhörern auf den Ohren vor dem laufenden Fernseher. Ihr reicht es nicht, nur einen Sender zu verfolgen, sie switcht zusätzlich noch zwischen weiteren Sendern, Tweets und Hochrechnungen hin und her, denn wo ihre heiß geliebten Grünen nach der Wahl sein werden, steht noch nicht fest. Ihre beiden Jungs toben sich derweil im Hausflur aus, sie spielen Wahlkampf oder so etwas Ähnliches. Und dabei ist gleich eine große Bodenvase Vase mit Wasser umgestürzt, und jetzt stehen sie ratlos neben ihrer Oma, die versucht, die riesige Wasserlache einzudämmen. „Kinder, das ist ein Laminatboden, der saugt sich voll wie ein Schwamm“, stöhnt sie leise.
In der Küche ist der Schwiegersohn dabei, die die heiße Lasagneform im Backofen zu drehen und ruft ins Wohnzimmer: „Kerstin, kannst du bitte noch mal nachschauen, wie lange eine Lasagne bei Umluft braucht?“ Sein Versuch, das Rezept auf dem iPad mit Küchenhandschuhen zu finden, ist nämlich gescheitert.
„Lass einfach drin, bis sie oben schön braun ist“, lautet die Antwort aus dem Wohnzimmer. Denn Kerstin folgt gerade der Diskussion im Zweiten, ob bei einer Dreierkoalition die Gefahr, dass die Braunen das nächste Mal dran kommen, größer ist als bei einer Zweierkoalition.
„Wie steht´s denn?“, versucht der Schwiegersohn aus der Küche zu erfahren.
„Torsten, das ist nicht die Champions-League, es geht um die Zukunft Deutschlands, um Europa, um Krieg und Frieden.“
„Soll ich gleich schon mal servieren, oder willst du das Ergebnis abwarten.“
„Das wirkliche Endergebnis kommt erst morgen früh.“
„Dann können wir doch gleich essen.“
„Aber nur wenn ich die Kopfhörer auflassen darf.“
„Das musst du dann aber den Kindern erklären.“
„Es handelt sich doch um eine Jahrhundertwahl.“
Mittlerweile ist er mit drei Flaschen Rotwein aus dem Keller zurückgekehrt.
„Jetzt schleppst du deine Rotweinvorräte an, während deine heiß geliebte SPD den Bach runtergeht“, empfängt ihn seine Tochter im Wohnzimmer.
„So, diese Flaschen stehen zur Wahl, die müssen wir aber nicht alle trinken.“
Eine halbe Stunde später sitzen alle vereint am Tisch. Die Lasagneform steht in der Mitte.
„Tut mir leid, ist leider doch etwas schwarz geworden, braun wäre mir lieber.“
„Heute Abend nehmen wir auch Schwarz in Kauf“, beschwichtigt er seinen Schwiegersohn und stellt eine bereits angebrochene Flasche auf den Tisch. Die Wahl des Rotweins hat er vorsichtshalber vorweg alleine entschieden. „Dann mal Prost ihr Lieben, ist doch wirklich alles kein Drama.“