Texte zum Alltäglichen -
der wöchentliche Schreibblog
Kehrseite
RAU
„Das wundert mich schon, dass du dieses altmodische Wort benutzt,“, sagt Konrad.
Doch Cara sieht ihn nur gelangweilt an, als wäre sie jetzt schon von ihm genervt. Nach nicht einmal einer Viertelstunde, die sie im Café ihrer Wahl sitzen.
Alles Bio und Vegan, also hat er nur einen schwarzen Kaffee bestellt, seine Tochter nippt an ihrem Cappuccino mit Hafermilch und zupft kleine Bröckchen von ihrem Dinkelcroissant ab, alles zusammen hat immerhin zwölf Euro gekostet, die er zwar bezahlt hat, aber irgendwie etwas widerwillig. Er ist auch der einzige gewesen, der noch mit Bargeld hantiert hat, vor und hinter ihm hat es nur mittels Karten oder Uhren gepiepst. Die neue Zeit eben, denkt er, und der Laden ist proppenvoll, sie haben über fünf Minuten warten müssen, bis sie endlich einen unbequemen Platz an einem Stehtisch ergattern haben mit Blick auf den Fluss. Immerhin das, auch mal wieder schön, den großen Strom zu sehen und im Hintergrund die hohen Krananlagen des Hafens. Viel zu selten ist er hier, denkt er und nimmt einen Schluck vom Kaffee, der ziemlich gut schmeckt.
Das Gespräch mit Cara ist wieder einmal mehr als mühsam, entweder starrt sie in den letzten Wochen und Monaten ins Leere und schweigt oder textet ihn zu wie gerade eben. Dass es schon weit nach zwölf sei, und nur eine globale und konsequente Veränderung noch den Untergang stoppen könnte.
Seine Jüngste, die lange gegenüber den beiden Älteren oft keinen Stich bekommen hat, ist jetzt die Politischste von den Dreien. Klebt sich bald jeden Tag auf Straßen fest oder demonstriert und hat ihr Studium erst einmal pausiert, wie sie sagt. Das, was sie jetzt tut, sei wichtiger. Irgendwie gibt er ihr ganz tief in seinem Innersten ja sogar Recht, aber sagt es nicht. Denn natürlich macht er sich Sorgen um sie, das zarte Geschöpf, mit dem er, wenn er ehrlich ist, immer am besten ausgekommen ist von seinen drei Kindern. Anna, die Älteste, ist nach wie vor die Überfliegerin, der alles mühelos gelingt und die nie Kummer bereitet hat. Während Felix ihn als Sohn irgendwie immer enttäuscht. Offen würde er das natürlich niemals zugeben, auch seiner Frau gegenüber nicht, aber wenn er ehrlich ist, muss er es einfach so sagen. Zu weich, zu grüblerisch, zu wenig klar ist er ihm, einfach insgesamt zu wenig ein junger Mann, wie er ihn gerne hätte. Nämlich mutig und kämpferisch, der sich kein X für ein U vormachen lässt und seinen Platz in der Gesellschaft mühelos findet. So wie Anna es gemacht hat, und so es wie Cara gerade auch macht, nur leider in einer gefährlichen Richtung.
„Die Klimakatastrophen werden zunehmen und die sozialen sowie wirtschaftliche Auswirkungen werden verheerend sein, wir müssen dem Kapitalismus endlich etwas entgegensetzen“, sagt sie nun mit einer Ernsthaftigkeit und Eindringlichkeit, die er gar nicht an ihr kennt. „Denn die Kehrseite der Gewinnmaximierung sind Armut, Hunger und Naturkatastrophen überall auf dem Planeten.“
„Da magst du ja Recht haben, aber geht es nicht etwas weniger radikal? Ich habe einfach Angst um dich, dass du angeklagt und verurteilst wirst, dein Studium nicht abschließen kannst und Dir Deine Zukunft verbaust.“
„Wenn wir das jetzt nicht durchziehen, habe ich keine Zukunft mehr, Papa“, sagt sie mit voller Stimme und sieht ihm zum ersten Mal an diesem Nachmittag direkt in die Augen, „und Kehrseite ist übrigens kein altmodisches Wort, sondern hochaktuell. Rück- oder Schattenseite wäre viel zu harmlos.“
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Kehrseite
RAU
„Das wundert mich schon, dass du dieses altmodische Wort benutzt,“, sagt Konrad.
Doch Cara sieht ihn nur gelangweilt an, als wäre sie jetzt schon von ihm genervt. Nach nicht einmal einer Viertelstunde, die sie im Café ihrer Wahl sitzen.
Alles Bio und Vegan, also hat er nur einen schwarzen Kaffee bestellt, seine Tochter nippt an ihrem Cappuccino mit Hafermilch und zupft kleine Bröckchen von ihrem Dinkelcroissant ab, alles zusammen hat immerhin zwölf Euro gekostet, die er zwar bezahlt hat, aber irgendwie etwas widerwillig. Er ist auch der einzige gewesen, der noch mit Bargeld hantiert hat, vor und hinter ihm hat es nur mittels Karten oder Uhren gepiepst. Die neue Zeit eben, denkt er, und der Laden ist proppenvoll, sie haben über fünf Minuten warten müssen, bis sie endlich einen unbequemen Platz an einem Stehtisch ergattern haben mit Blick auf den Fluss. Immerhin das, auch mal wieder schön, den großen Strom zu sehen und im Hintergrund die hohen Krananlagen des Hafens. Viel zu selten ist er hier, denkt er und nimmt einen Schluck vom Kaffee, der ziemlich gut schmeckt.
Das Gespräch mit Cara ist wieder einmal mehr als mühsam, entweder starrt sie in den letzten Wochen und Monaten ins Leere und schweigt oder textet ihn zu wie gerade eben. Dass es schon weit nach zwölf sei, und nur eine globale und konsequente Veränderung noch den Untergang stoppen könnte.
Seine Jüngste, die lange gegenüber den beiden Älteren oft keinen Stich bekommen hat, ist jetzt die Politischste von den Dreien. Klebt sich bald jeden Tag auf Straßen fest oder demonstriert und hat ihr Studium erst einmal pausiert, wie sie sagt. Das, was sie jetzt tut, sei wichtiger. Irgendwie gibt er ihr ganz tief in seinem Innersten ja sogar Recht, aber sagt es nicht. Denn natürlich macht er sich Sorgen um sie, das zarte Geschöpf, mit dem er, wenn er ehrlich ist, immer am besten ausgekommen ist von seinen drei Kindern. Anna, die Älteste, ist nach wie vor die Überfliegerin, der alles mühelos gelingt und die nie Kummer bereitet hat. Während Felix ihn als Sohn irgendwie immer enttäuscht. Offen würde er das natürlich niemals zugeben, auch seiner Frau gegenüber nicht, aber wenn er ehrlich ist, muss er es einfach so sagen. Zu weich, zu grüblerisch, zu wenig klar ist er ihm, einfach insgesamt zu wenig ein junger Mann, wie er ihn gerne hätte. Nämlich mutig und kämpferisch, der sich kein X für ein U vormachen lässt und seinen Platz in der Gesellschaft mühelos findet. So wie Anna es gemacht hat, und so es wie Cara gerade auch macht, nur leider in einer gefährlichen Richtung.
„Die Klimakatastrophen werden zunehmen und die sozialen sowie wirtschaftliche Auswirkungen werden verheerend sein, wir müssen dem Kapitalismus endlich etwas entgegensetzen“, sagt sie nun mit einer Ernsthaftigkeit und Eindringlichkeit, die er gar nicht an ihr kennt. „Denn die Kehrseite der Gewinnmaximierung sind Armut, Hunger und Naturkatastrophen überall auf dem Planeten.“
„Da magst du ja Recht haben, aber geht es nicht etwas weniger radikal? Ich habe einfach Angst um dich, dass du angeklagt und verurteilst wirst, dein Studium nicht abschließen kannst und Dir Deine Zukunft verbaust.“
„Wenn wir das jetzt nicht durchziehen, habe ich keine Zukunft mehr, Papa“, sagt sie mit voller Stimme und sieht ihm zum ersten Mal an diesem Nachmittag direkt in die Augen, „und Kehrseite ist übrigens kein altmodisches Wort, sondern hochaktuell. Rück- oder Schattenseite wäre viel zu harmlos.“