Texte zum Alltäglichen -
der wöchentliche Schreibblog
Kehrseite
WIE
Heute finde ich immer noch Kehrseiten wichtig. Besonders wenn ich auf Reisen bin. Einen guten, ersten Eindruck einer Gegend und einer Stadt bekommt man, wenn der Zug langsam in den Bahnhof einfährt, wenn die Schienen an den Rückseiten der Häuser entlang führen und man in die Hinterhöfe und auf kleine Balkone, schauen kann. In die Hinterhöfe, die Rückseiten, in denen alles mehr oder weniger sich selber überlassen wird, Abstellraum, unverputzt. Provisorisch reparierte Wände und Mauern, eine Mischung aus farblosem Beton oder grell buntem Graffiti.
Das wahre Leben spielt sich auf der Kehrseite ab, denke ich. Vorne sind schönen Fassaden, Geschäftseingänge mit Werbeschildern und frisch renovierten Verzierungen. Auf den Rückseiten hast du Einblick hinter die Bühne. Hier siehst du Menschen neben Containern und Flaschenkästen stehen, wie sie sich unterhalten, rauchen, pausieren. Hier wird abgestellt, zwischengelagert, vielleicht geheimnisvoll verhandelt oder gar gedealt. Eine Mischung aus flüsternden oder schreienden Stimmen, Lachen und Schimpfen, Feierlichkeiten oder Streitigkeiten. Genügend Leben, um es in Theaterstücken und Filmen eindrücklich zu inszenieren, wenn Requisiteure und Bühnenbildern gute Arbeit leisten.
Genauso wie in vielen Bistros, Geschäften und Boutiquen der große Stadt Dekorateure gute Arbeit leisten, wenn sie die Kehrseiten von Draußen nach Innen holen und zur Vorderseite machen: roher Putz, ohne Anstrich, ohne Tapete, dunkel oder schwarz, dafür mir Graffiti und anderen Insignien verziert, silbernen Lüftungs- und Kabelschächte, unverkleidet. Als Geschäfts- oder Lokaleinrichtung dienen Holzpaletten, Metallcontainer, Mülltonnen, die sind allerdings neu, glänzend und sauber. All das dient als Aufbewahrungsort für Klamotten, Schuhe oder andere Verkaufsutensilien.
Überall wird mit der der Schönheit der Kehrseiten gespielt. Die Jeans sind mit Rissen und Löchern versehen, die Aufdrucke der Sweatshirts sind abbröckelnd im Vintage Look gehalten, Schuhe sehen aus, als kämen sie von Baustellen oder Fabrikhallen, wenn man sie neu kauft.
Kehrseiten sind mittlerweile in der Warenwelt Gold wert, denke ich. Wir begeben uns gerne dort hin, übernehmen etwas von der Atmosphäre, wie wir sie dort vermuten. Herb, rau, aber ehrlich und authentisch. Auch wenn alles nur aufgemalt und nachträglich angebracht wurde. Es ist kaum von den echten Kehrseiten zu unterscheiden. So lässt sich auch etwas Londoner, New Yorker Berliner Kehrseiten-Atmosphäre nach Köln und Bonn tragen, um dort einen überteuerten Latte Macchiato mit dem neuesten iphone in der Hand zu verzehren.
Ich weiß allerdings nicht, ob sich meine Oma von so etwas hätte hinters Licht führen lassen.
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Kehrseite
WIE
Heute finde ich immer noch Kehrseiten wichtig. Besonders wenn ich auf Reisen bin. Einen guten, ersten Eindruck einer Gegend und einer Stadt bekommt man, wenn der Zug langsam in den Bahnhof einfährt, wenn die Schienen an den Rückseiten der Häuser entlang führen und man in die Hinterhöfe und auf kleine Balkone, schauen kann. In die Hinterhöfe, die Rückseiten, in denen alles mehr oder weniger sich selber überlassen wird, Abstellraum, unverputzt. Provisorisch reparierte Wände und Mauern, eine Mischung aus farblosem Beton oder grell buntem Graffiti.
Das wahre Leben spielt sich auf der Kehrseite ab, denke ich. Vorne sind schönen Fassaden, Geschäftseingänge mit Werbeschildern und frisch renovierten Verzierungen. Auf den Rückseiten hast du Einblick hinter die Bühne. Hier siehst du Menschen neben Containern und Flaschenkästen stehen, wie sie sich unterhalten, rauchen, pausieren. Hier wird abgestellt, zwischengelagert, vielleicht geheimnisvoll verhandelt oder gar gedealt. Eine Mischung aus flüsternden oder schreienden Stimmen, Lachen und Schimpfen, Feierlichkeiten oder Streitigkeiten. Genügend Leben, um es in Theaterstücken und Filmen eindrücklich zu inszenieren, wenn Requisiteure und Bühnenbildern gute Arbeit leisten.
Genauso wie in vielen Bistros, Geschäften und Boutiquen der große Stadt Dekorateure gute Arbeit leisten, wenn sie die Kehrseiten von Draußen nach Innen holen und zur Vorderseite machen: roher Putz, ohne Anstrich, ohne Tapete, dunkel oder schwarz, dafür mir Graffiti und anderen Insignien verziert, silbernen Lüftungs- und Kabelschächte, unverkleidet. Als Geschäfts- oder Lokaleinrichtung dienen Holzpaletten, Metallcontainer, Mülltonnen, die sind allerdings neu, glänzend und sauber. All das dient als Aufbewahrungsort für Klamotten, Schuhe oder andere Verkaufsutensilien.
Überall wird mit der der Schönheit der Kehrseiten gespielt. Die Jeans sind mit Rissen und Löchern versehen, die Aufdrucke der Sweatshirts sind abbröckelnd im Vintage Look gehalten, Schuhe sehen aus, als kämen sie von Baustellen oder Fabrikhallen, wenn man sie neu kauft.
Kehrseiten sind mittlerweile in der Warenwelt Gold wert, denke ich. Wir begeben uns gerne dort hin, übernehmen etwas von der Atmosphäre, wie wir sie dort vermuten. Herb, rau, aber ehrlich und authentisch. Auch wenn alles nur aufgemalt und nachträglich angebracht wurde. Es ist kaum von den echten Kehrseiten zu unterscheiden. So lässt sich auch etwas Londoner, New Yorker Berliner Kehrseiten-Atmosphäre nach Köln und Bonn tragen, um dort einen überteuerten Latte Macchiato mit dem neuesten iphone in der Hand zu verzehren.
Ich weiß allerdings nicht, ob sich meine Oma von so etwas hätte hinters Licht führen lassen.