Texte zum Alltäglichen -
der wöchentliche Schreibblog
Kann später werden
RAU
Auf jeden Fall muss ich heute pünktlich sein, denkt er während des Telefonats, denn ihr Leben ist getaktet, als wäre sie eine Managerin. Dabei ist Clara gerade erst neunzehn geworden und schon etwas länger in einer nicht ganz einfachen Lage. Irgendwie labil oder feinstofflich, so erklärt er es sich, und irgendwie zu weich für diese Welt. Niemand in der Familie ist so wie sie, so zerbrechlich, niemand hinterfragt so viel, niemand hat so einen glasklaren Blick auf die aktuellen Umstände und niemand mischt sich so viel ein.
„Wo möchtest Du hin?“, unterbricht er sie, weil er sich kaum konzentrieren kann, während sie von ihren jüngsten Aktionen erzählt. Vielleicht will er es auch nicht so genau wissen. Seit Wochen schon klebt sie sich mit den anderen auf Straßen fest und findet das voll in Ordnung. Das ist ihr Leben, zu dem er nichts wirklich sagt. Natürlich hat er Angst um sie und macht sich seine Gedanken, wohin das alles führen mag, gesagt hat er es ihr noch nie, vielleicht macht er heute Abend mal einen Versuch.
Ihre Jüngste, die nach niemandem aus der Familie kommt. Ein Unikat, ihr Sonnenschein, sein Juwel. Wären da nicht ihre Zwänge, ihr Wunsch nach Ordnung und Struktur gepaart mit strengem Minimalismus auf ganzer Linie. Kleidung, Wohnung und Essen. Mager würde er sie bezeichnen und lädt sie zum Essen ein, wann immer sie es einrichten kann. So auch heute, um 19 Uhr beim Koreaner, das wünscht sie sich. Isst kein Fleisch und am liebsten vegan, nimmt auch keinen Alkohol und keine Zigaretten oder Drogen. Erlebt vielleicht auch keine Liebe? Schon lange wagt er nicht mehr, sie danach zu fragen. Ob Mann oder Frau oder beides, es wäre ihm egal. Hauptsache, sie müsste nicht mehr alleine durchs Leben gehen, seine Kleine.
„Ich freue mich auf später“, unterbricht sie plötzlich seine Gedanken, „und es kann ruhig später werden, ich weiß ja, wie schwierig es für dich ist, pünktlich zu sein. Ich habe ja immer was zu lesen dabei, bis später dann, Papa.“
Texte zum Alltäglichen -
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Kann später werden
RAU
Auf jeden Fall muss ich heute pünktlich sein, denkt er während des Telefonats, denn ihr Leben ist getaktet, als wäre sie eine Managerin. Dabei ist Clara gerade erst neunzehn geworden und schon etwas länger in einer nicht ganz einfachen Lage. Irgendwie labil oder feinstofflich, so erklärt er es sich, und irgendwie zu weich für diese Welt. Niemand in der Familie ist so wie sie, so zerbrechlich, niemand hinterfragt so viel, niemand hat so einen glasklaren Blick auf die aktuellen Umstände und niemand mischt sich so viel ein.
„Wo möchtest Du hin?“, unterbricht er sie, weil er sich kaum konzentrieren kann, während sie von ihren jüngsten Aktionen erzählt. Vielleicht will er es auch nicht so genau wissen. Seit Wochen schon klebt sie sich mit den anderen auf Straßen fest und findet das voll in Ordnung. Das ist ihr Leben, zu dem er nichts wirklich sagt. Natürlich hat er Angst um sie und macht sich seine Gedanken, wohin das alles führen mag, gesagt hat er es ihr noch nie, vielleicht macht er heute Abend mal einen Versuch.
Ihre Jüngste, die nach niemandem aus der Familie kommt. Ein Unikat, ihr Sonnenschein, sein Juwel. Wären da nicht ihre Zwänge, ihr Wunsch nach Ordnung und Struktur gepaart mit strengem Minimalismus auf ganzer Linie. Kleidung, Wohnung und Essen. Mager würde er sie bezeichnen und lädt sie zum Essen ein, wann immer sie es einrichten kann. So auch heute, um 19 Uhr beim Koreaner, das wünscht sie sich. Isst kein Fleisch und am liebsten vegan, nimmt auch keinen Alkohol und keine Zigaretten oder Drogen. Erlebt vielleicht auch keine Liebe? Schon lange wagt er nicht mehr, sie danach zu fragen. Ob Mann oder Frau oder beides, es wäre ihm egal. Hauptsache, sie müsste nicht mehr alleine durchs Leben gehen, seine Kleine.
„Ich freue mich auf später“, unterbricht sie plötzlich seine Gedanken, „und es kann ruhig später werden, ich weiß ja, wie schwierig es für dich ist, pünktlich zu sein. Ich habe ja immer was zu lesen dabei, bis später dann, Papa.“