Texte zum Alltäglichen -
der wöchentliche Schreibblog
Kann ich dich mal was fragen?
RAU
So hat die Lesung angefangen. Die Frau im Buch hat den Mann aus der Nachbarschaft ziemlich schnell gefragt, nachdem er sie reingebeten hat. Hat ihm von ihrer Einsamkeit erzählt und von ihren Dämonen in der Nacht und ihn dann ziemlich direkt gefragt, ob er nachts bei ihr schlafen könnte.
Nachdenklich tritt Charlotte eineinhalb Stunden später aus dem großen Saal in die kalte Nacht, wie Konrad die Geschichte wohl gefallen hätte? Vielleicht würde ihn später auch eine entfernte Nachbarin oder Freundin so fragen, wenn sie nicht mehr wäre. Aber würde sie sich selber das auch trauen?
Egal, ob sie sich jetzt trennen oder später oder doch zusammenbleiben, und Konrad eines Tages vor ihr stürbe, würde sie den Mut dieser Frau im Buch haben, jemandem diese Frage zu stellen? Geht in Gedanken mögliche Kandidaten in der Nachbarschaft durch und dann im Freundes- und Bekanntenkreis, drei fallen ihr ein, bei denen sie sich es vorstellen könnte. Könntest Du nachts bei mir schlafen?
Wie bei der Lesung käme sicherlich erst einmal ein Schweigen auf der anderen Seite, und sie würde wie die Frau sagen, ohne Sex natürlich, wenn du daran gedacht hast. Und die Männer, die sie im Kopf hat, würden vielleicht auch wie der Mann im Buch antworten, daran habe ich wirklich gedacht, ob du das auch meinst, Sex.
Die Geschichte hatte danach viele unglaublich schöne, berührende Momente und ging leider nicht ganz so gut aus, denn die Interessen, Widerstände und Einmischungen der jeweils erwachsenen Kinder der beiden zeigten bald ihre Wirkungen. Aber die beiden hielten weiterhin Kontakt, der durchaus hoffen ließ, und so konnte Charlotte doch einigermaßen tröstlich die Lesung verlassen.
Auf dem Heimweg nimmt sie sich Zeit, fährt mit dem Rad langsam durch die leeren Straßen, während die Geschichte der beiden sie nicht loslässt. Ganz tief in ihrem Innersten klopft da nicht auch diese Angst vor der Nacht? Den Rest ihres Lebens Nacht für Nacht alleine liegen zu müssen und neben sich niemanden atmen zu hören, keine andere Haut und Wärme zu spüren und kein noch so kurzes Gespräch vor dem Einschlafen zu führen? In den letzten Wochen hat sie manchmal daran gedacht, wie es nachts wäre ohne Konrad. Wie sie ohne ihn den nächtlichen Dämonen begegnen und mit dem Alleinliegen fertig werden würde. Ob sie Konrad vor allem nachts braucht? So ein Unsinn, denkt sie, siebenundzwanzig Jahr Ehe sind eben ein ständiges Auf und Ab, und gerade ist es eben mal wieder ein ziemlich langes und ungemütliches Ab. Und keine Lösung in Sicht.
Sie schließt ihr Rad ab und sieht an der Hausfassade hoch, alle Fenster ihrer Wohnung sind dunkel, Konrad ist also noch nicht zuhause. Seltsam, ausgerechnet an diesem Abend nach dieser Lesung, wo er sonst abends immer zu Hause ist. Kann ich ja schon mal üben, denkt sie und schließt die Haustür auf. Den Mut der Frau aus dem Buch wird sie auf jeden Fall so schnell nicht vergessen. Sich zu trauen von einer Schwäche zu erzählen, eine Tür aufzumachen und dahinter wieder eine volle Kanne Leben zu erleben, genau das ist es doch.
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Kann ich dich mal was fragen?
RAU
So hat die Lesung angefangen. Die Frau im Buch hat den Mann aus der Nachbarschaft ziemlich schnell gefragt, nachdem er sie reingebeten hat. Hat ihm von ihrer Einsamkeit erzählt und von ihren Dämonen in der Nacht und ihn dann ziemlich direkt gefragt, ob er nachts bei ihr schlafen könnte.
Nachdenklich tritt Charlotte eineinhalb Stunden später aus dem großen Saal in die kalte Nacht, wie Konrad die Geschichte wohl gefallen hätte? Vielleicht würde ihn später auch eine entfernte Nachbarin oder Freundin so fragen, wenn sie nicht mehr wäre. Aber würde sie sich selber das auch trauen?
Egal, ob sie sich jetzt trennen oder später oder doch zusammenbleiben, und Konrad eines Tages vor ihr stürbe, würde sie den Mut dieser Frau im Buch haben, jemandem diese Frage zu stellen? Geht in Gedanken mögliche Kandidaten in der Nachbarschaft durch und dann im Freundes- und Bekanntenkreis, drei fallen ihr ein, bei denen sie sich es vorstellen könnte. Könntest Du nachts bei mir schlafen?
Wie bei der Lesung käme sicherlich erst einmal ein Schweigen auf der anderen Seite, und sie würde wie die Frau sagen, ohne Sex natürlich, wenn du daran gedacht hast. Und die Männer, die sie im Kopf hat, würden vielleicht auch wie der Mann im Buch antworten, daran habe ich wirklich gedacht, ob du das auch meinst, Sex.
Die Geschichte hatte danach viele unglaublich schöne, berührende Momente und ging leider nicht ganz so gut aus, denn die Interessen, Widerstände und Einmischungen der jeweils erwachsenen Kinder der beiden zeigten bald ihre Wirkungen. Aber die beiden hielten weiterhin Kontakt, der durchaus hoffen ließ, und so konnte Charlotte doch einigermaßen tröstlich die Lesung verlassen.
Auf dem Heimweg nimmt sie sich Zeit, fährt mit dem Rad langsam durch die leeren Straßen, während die Geschichte der beiden sie nicht loslässt. Ganz tief in ihrem Innersten klopft da nicht auch diese Angst vor der Nacht? Den Rest ihres Lebens Nacht für Nacht alleine liegen zu müssen und neben sich niemanden atmen zu hören, keine andere Haut und Wärme zu spüren und kein noch so kurzes Gespräch vor dem Einschlafen zu führen? In den letzten Wochen hat sie manchmal daran gedacht, wie es nachts wäre ohne Konrad. Wie sie ohne ihn den nächtlichen Dämonen begegnen und mit dem Alleinliegen fertig werden würde. Ob sie Konrad vor allem nachts braucht? So ein Unsinn, denkt sie, siebenundzwanzig Jahr Ehe sind eben ein ständiges Auf und Ab, und gerade ist es eben mal wieder ein ziemlich langes und ungemütliches Ab. Und keine Lösung in Sicht.
Sie schließt ihr Rad ab und sieht an der Hausfassade hoch, alle Fenster ihrer Wohnung sind dunkel, Konrad ist also noch nicht zuhause. Seltsam, ausgerechnet an diesem Abend nach dieser Lesung, wo er sonst abends immer zu Hause ist. Kann ich ja schon mal üben, denkt sie und schließt die Haustür auf. Den Mut der Frau aus dem Buch wird sie auf jeden Fall so schnell nicht vergessen. Sich zu trauen von einer Schwäche zu erzählen, eine Tür aufzumachen und dahinter wieder eine volle Kanne Leben zu erleben, genau das ist es doch.