Texte zum Alltäglichen -
der wöchentliche Schreibblog
Jägersauce
RAU
Jäger was???? Jägersauce? Wirklich? Ich glaube es nicht! Also das nenne ich ja mal infam oder nein, einfach nur beleidigend.
Ich hatte von Anfang an so ein komisches Gefühl bei dem Lokal, Gaststätte tritt es wohl eher, aber B., der Nachbar meiner Mutter, brauchte unbedingt eine Stärkung, wie er sagte. Und da er mir den ganzen Vormittag über geholfen hatte mit dem leidigen Ausräumen, willigte ich ein und stapfte hinter ihm in diese ziemlich ramponierte Räumlichkeit zur Mittagszeit. Bis auf einen Tisch waren alle besetzt, Männer jeden Alters und aller Handwerksberufe vor voll beladenen, halb leeren oder leer gekratzten Tellern. B. scheint hier ein und aus zu gehen, nun ja, ihm ist vor ein paar Wochen erst die Frau weggelaufen, ich sage jetzt nichts dazu.
„Auch das Tagesgericht? Gut und günstig.“
„Nee, ist mir zu viel. Lieber eine Suppe.“
„Aber Schnitzel mit Jägersauce ist echt die Wucht.“
Da war es, dieses Wort, dass ich am liebsten gleich wieder rausgegangen und draußen ein paar Schritte hin und her gegangen wäre in diesem elendigen Kaff, in dem ich meine Kindheit verbracht habe. Und nicht die glücklichste, mit einer alleinerziehenden und überforderten Mutter, immer zu wenig Geld, und auch sonst wenig zu Lachen. Strammen Max gab es sonntags als Lichtblick der Woche, ansonsten gerne Tütensuppen und Nudeln mit Saucen aus so kleinen, quadratischen Pappverpackungen von Maggi und Knorr, Tomaten- oder eben Jägersauce. Habe heute noch den Geschmack dieser Scheußlichkeiten auf der Zunge.
Bin, sobald es ging, hier weggegangen und habe es weit gebracht. Lebe in der großen Stadt, habe einen gut dotierten Job, eine tolle Eigentumswohnung, einen entsprechenden Lebensgefährten und seit vorletztem Jahr auch den Jagdschein. Halte mich nun dort auf, von dem ich früher gar nicht wusste, dass es existiert. Wohlstand, Bildung, Einfluss und ja, auch Macht. Fühle mich sehr wohl unter Meinesgleichen. Genieße die frühen Morgenstunden im Wald auf dem Hochsitz mit dem Gewehr in der Hand. Und genieße es noch mehr, wenn ich getroffen habe.
Wickele seit zwei Tagen das Letzte, was hier noch für mich zu tun ist, ohne die geringste Gefühlsregung ab, morgen noch die Beerdigung samt Leichenschmaus, dann war es das für mich mit meiner Vergangenheit. „Wieder lecker, das Schnitzel und die Sauce, Marianne macht das einfach wunderbar. Schade, dass wir morgen nicht hier sind. Aber du wolltest ja lieber Kaffee und Kuchen, auch gut“, B. schiebt sich die letzte vollbeladene Gabel in den Mund.“
Warum eigentlich Jägersauce? Schließlich schießen wir keine Pilze. Gibt eigentlich auch Metzger- oder Bäckersauce? Die Frage liegt mir auf der Zunge, aber ich stelle sie lieber nicht. Morgen nach Kaffee und Kuchen und den Tränen der anderen werde ich mich ins Auto setzen und nie mehr hierherkommen.
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Jägersauce
RAU
Jäger was???? Jägersauce? Wirklich? Ich glaube es nicht! Also das nenne ich ja mal infam oder nein, einfach nur beleidigend.
Ich hatte von Anfang an so ein komisches Gefühl bei dem Lokal, Gaststätte tritt es wohl eher, aber B., der Nachbar meiner Mutter, brauchte unbedingt eine Stärkung, wie er sagte. Und da er mir den ganzen Vormittag über geholfen hatte mit dem leidigen Ausräumen, willigte ich ein und stapfte hinter ihm in diese ziemlich ramponierte Räumlichkeit zur Mittagszeit. Bis auf einen Tisch waren alle besetzt, Männer jeden Alters und aller Handwerksberufe vor voll beladenen, halb leeren oder leer gekratzten Tellern. B. scheint hier ein und aus zu gehen, nun ja, ihm ist vor ein paar Wochen erst die Frau weggelaufen, ich sage jetzt nichts dazu.
„Auch das Tagesgericht? Gut und günstig.“
„Nee, ist mir zu viel. Lieber eine Suppe.“
„Aber Schnitzel mit Jägersauce ist echt die Wucht.“
Da war es, dieses Wort, dass ich am liebsten gleich wieder rausgegangen und draußen ein paar Schritte hin und her gegangen wäre in diesem elendigen Kaff, in dem ich meine Kindheit verbracht habe. Und nicht die glücklichste, mit einer alleinerziehenden und überforderten Mutter, immer zu wenig Geld, und auch sonst wenig zu Lachen. Strammen Max gab es sonntags als Lichtblick der Woche, ansonsten gerne Tütensuppen und Nudeln mit Saucen aus so kleinen, quadratischen Pappverpackungen von Maggi und Knorr, Tomaten- oder eben Jägersauce. Habe heute noch den Geschmack dieser Scheußlichkeiten auf der Zunge.
Bin, sobald es ging, hier weggegangen und habe es weit gebracht. Lebe in der großen Stadt, habe einen gut dotierten Job, eine tolle Eigentumswohnung, einen entsprechenden Lebensgefährten und seit vorletztem Jahr auch den Jagdschein. Halte mich nun dort auf, von dem ich früher gar nicht wusste, dass es existiert. Wohlstand, Bildung, Einfluss und ja, auch Macht. Fühle mich sehr wohl unter Meinesgleichen. Genieße die frühen Morgenstunden im Wald auf dem Hochsitz mit dem Gewehr in der Hand. Und genieße es noch mehr, wenn ich getroffen habe.
Wickele seit zwei Tagen das Letzte, was hier noch für mich zu tun ist, ohne die geringste Gefühlsregung ab, morgen noch die Beerdigung samt Leichenschmaus, dann war es das für mich mit meiner Vergangenheit. „Wieder lecker, das Schnitzel und die Sauce, Marianne macht das einfach wunderbar. Schade, dass wir morgen nicht hier sind. Aber du wolltest ja lieber Kaffee und Kuchen, auch gut“, B. schiebt sich die letzte vollbeladene Gabel in den Mund.“
Warum eigentlich Jägersauce? Schließlich schießen wir keine Pilze. Gibt eigentlich auch Metzger- oder Bäckersauce? Die Frage liegt mir auf der Zunge, aber ich stelle sie lieber nicht. Morgen nach Kaffee und Kuchen und den Tränen der anderen werde ich mich ins Auto setzen und nie mehr hierherkommen.