Texte zum Alltäglichen -
der wöchentliche Schreibblog
Ich will es gar nicht so genau wissen
WIE
Bei einem kurzen Besuch in der Wohnung meines Nachbars sehe ich eine aufgeschlagene Fernsehzeitung auf dem Wohnzimmertisch, dicke Striche eines Kugelschreibers markieren einzelne Sendungen. Wie lange ist es her, dass ich diese Art von Fernsehkonsum mitbekommen habe?
Selbst wenn man sich nur auf die öffentlich-rechtlichen Sender beschränkt, mit den Mediatheken und anderen Online Anbietern stehen so viele Möglichkeiten zur Verfügung. Fein sortiert lässt sich alles überfliegen, zwischen leichter Unterhaltung, Krimi, Thriller und Drama wählen, bei Filmen wie bei Serien. Und dann sind da noch die die unzähligen Dokumentationen und Reportagen, persönliche, dramatische, existentielle, exotische oder auch über seltene Themen und Probleme. Eine ganz besondere Sparte mit Einblicken in das Leben von anderen, von besonderen Menschen, über Menschen, die was anderes machen, was anderes können als man selber.
Mit allem was dazu gehört, das Leben zwischen Haft und Zuhause, das Leben mit drei Dächern oder auch ohne Dach über dem Kopf, das Leben mit einzelnen oder mit mehreren Partnern, Partnerinnen, unterschiedlich, gleichgeschlechtlich oder binär. Das Leben mit allem, was ein menschlicher Körper so haben kann, an Gewohnheiten, Begabungen, Ängsten, Störungen, Krankheiten, persönliche Vorlieben wie Tätowierungen, übermäßige Muskeln, Halluzinationen oder sonstige Operationen.
Wir können am Leben besonderer Menschen mit besonderen Berufen, Neigungen und Hobbys teilnehmen, wir dürfen dabei sein wie am Tag der offenen Tür bei Feuerwehr oder Polizei. Und wir sind dabei, auch wenn es dunkel, gefährlich, illegal oder intim wird. Wir dürfen spinxen und stille Zeugen sein, wenn Stimmverzerrer und Gesichtsmasken den letzten Rest der Privatsphäre verdeckt halten.
Umso mehr macht sich dann aber das Gefühl breit, etwas zu Gesicht zu bekommen, was man sonst niemals zu sehen bekäme. Abgründe und Extreme, hautnah aus der Perspektive versteckter Kameras und Mikrofone, die auch nicht aufhören, wenn Tränen fließen, es laut wird oder zu Handgreiflichkeiten kommt.
Und ich merke, wie ich da einfach mal so reinrutsche und dann doch dranbleibe. Dabei gibt es dafür beim Onlinegucken gar keine Notwendigkeit. Aber selbst beim Zurückschalten gibt es gleich wieder neue Angebote: Weil sie das gesehen haben, interessiert sie vielleicht auch ... noch eine Steigerung zum Vorhergehenden?
Oder reicht es jetzt auch, bevor sich eine gewisse Übelkeit breit macht. Nicht viel anders als beim Vernaschen einer Großpackung süß-salzig Fettigem. Man kann nicht die Finger davonlassen und ist doch schon satt.
Aber dann drängt sich auch noch das Argument auf, man darf nicht einfach wegschauen vor den vielen gesellschaftlich brisanten Themen. Auch wenn es weit entfernt sein sollte, vielleicht gibt es das alles bald auch schon nebenan, gleich hier, schon heute Nacht?
Dann doch besser weiter Schauen als Profilaxe und auf Vorrat, um später Bescheid zu wissen. Aber wo ist da die Grenze? Bis ich mir plötzlich sage: „Ich glaube, ich will es gar nicht so genau wissen.“
Texte zum Alltäglichen -
der wöchentliche Schreibblog
Ich will es gar nicht so genau wissen
WIE
Bei einem kurzen Besuch in der Wohnung meines Nachbars sehe ich eine aufgeschlagene Fernsehzeitung auf dem Wohnzimmertisch, dicke Striche eines Kugelschreibers markieren einzelne Sendungen. Wie lange ist es her, dass ich diese Art von Fernsehkonsum mitbekommen habe?
Selbst wenn man sich nur auf die öffentlich-rechtlichen Sender beschränkt, mit den Mediatheken und anderen Online Anbietern stehen so viele Möglichkeiten zur Verfügung. Fein sortiert lässt sich alles überfliegen, zwischen leichter Unterhaltung, Krimi, Thriller und Drama wählen, bei Filmen wie bei Serien. Und dann sind da noch die die unzähligen Dokumentationen und Reportagen, persönliche, dramatische, existentielle, exotische oder auch über seltene Themen und Probleme. Eine ganz besondere Sparte mit Einblicken in das Leben von anderen, von besonderen Menschen, über Menschen, die was anderes machen, was anderes können als man selber.
Mit allem was dazu gehört, das Leben zwischen Haft und Zuhause, das Leben mit drei Dächern oder auch ohne Dach über dem Kopf, das Leben mit einzelnen oder mit mehreren Partnern, Partnerinnen, unterschiedlich, gleichgeschlechtlich oder binär. Das Leben mit allem, was ein menschlicher Körper so haben kann, an Gewohnheiten, Begabungen, Ängsten, Störungen, Krankheiten, persönliche Vorlieben wie Tätowierungen, übermäßige Muskeln, Halluzinationen oder sonstige Operationen.
Wir können am Leben besonderer Menschen mit besonderen Berufen, Neigungen und Hobbys teilnehmen, wir dürfen dabei sein wie am Tag der offenen Tür bei Feuerwehr oder Polizei. Und wir sind dabei, auch wenn es dunkel, gefährlich, illegal oder intim wird. Wir dürfen spinxen und stille Zeugen sein, wenn Stimmverzerrer und Gesichtsmasken den letzten Rest der Privatsphäre verdeckt halten.
Umso mehr macht sich dann aber das Gefühl breit, etwas zu Gesicht zu bekommen, was man sonst niemals zu sehen bekäme. Abgründe und Extreme, hautnah aus der Perspektive versteckter Kameras und Mikrofone, die auch nicht aufhören, wenn Tränen fließen, es laut wird oder zu Handgreiflichkeiten kommt.
Und ich merke, wie ich da einfach mal so reinrutsche und dann doch dranbleibe. Dabei gibt es dafür beim Onlinegucken gar keine Notwendigkeit. Aber selbst beim Zurückschalten gibt es gleich wieder neue Angebote: Weil sie das gesehen haben, interessiert sie vielleicht auch ... noch eine Steigerung zum Vorhergehenden?
Oder reicht es jetzt auch, bevor sich eine gewisse Übelkeit breit macht. Nicht viel anders als beim Vernaschen einer Großpackung süß-salzig Fettigem. Man kann nicht die Finger davonlassen und ist doch schon satt.
Aber dann drängt sich auch noch das Argument auf, man darf nicht einfach wegschauen vor den vielen gesellschaftlich brisanten Themen. Auch wenn es weit entfernt sein sollte, vielleicht gibt es das alles bald auch schon nebenan, gleich hier, schon heute Nacht?
Dann doch besser weiter Schauen als Profilaxe und auf Vorrat, um später Bescheid zu wissen. Aber wo ist da die Grenze? Bis ich mir plötzlich sage: „Ich glaube, ich will es gar nicht so genau wissen.“