Texte zum Alltäglichen -
der wöchentliche Schreibblog
Ich sehe mir überhaupt nicht ähnlich
RAU
Was für ein blöder Spruch, denke ich mir, als ich das Plakat in der S-Bahn-Unterführung sehe. Eine neue Ausstellung im Kunstverein des Bezirkes, doch da gehe ich schon seit Jahren nicht mehr hin, nachdem sie immer nur noch irgendwelche belanglose und ausufernden Video-Installationen gezeigt haben.
Doch hier scheint es sich jetzt mal um ‚Flachware‘ in Bilderrahmen zu handeln, die rote Schrift sieht wie von Kinderhand gemalt aus, leicht zackig und ungelenk, könnte aber auch die von einem ganz alten Menschen sein. Wieder einmal ein Künstler, der auffallen will, der mit seltsamen, verrückten Sprüchen auf sich aufmerksam macht, denke ich mir und fahre weiter, als die Ampel auf Grün springt.
Im Foyer des Rathauses sehe ich das Plakat dann zwanzig Minuten später wieder. Tex Rubinowitz heißt der Künstler, und die rote, leicht steile Schrift ist nicht gemalt, sondern mit der Nähmaschine genäht. Seltsame Idee, wie kommt man auf so etwas? Ein Künstler, der eine neue Handschrift sucht, ein neues Markenzeichen? Ja gut, kann man machen, muss man sehr wahrscheinlich auch im gnadenlos harten Kunstbetrieb.
Ich sehe mir überhaupt nicht ähnlich, wenn sie mich fragen. Wer tut das schon, wage ich mal zu behaupten. Wenn ich in den Spiegel sehe, sehe ich dann wirklich mich? Oder mich nur so, wie ich mich grade gerne sehe oder wie ich grade gerne aussehen möchte? Blicke ich oft nicht nur auf die Negativvariante, was mir eben gar nicht an mir gefällt? So zumindest geht es mir. Meist sehe ich meine Schwachstellen, selten die Sahnestückchen oder mein komplettes Wunschbild von mir, je nachdem, in welcher Verfassung ich gerade bin. Und auf jeden Fall immer seitenverkehrt.
Wir kennen es doch von Fotos von uns selber. Ui, so sehe ich wirklich aus? Nein, das ist jetzt nicht wahr. So alt, so dick, so ernst, so faltig, so wenig attraktiv? Das bin doch nicht ich, das da auf dem Foto muss jemand anderer sein.
Nicht schlecht Herr Tex Rubinowitz, aber vielleicht sind sie das ja auch gar nicht, vielleicht sind sie ja Herr Friedemann Frei oder Herr Hartmut Müller oder vielleicht sogar Frau Erika Muster? Weil sie sich selber nämlich auch überhaupt nicht ähnlich sehen oder sich nicht wahrhaben wollen und im Grunde genommen jemand anderer sind und häufig sein möchten, so wie ich und du und wir? Denn im Grunde genommen sieht sich doch niemand ähnlich, und alle sind wir jemand anderer. So kann man es nämlich auch sehen. Zumindest haben sie heute morgen etwas Schwung in meinen Kopf und in meine Gedanken gebracht, dafür danke ich Ihnen schon einmal Herr Rubinowitz, lassen wir es für heute einfach bei diesem Namen.
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Ich sehe mir überhaupt nicht ähnlich
RAU
Was für ein blöder Spruch, denke ich mir, als ich das Plakat in der S-Bahn-Unterführung sehe. Eine neue Ausstellung im Kunstverein des Bezirkes, doch da gehe ich schon seit Jahren nicht mehr hin, nachdem sie immer nur noch irgendwelche belanglose und ausufernden Video-Installationen gezeigt haben.
Doch hier scheint es sich jetzt mal um ‚Flachware‘ in Bilderrahmen zu handeln, die rote Schrift sieht wie von Kinderhand gemalt aus, leicht zackig und ungelenk, könnte aber auch die von einem ganz alten Menschen sein. Wieder einmal ein Künstler, der auffallen will, der mit seltsamen, verrückten Sprüchen auf sich aufmerksam macht, denke ich mir und fahre weiter, als die Ampel auf Grün springt.
Im Foyer des Rathauses sehe ich das Plakat dann zwanzig Minuten später wieder. Tex Rubinowitz heißt der Künstler, und die rote, leicht steile Schrift ist nicht gemalt, sondern mit der Nähmaschine genäht. Seltsame Idee, wie kommt man auf so etwas? Ein Künstler, der eine neue Handschrift sucht, ein neues Markenzeichen? Ja gut, kann man machen, muss man sehr wahrscheinlich auch im gnadenlos harten Kunstbetrieb.
Ich sehe mir überhaupt nicht ähnlich, wenn sie mich fragen. Wer tut das schon, wage ich mal zu behaupten. Wenn ich in den Spiegel sehe, sehe ich dann wirklich mich? Oder mich nur so, wie ich mich grade gerne sehe oder wie ich grade gerne aussehen möchte? Blicke ich oft nicht nur auf die Negativvariante, was mir eben gar nicht an mir gefällt? So zumindest geht es mir. Meist sehe ich meine Schwachstellen, selten die Sahnestückchen oder mein komplettes Wunschbild von mir, je nachdem, in welcher Verfassung ich gerade bin. Und auf jeden Fall immer seitenverkehrt.
Wir kennen es doch von Fotos von uns selber. Ui, so sehe ich wirklich aus? Nein, das ist jetzt nicht wahr. So alt, so dick, so ernst, so faltig, so wenig attraktiv? Das bin doch nicht ich, das da auf dem Foto muss jemand anderer sein.
Nicht schlecht Herr Tex Rubinowitz, aber vielleicht sind sie das ja auch gar nicht, vielleicht sind sie ja Herr Friedemann Frei oder Herr Hartmut Müller oder vielleicht sogar Frau Erika Muster? Weil sie sich selber nämlich auch überhaupt nicht ähnlich sehen oder sich nicht wahrhaben wollen und im Grunde genommen jemand anderer sind und häufig sein möchten, so wie ich und du und wir? Denn im Grunde genommen sieht sich doch niemand ähnlich, und alle sind wir jemand anderer. So kann man es nämlich auch sehen. Zumindest haben sie heute morgen etwas Schwung in meinen Kopf und in meine Gedanken gebracht, dafür danke ich Ihnen schon einmal Herr Rubinowitz, lassen wir es für heute einfach bei diesem Namen.